«Es gibt ein Drittes zwischen historischer Wahrheit und Lüge. Es trägt den Namen Evangelium»

Ein Titel, der garantiert dafür sorgt, dass kaum jemand weiterliest? Vielleicht – wäre aber schade.

Über Jesus und Gott reden: eine Zumutung, ja, salopp gesagt, ein Ablöscher? Denn wer glaubt heute noch an Gott und wer geht noch in die Kirche (der Schreibende zum Beispiel, aber aus beruflichen Gründen)? So gesehen war die Programmierung eines theologischen Zwiegesprächs zwischen dem Fraumünsterpfarrer Niklaus Peter und dem Nürnberger Theologieprofessor und Buchautor Ralf Frisch über Jesus unter dem Titel Nichts für schwache Nerven mutig. 

Um eine der Fragen zu beantworten: ja, man geht. Der weitläufige Kirchenraum war locker gefüllt, der Altersdurchschnitt merklich höher als an anderen von mir besuchten «Zürich liest»-Veranstaltungen. (Der Schreibende hat den Altersdurchschnitt nicht nach unten gezogen).

An Gott zu glauben – eine Zumutung? Man könnte es so sehen. Frisch hakt genau da ein und möchte uns mit seinem Buch das Gedankenexperiment Jesus, die Science Fiction Jesus zumuten. Im Laufe des Gesprächs stellten sich Zweifel darüber ein, was ein Nicht-Berufstheologe oder sonst an solchen Fragen Interessierter da zu suchen hatte. Im Grossen und Ganzen wartete der Austausch zwischen den Theoleogen mit keinen Überraschungen auf, das Verhältnis zwischen unstrittigen und provokativen Äusserungen war gut ausgewogen. Das heisst: Provokativ nur für solche, die sich über kritische Fragestellungen zu Gott noch aufregen. Für alle anderen haftet Sätzen wie «Wäre es nicht klüger gewesen, der Nachwelt den Kreuzestod zu ersparen? War die Auferstehung des Nazareners nur ein Hirngespinst?», längst nichts Himmelstürmendes mehr an.

Ralf Frisch – selber eine Art Science fiction

Und doch! Dank der aussergewöhnlichen Konstellation, die eine Überlagerung zwischen Live und Video schuf, gewann Ralf Frisch selber einen Fiktionscharakter, übergross auf Leinwand zu sehen und mit mächtigen Lautsprecherstimme durch den Raum dröhnend. Welch starkes Bild! Wahrscheinlich war diese Fiktion stärker als es ein physisch präsenter Referenten gewesen wäre. Dazu kam die wunderbar offene, fragend-provokative Musik von Querflöte, Horn und Saxophon, die im Zusammenspiel hervorragend klangen. Das musikalische Intermezzo brachte etwas Neues ins Spiel, das auch indifferente oder skeptische Menschen, so sie überhaupt anwesend waren, einnehmen oder wenigstens ansprechen konnte. 

Leider gab es immer wieder Gemeinplätze zu hören, es fiel irgendwann der Name Friedrich Bonhoeffer wie an jeder anständigen protestantischen Veranstaltung, und natürlich fehlte auch die heutige Themen-Trinität CoGreTru nicht. Die Rolle von Niklaus Peter hätte man sich durchaus etwas aktiver vorstellen können (wie diejenige seiner Frau an der Querflöte). Frisch war übermächtig, nicht nur bildlich, ein Dialog fand kaum statt.

Das Bild bleibt

Fazit: Starke Nerven brauchte es nicht unbedingt, es hätte genügt, die eigenen Gedanken ausserhalb des üblichen Rahmens schweifen zu lassen. Aber was bleibt, ist das Bild.

«Einfach schreiben» – ein Selbstversuch

oder: Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe.

Kreatives Schreiben ist in, also nichts wie hin! Da von der GeschichtenBäckerei des Ehepaars Kasperski schon einmal in unserem Blog berichtet wurde, komme ich ohne Umschweife gleich zur Sache: Zwei Blogger*innen sitzen (zufälligerweise) am selben Tisch mit drei anderen Schreibwilligen und versuchen sich in kreativem Schreiben nach dem Motto «Wir schreiben eine Geschichte als Geschenk». (Der andere Bericht war ebenfalls hier zu lesen.)

Eine originelle, motivierende Aufgabenstellung; da ja kann nichts schiefgehen. Ich schreibe schliesslich die ganze Zeit, also kann ich schreiben, wenn es sein muss auch kreativ. Nun, ganz so einfach ist es nicht. Vor einem leeren Blatt zu sitzen mit nichts als guten Vorsätzen, ohne etwas, wovon man berichten oder was man besprechen soll. Schrecklich! Oder doch nicht? Schliesslich ist da der Profi-Schreiber mit seinen guten Tipps und Strategien, um deretwillen wir doch gekommen sind. Und wir werden tatsächlich nicht enttäuscht. 

