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Whiskey, Blutbad, Sonnenblumen

In ihrem neuen Roman «Die Entflammten» erzählt Simone Meier die Geschichte zweier Frauen aus zwei Epochen. Damit widmet sie sich nach drei Gesellschaftsromanen zum ersten Mal einem historischen Stoff. Funktioniert der Wechsel ins neue Fach?

Von Caroline Mettler

Die Kunstgeschichtsstudentin Gina besucht ihren Vater in Italien. Der hadert mit seinem Künstlerschicksal und versucht seit zwanzig Jahren erfolglos ein zweites Buch zu schreiben. Gina hingegen vertieft sich immer mehr in die Geschichte der Schwägerin Vincent van Goghs, Jo van Gogh-Bonger. Auch diese hatte über hundert Jahre zuvor ein Leben zwischen Liebe, Kunst und Schicksalsschlägen geführt.

Zur Autorin

Simone Meier, Autorin, Kolumnistin und Kulturredaktorin (WoZ, Tagesanzeiger, aktuell bei watson), kommt, wie fast alle in Zürich, aus dem Aargau. Geboren wurde sie allerdings 1970 in Lausanne. Studium der Germanistik, Amerikanistik und Kunstgeschichte in Basel, Berlin und Zürich. 2000 veröffentlichte sie ihren ersten Roman «Mein Lieb, mein Lieb, mein Leben». Mit «Die Entflammten» legt Meier ihren fünfte Roman vor.
Foto: © Ayse Yavas

Zweifel plagten aber auch den erst viel später weltberühmt Gewordenen: «Ich glaube nicht, dass ich jemals etwas wirklich Wesentliches schaffen werde», lässt Meier ihren fiktionalisierten Vincent van Gogh zu seiner Mutter sagen. Diese Angst vor dem Versagen und das scheinbar oft bedrückende Künstlerdasein sind Themen, die sich durch die Erzählung ziehen. Van Gogh ist dabei das Paradebeispiel, der geniale Künstler, der erst nach seinen Lebzeiten als solcher erkannt wird und ob seiner eigenen künstlerischen Besessenheit wahnsinnig geworden ist.

Simone Meier lässt in ihrem Roman die Welten der beiden Frauen kollidieren und schlussendlich miteinander verschmelzen. Zunächst herrscht eine klare kapitelweise Trennung. Ginas Abschnitte erzählen von ihrer schwierigen Kindheit, vom Anderssein und vom Vater, der damals eher ein Schatten seiner selbst war. Mit kindlicher Naivität und Nüchternheit wird ein negatives Künstlerbild gezeichnet, das sich in Variationen immer wieder im Roman findet. Jo Bongers Kapitel hingegen beschreiben über weite Strecken ihre fatale Liebesgeschichte mit Vincent Van Goghs Bruder Theo, die sich über zwei Jahre hinweg angebahnt hat und kurz darauf tragisch endet. Diese Abschnitte sind ausführlicher und auch literarisch ehrgeiziger als die Gina gewidmeten. Erst als die zwei Frauen miteinander zu sprechen beginnen und die beiden Geschichten ineinanderfliessen, löst sich dieser sprachliche Kontrast langsam auf.

Meiers Beschreibungen erinnern oft an van Goghs exzentrische Bilder: «Wer noch nie eine Zigarette bei Sonnenuntergang geraucht hat, weiss nicht, was es heisst, Teil eines vollkommen schönen Schauspiels zu sein. Wenn der Zigarettenrauch mit einer fedrig hingetupften Wolle verschmilzt. Wenn der Whiskey im Glas zu dunklem Bernstein gerinnt und die ins Meer tropfende Sonne zu beiden Seiten des Horizonts ein Blutbad anrichtet.» Im Kontrast dazu stehen die Leidensgeschichten der beiden Frauen; die Entfremdung Ginas von ihrem Vater und der Weg Jos zur zweifachen Witwe. Ganz nebenbei werden nicht nur im Bereich der Kunst historische Fakten eingewebt, es wird auch fleissig Name-Dropping betrieben und es werden die grossen Fragen des Lebens gestellt. «Aber ist nicht jede Kunst überheblich?», philosophiert beispielsweise Jo, als sie Van Goghs Schwägerin wird. Bei den Versuchen, in einem Nebensatz Weltgeschichte und -philosophie unterzubringen, stellt sich die Frage nach der Relevanz für die Erzählung. Öfter als nötig wird man mit Fragezeichen zurückgelassen.

Auch die soziologischen und historischen Fakten wirken oft kulissenhaft. Dahinter steckt durchaus erzählerisches Kalkül. Im Zentrum der Erzählung stehen die Gefühlswelten zweier junger Frauen und deren zwischenmenschlichen Beziehungen. Auch Vincent van Goghs Geschichte wird nur nebenbei erzählt. Zum einen widerspiegelt sich dadurch die Irrelevanz, die van Gogh zu seinen Lebzeiten erdulden musste, zum anderen wird unterstrichen, worum es in diesem Roman eben gerade nicht geht. Es handelt sich nicht um ein fundiertes Porträt des heute so bekannten Malers. Die Art und Weise, wie Jo van Gogh-Bonger in den letzten Jahren ihres Lebens sich obsessiv mit der Verbreitung und Bekanntmachung der Bilder ihres Schwagers beschäftigt hat, wird am Ende des Romans in wenigen Sätzen abgehandelt. Dabei hätte doch in dieser weiblichen Erfolgsgeschichte ein durchaus lohnender Erzählstoff gesteckt.

Der Roman bietet somit weder neue Details über den Maler van Gogh noch erfahren wir mehr über die genaue Art und Weise, wie seine Bilder später doch noch verkauft und von Galerie zu Galerie geschickt wurden. Meier zeigt sich zwar als Vertreterin der gut gemachten und sauber recherchierten Unterhaltungsliteratur. In diesem Sinne unterscheidet sich das neue Buch dem ersten Anschein entgegen dann doch nicht von den erfolgreichen Vorgängern. Deren Fans wird das freuen. Doch verliert sich Meier zu oft in historischen Fakten und philosophischen Überlegungen, ohne dass diese wirklich zur erzählten Handlung beitragen oder eine Einsicht in die Vergangenheit liefern. Indem sie vor allem schwierige Familienverhältnisse und eine tragische Liebesgeschichte beleuchtet, entgeht ihr Jos beeindruckende Durchsetzungsgeschichte. Gerade im Hinblick auf die treffend skizzierten Eindrücke der Gesellschaft und der Künstlerszene zu Van Goghs Zeiten aus einem feministischen, gesellschaftskritischen Blickwinkel verschenkt die Autorin damit eine literarische Chance.

Simone Meier: Die Entflammten. 272 Seiten. Zürich: Kein & Aber 2023, ca. 29 Franken.

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