Ein Sprung ins kalte Wasser

In der brütenden Hitze vor der Aussenbühne hat sich eine beträchtliche Menschentraube gebildet. Julia von Lucadou liest aus ihrem Debütoman Die Hochhausspringerin, der für den Schweizer Literaturpreis nominiert war.

Sie würde uns, warnt Lucadou vor, nun einfach ins kalte Wasser werfen. Normalerweise lese sie immer die gleichen Stellen, die einen sanft ins Buch einsteigen liessen. Nicht heute. Kaltes Wasser ist gut, ich bin gespannt. Sie liest eine Szene, in der Hitomi, eine der beiden Hauptfiguren, mithilfe eines Apps zu meditieren versucht. Hitomis Gedanken schweifen aber immer ab, sie kann sich nicht konzentrieren. Sie macht sich Sorgen, dass ihr Date, das noch auf ihrer To-do Liste für den Abend steht, ihr den missglückten Meditationsversuch anmerken wird. Auch beim Date selber sind ihre Gedanken nicht im Moment, sondern sie wandern immer wieder in die Vergangenheit, zu Begegnungen mit ihrer „Biomutter“. In diesen Gedankenausflügen – die eher Fluchten aus der Oberfläche sind – blitzt die Essenz des Romans auf: die Sehnsucht nach wahrhaftiger zwischenmenschlicher Begegnung.

Nach den heissen zehn Minuten Dystopie wäre ein wirklicher Sprung ins kalte Wasser der Aare keine schlechte Idee.

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