Nach grundlegenden, aber noch nicht so weltbewegenden Überlegungen zu Aspekten wie Adressat, Genre, Erzählperspektive und, schon interessanter, «Betriebstemperatur» des Textes dann die erste Knacknuss, bei der Kasperski seine ganze Erfahrung ausspielen kann: die Wahl des Themas. Hier helfen ein kleines Spiel mit Buchstaben und Assoziationen sowie die wahrlich glorreiche Idee, auch das total Unerwartete oder Schräge in Erwägung zu ziehen. Und es funktioniert. Damit ist es natürlich nicht getan, und bei aller Ermutigung macht Kasperski klar, dass eine fertige Geschichte in 90 Minuten ein (zu) ambitioniertes Vorhaben ist. Aber immerhin, ist der sprichwörtlich schwierige Anfang gesetzt, beginnen die Idee zu sprudeln. Ich habe es versucht, die Geschichte geht weiter, und glauben Sie mir: Schreiben: einfach.

Ein Land von Haarflüchtlingen

Jetzt wissen wir, was Isländer auszeichnet (wenigstens die Männer…): Als Nachkommen der Flüchtlinge vor dem Wikingerkönig Harald Schönhaar seien sie allesamt Haarflüchtlinge, meint der glatzköpfige Isländer Hallgrìmur Helgason. Damit ist auch gesagt, dass der «perfekte Isländer» (O-Ton Hallgrìmur Helgason) Joachim B. Schmid mit seinem Haarrest vielleicht halt doch nur ein halber Isländer ist. Das Publikum war aber nicht ins Zentrum Karl der Grosse gekommen, um etwas über die Haartracht der Isländer zu erfahren. Einen Einblick in den besonderen isländischen Humor hat man mit dieser launigen Episode aber schon mal gekriegt. Selbstverständlich ging es um Bücher, um die neuesten Publikationen der beiden Autoren: 60 Kilo Sonnenschein von Hallgrìmur Helgason und Kalmann von Joachim B. Schmid, vorgestellt und moderiert von der Islandistin Ursula Giger.

Hallgrìmur Helgason liest kurzerhand aus der isländischen Originalausgabe seines ausladenden Romans. Die Gefühle angesichts eines Textes in einer unverständlichen Fremdsprache sollte sich als nützlich erweisen, wenn es später darum geht, die Reaktionen von Jaochim B. Schmids als Neu-Isländer zu verstehen. Da das Buch eine Art «All-in-One-Geschichtsbuch» Islands ist, erzählt aus der Perspektive eines Fjordbewohners vor dem Heringsboom, war isländische Geschichte omnipräsent. Die Schneedecke als unbeschriebenes Blatt am Anfang des Buches, auf welches Geschichte geschrieben wird, ist ein wunderbares, genuin isländisches Bild, das viel über das Nationalbewusstsein aussagt. Die Isländer*innen, da waren sich alle einig, verstünden sich heute noch manchmal als Kurzzeit-Gäste in ihrem eigenen Land, als Bewohner*innen eines gigantischen Zeltplatzes. 

Bei Joachim Schmids Buch drängt sich für die Lesenden die Frage auf, ob Kalmann wirklich ein Krimi sei oder nicht, oder vielleicht sogar ein missratener Krimi? Wie erwartet, meint Schmid: eher ein Portrait als ein Krimi. Die lesende Person niste sich im Kopf von Kalmann ein. Man solle ihn zuerst ruhig unterschätzen, um dann zu merken, was wirklich in ihm stecke, auch wenn ihm oft die Worte fehlten und die Sprache bewusst unbeholfen sei.

Als Schmid gefragt wird, was er dazu sage, von einem Isländer als echter Landsmann bezeichnet zu werden, blitzt wieder (schweizerisch-)isländischer Humor hervor: Seine schönste Zeit sei diejenige am Anfang gewesen, als er noch kein Isländisch verstanden habe. Daraus sei dann nach und nach eine gewisse Hassliebe geworden – ganz isländisch, meint doch ein geflügeltes Wort, die Isländer seien nirgends so glücklich wie am Flughafen Keflavik: Verlassen sie doch gerade das Land, das sie hassen, oder aber kehren zurück in das Land, das sie lieben.

Für uns bei «Züri liest»:
Emanuele Jannibelli

«Bei falschen Tönen stürzt man nicht ab» – dies der Titel von Emanueles nicht existierendem Tagebuch. Davon abgesehen ist die gemeinsame Schnittmenge von Orgelspielen und Bergsteigen, seinen Hauptbeschäftigungen, erstaunlich gross. Seine dritte Leidenschaft, diejenige fürs Lesen und Schreiben, hat er seit kurzem auf etwas festeren Boden gestellt, indem er in hohem Alter ein Masterstudium in Musikwissenschaft mit Deutscher Literatur im Nebenfach in Angriff genommen hat. Bei der Germanistik ist er allerdings Wiederholungstäter, hat er doch auf diesem Gebiet ein Vorleben aus den frühen 80er-Jahren. Seine damaligen Favoriten Silvio Blatter, Peter Bichsel, Emil Zopfi, Franz Hohler, Peter Weber, Hermann Burger oder Gerold Späth sind etwas in die Jahre gekommen, verstummt oder bereits verschieden. Seither sind Autoren wie Robert Schneider (natürlich, der spielt ja auch Orgel), Peter Stamm, Lukas Bärfuss oder Tim Krohn in den Vordergrund gerückt. Umso mehr freut er sich auf die persönliche Begegnung mit der literarischen Aktualität der Jetztzeit.