Ein Land von Haarflüchtlingen

Jetzt wissen wir, was Isländer auszeichnet (wenigstens die Männer…): Als Nachkommen der Flüchtlinge vor dem Wikingerkönig Harald Schönhaar seien sie allesamt Haarflüchtlinge, meint der glatzköpfige Isländer Hallgrìmur Helgason. Damit ist auch gesagt, dass der «perfekte Isländer» (O-Ton Hallgrìmur Helgason) Joachim B. Schmid mit seinem Haarrest vielleicht halt doch nur ein halber Isländer ist. Das Publikum war aber nicht ins Zentrum Karl der Grosse gekommen, um etwas über die Haartracht der Isländer zu erfahren. Einen Einblick in den besonderen isländischen Humor hat man mit dieser launigen Episode aber schon mal gekriegt. Selbstverständlich ging es um Bücher, um die neuesten Publikationen der beiden Autoren: 60 Kilo Sonnenschein von Hallgrìmur Helgason und Kalmann von Joachim B. Schmid, vorgestellt und moderiert von der Islandistin Ursula Giger.

Hallgrìmur Helgason liest kurzerhand aus der isländischen Originalausgabe seines ausladenden Romans. Die Gefühle angesichts eines Textes in einer unverständlichen Fremdsprache sollte sich als nützlich erweisen, wenn es später darum geht, die Reaktionen von Jaochim B. Schmids als Neu-Isländer zu verstehen. Da das Buch eine Art «All-in-One-Geschichtsbuch» Islands ist, erzählt aus der Perspektive eines Fjordbewohners vor dem Heringsboom, war isländische Geschichte omnipräsent. Die Schneedecke als unbeschriebenes Blatt am Anfang des Buches, auf welches Geschichte geschrieben wird, ist ein wunderbares, genuin isländisches Bild, das viel über das Nationalbewusstsein aussagt. Die Isländer*innen, da waren sich alle einig, verstünden sich heute noch manchmal als Kurzzeit-Gäste in ihrem eigenen Land, als Bewohner*innen eines gigantischen Zeltplatzes. 

Bei Joachim Schmids Buch drängt sich für die Lesenden die Frage auf, ob Kalmann wirklich ein Krimi sei oder nicht, oder vielleicht sogar ein missratener Krimi? Wie erwartet, meint Schmid: eher ein Portrait als ein Krimi. Die lesende Person niste sich im Kopf von Kalmann ein. Man solle ihn zuerst ruhig unterschätzen, um dann zu merken, was wirklich in ihm stecke, auch wenn ihm oft die Worte fehlten und die Sprache bewusst unbeholfen sei.

Als Schmid gefragt wird, was er dazu sage, von einem Isländer als echter Landsmann bezeichnet zu werden, blitzt wieder (schweizerisch-)isländischer Humor hervor: Seine schönste Zeit sei diejenige am Anfang gewesen, als er noch kein Isländisch verstanden habe. Daraus sei dann nach und nach eine gewisse Hassliebe geworden – ganz isländisch, meint doch ein geflügeltes Wort, die Isländer seien nirgends so glücklich wie am Flughafen Keflavik: Verlassen sie doch gerade das Land, das sie hassen, oder aber kehren zurück in das Land, das sie lieben.