„Ich sehe die Frauen nicht ganz so marginalisiert in diesem Betrieb“*

Beim Betreten des vollen Stadttheaters, wo am Freitag Nachmittag das Podium „Machtstrukturen im Literaturbetrieb“ stattfindet, fällt bereits die Überzahl an Frauen im Publikum auf. Erstaunlich ist dies nicht, da der Beschrieb der Veranstaltung bereits auf die absurde Dichotomie von marginalisierten Frauen im Literaturbetrieb und der gleichzeitigen Tatsache, dass mehr Bücher von Frauen gelesen und geschrieben werden, hinweist. Auf der Suche nach Erklärungen haben sich also Frauen (und einige Männer) jeden Alters im Theater eingefunden. Die Bühne wird ebenfalls von den Frauen dominiert: Nathalie Garbely moderiert, neben Anette Hug und Silvia Ricci Lempen sitzt Dani Landolf. Die männliche Unterzahl scheint für Landolf Anstoss zu sein, seine Anwesenheit erklären zu müssen: Nachdem er eigentlich seine Teilnahme zuerst abgesagt hatte, habe er sich schliesslich umentschieden, weil er von den VeranstalterInnen darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass noch ein Mann gebraucht werde.

Die Diskussion beginnt mit der Darlegung der heutigen Situation im Literaturbetrieb. Lempen und Hug sind sich einig, dass seit den 1970er Jahren ein Wandel zugunsten der Frauen stattgefunden hat. So sei es den Frauen heute nicht mehr verboten zu schreiben und Literaturfestivals würden auch durchgeführt, wenn die Chefin zum Zeitpunkt schwanger ist. Das sei erfreulich und unzweifelhaft sei auch, dass der Buchhandel eine „Frauenbranche“ ist. Zugleich wäre dies wiederum nicht erstaunlich, da sich die dort Angestellten mit dem Schweizer Mindestlohn begnügen müssen. Hingegen sässen in den Chefetagen der grossen Verlage wie Diogenes und Kein&Aber weiterhin Männer, bei denen es sich jedoch, wie Landolf eindringlich betont, nicht um fette Manager im Ledersessel mit Zigarre im Mund handle. Konsens auf der Bühne ist unter den weiblichen Gästen, dass man im Jahr 2019 ein Zwischenfazit ziehen kann. Vor allem im Hinblick auf den literarischen Kanon betont Lempen, müsse sich unabdingbar etwas verändern. Auch Hug erwähnt, dass die Leseliste für die mündliche Zwischenprüfung am Deutschen Seminar an der Uni Zürich weitaus weniger Werke von Schriftstellerinnen als von Schriftstellern aufweise. Ähnliches gelte für die literarische Kolumne in „Le Temps“: Auch dort kämen erstens doppelt so viele Männer zu Wort und würden zweitens auch doppelt so viele Männer besprochen (dies auch von Frauen, was wiederum für die dringende Neuauslegung des Kanons spräche). Das Resultat sei, dass fast immer aus der männlichen Sicht argumentiert und diese durch das Übergewicht legitimiert werde.

Bei der Bezahlung schriftstellerischer Arbeit seien indessen beide Geschlechter in gleichem Masse von den „Machtstrukturen im Literaturbetrieb“ betroffen: Niemand werde reich im Schweizer Buchbetrieb. Hug erklärt, dass AutorInnen ihr Geld in drei Säulen verdienen: Mit einem minimalen Anteil an den Buchverkäufen selbst, den grössten Anteil mit Auftritten und mit ein wenig Glück durch Stipendien. Deshalb warnt Lempen zu Recht vor einer Monopolisierung zum Beispiel bei der Vergabe von Preisen in beiden Wortbedeutungen. Auf keinen Fall sollten Stiftungen oder Literaturhäuser den Marktpreis für Literatur festlegen und es sollte niemals einer Einzelperson in einem Jurierungsverfahren die Entscheidung überlassen werden. Es gäbe noch sehr viel interessante Themen zu besprechen – doch leider ist die Zeit um. Der herzliche Applaus zum Schluss muss vor allem den drei starken Frauen auf der Bühne gelten. Daniel Landolf hat sich schon länger aus der Diskussion zurückgezogen, spätestens seit er Lempen und Garbely glücklicherweise erfolglos zu belehren versuchte, dass der Körper der Frau und eine damit etwaig verbundene Limitation ihres Geistes im Literaturbetrieb kein Thema sei.

* Landolfs Antwort auf die Frage, wo die Frauen im Literaturbetrieb seien. Natürlich sei dies allgemein ein heikles Thema.

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