KW11

«Ein Mittel gegen das Begehren»

Bärfuss Salm

Die essayistische Einlassung ist mittlerweile zu einem veritablen Seitengenre in Lukas Bärfuss' Werk herangewachsen, dem bereits der 2015 erschienene Band «Stil und Moral» Rechnung getragen hat. In der vergangenen Woche erschien nun Bärfuss' zweite Essaysammlung. Das «Buchjahr» war bei der Buchvernissage im Zürcher Literaturhaus vor Ort.

Von Shantala Hummler

Mit zwei gewichtigen Worten ist der neueste Essayband von Lukas Bärfuss übertitelt: Krieg und Liebe. Zwar hätte der Titel auch leicht ein anderer sein können, wird Lukas Bärfuss im Gespräch mit Karin Salem anlässlich der Lesung im Literaturhaus bemerken. Doch nun zieren diese Worte den Buchdeckel und man hat sich im Vorfeld wohlweislich darauf eingestimmt, an diesem Abend keine leichte Kost serviert zu bekommen.

Drei Jahre nach dem Erscheinen seines letzten Essaybandes Stil und Moral legt Lukas Bärfuss mit «Krieg und Liebe» eine Reihe von Vorlesungen, Reden und Feuilletonbeiträgen vor, in denen er sowohl das politische Zeitgeschehen kommentiert als sich auch an literarischen Texten abarbeitet, um auf deren Grund die «letzten» sprich «ersten» Fragen aufzuspüren. Wahrheit, Liebe, Moral und die Lust am Krieg bilden die thematischen Schwerpunkte dieser Textsammlung, zu denen der trockene Humor des Autors, der dem Publikum wiederholt ein Lachen entlockt, einen Kontrapunkt zu setzen vermag. Auf einen gewundenen Pfad führt uns Bärfuss also und noch bevor er mit rauer Stimme anhebt, um den ersten Beitrag aus seinem Buch vorzulesen, haben wir mit ihm den Tod Kurt Imhofs betrauert, die No-Billag-Initiative mit T. S. Eliot zusammengedacht und das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit erörtert.

Vom «Hundertsten ins Tausendste» folgt man der Stimme des Autors, der seine eindringlichen Worte mit Bedacht wählt. Drastisch schildert Bärfuss das traumatische Kriegserleben eines japanischen Offiziers im titelgebenden Beitrag, der eine brutale Zerrissenheit zwischen dem unergründlichen Begehren nach Krieg und der Sehnsucht nach Verschmelzung offenbart. Um welchen Preis wäre der Frieden denn zu haben? Möglicherweise nur um den der Einsamkeit.
Die «Zärtlichkeit des Krieges» entdeckt Bärfuss auch in Dresden. In der Dresdner Rede spricht er von seiner Liebe zum sächsischen Landfleck, die aus der Kinderlektüre von Preusslers «Krabat» gewachsen ist und die trotz der gewalttätigen Ausschreitungen und Angriffe auf Asylsuchende ungebrochen bleibt. Für Bärfuss ist Dresden überdies ein Ort sprachphilosophischer Überlegungen. Gewalt stehe am Ende der Sprache und ohne sprachlichen Zusammenhang zerfalle auch der soziale Zusammenhalt, gibt er zu Bedenken. Diese Gegenüberstellung von Gewalt und Sprache mutet dann aber doch etwas zu vereinfachend an. Man denke beispielsweise an das Ringen um Worte im aktuellen Diskurs um Migration, Identitätspolitik oder Gender, das verdeutlicht, wieviel Gewaltpotential gerade die Sprache selbst birgt.

Die literarische Reise durch Bärfuss’ Gedankenwelt endet auf einer Lichtung. Sie ist Schauplatz eines Essays über die Räume der Bühnenbildnerin Bettina Meyer, wie auch Sinnbild für den Ort, an den uns Bärfuss’ Schreiben führen soll: hinab in die Abgründe des menschlichen Daseins, dort das Vergessen-Verdrängte auszuleuchten, um Funken der Hoffnung zu entzünden, die den Weg hinausweisen. Er sei immer froh, wenn es dann noch eine Treppe gäbe, gesteht Bärfuss. Und was für eine Treppe bietet uns Lukas Bärfuss an? Bücher. Genauer, dieses Buch. Als Mittel gegen das tödliche Begehren, das in uns tobt.

Lukas Bärfuss: Krieg und Liebe, Göttingen: Wallstein 2018, 29.90 CHF.

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