KW09
Prosa goes Synthie-Pop goes Dance
Am Montag fand im sogar theater die Zürcher Vernissage von Cruise Ship Misery statt, dem Spoken Pop-Kollektiv rund um Autorin Sarah Elena Müller. Die mulitmediale Performance zum Liederbuch «Brutto Inhalnd Netto Super Clean» begeisterte und liess das Publikum tanzen.
Es ist ein Montagabend im sogar theater, frischer könnte er sich nicht anfühlen. Zum Wochenauftakt ist das Theater bis auf den letzten Platz besetzt, das Publikum merklich wohlgelaunt und die Stimmung locker. Auf dem Boden sind ein Kabelsalat und Instrumente, vor allem aber sitzt dort Sarah Elena Müller gemütlich neben ihrem Keyboard. Gemeinsam mit Milena Krstić bildet sie das Duo Cruise Ship Misery und ist gerade im Trio mit Johannes Werner am Schlagzeug auf Tour. Zwei Tage nach der Albumtaufe von Brutto Inland Netto Super Clean in Bern feiert das Album und Buch, erschienen im Verlag Der gesunde Menschenversand, im sogar theater seine Zürich-Premiere.
Es ist ein vielteiliges Gesamtkunstwerk, das mutwillig überwältigt. Das Buch kombiniert Illustrationen von Luca Schenardi mit Kurzgeschichten von Sarah Elena Müller und dazugehörigen Songtexten von Milena Krstić sowie einem Download-Link zum Album – alles so dicht gepackt, dass man man fast nicht weiss, womit man anfangen soll. Doch die Performance bietet Hand und macht es dem Publikum vor. Sarah Elena Müller liest zunächst einen Prosatext über Hass, Selbstachtung und Imperfektionen: «Wo ist der Riss in den Leuten, wo ihre Essenz durchsickert?» Mit einer Mischung aus Witz und Ernst vermag sie, das Publikum direkt abzuholen. Hinter ihr füllen wechselnde Projektionen von Illustrationen – allesamt aus dem Buch – mit stark pigmentierten Farben und Gesichtern die Wand, die immer wieder aufs Neue begeistern. Nachdem Sarah Elena Müller ein Lied auf ihrem Keyboard in Begleitung von Johannes Werner anstimmt, steigt Milena Krstić mit ihrem Gesang auf Berndeutsch ein. Das Gesamtkunstwerk wird performativ.
Die Musik zieht die volle Aufmerksamkeit auf sich. «Achtung, Pop!», hiess es zu Beginn der Veranstaltung. Korrigieren könnte man das in «Achtung, super clean Synthie Pop mit psychedelischen Elementen und einem wahnsinnig mitreissenden Zug!» Der Gesang und die Melodien sind eingängig und spülen einen Strom futuristischer Endzeitstimmung in Richtung Publikum, wenn etwa Milena Krstićs Stimme cyborgartig mal schrill und dann wieder sehr tief durch das Mikrofon dröhnt. Sind die Wörter schwieriger zu verstehen, helfen die hinter ihr eingeblendeten Songtexte auf Hochdeutsch. Spätestens aber bei Aufzählungen wie «Substanz, Relevanz, Ambivalenz, Tanz» aus dem Lied Dini Meinig ist jeder Laut klar und entlockt einer Person aus dem Publikum sogar ein bestätigendes «Yeah».
Das Set wird kurz für eine weitere Lesung durch Sarah Elena Müller unterbrochen, die Stimmung kippt aber keineswegs. Im Gegenteil: Das Publikum wird für die letzten beiden Lieder dazu ermuntert aufzustehen. Sie seien sich noch nicht sicher, ob sich die Musik eher für Sitz- oder Stehkonzerte eignet, meint Milena Krstić humorvoll. Ein Breakdown zum Schluss und ein nunmehr sich bewegendes Publikum beweisen, dass die Musik durchaus tanzbar ist. Auf die Verabschiedung Cruise Ship Miserys folgt ein ungewohnt langer, solider Applaus. Die drei verlassen den Saal und lassen ein aufgewecktes Publikum zurück.
Cruise Ship Misery: Brutto Inland Netto Super Clean. 68 Seiten. Luzern: Der gesunde Menschenversand 2024, ca. 32 Franken.