Von schrägen Vögeln und Vorurteilen

„Willkommen im Vorparadies!“, werden die Zuschauer*innen im Sogar Theater zu Beginn des Theaterstücks Zarina zeigt den Vogel: Zwitschern einer Dolmetscherin begrüsst. Kurz darauf verlangt eine gehetzte Behördenmitarbeiterin unser Geburtsdatum, den Tag, an welchem wir zuerst vom eigenen Geburtsdatum erfahren haben und unser Knochenalter, wie es der Handknochen – ohne lügen zu können – preisgibt. Die hat doch eine Meise.

Es ist ein Einfraustück der besonderen Art, aufgeführt und verfasst von Zarina Tadjibaeva, einer Gerichts- und Behördenübersetzerin, Schauspielerin und Sängerin. Sie führt vor, dass der Eintritt ins Paradies von Geburt her „verdient“ sein muss. Dafür versetzt sich Zarina in einen persischen Professor, der ein Spezialist für Vogelkunde ist, eine russische Diva, die so ziemlich alles kann – inklusive Menschenschmuggel gegen Geld – und eine rechtschaffene Übersetzerin. Die Hauptthemen des Stücks, Vögel und interkulturelle Kommunikation, verschmelzen zu einem. Eine Figur wird zur Schneeeule, der Anwalt kommt aus dem falschen Nest und alle haben sowieso irgendwie einen Vogel. Streng genommen geht es aber weniger um den interkulturellen Austausch als um die Haltungen, welche diesen prägen. Regeln, Grenzen und Grenzübertritte werden aus der Vogelperspektive betrachtet und die Dolmetscherin schenkt mit ihrem Stück buchstäblich den Unverstandenen Gehör. Sie wird vor allem hinzugezogen, wenn Asylsuchende befragt werden und steht als Mittlerin zwischen den beiden Seiten. Die Übersetzerin ist damit Teil vom System, das beauftragt ist zu schützen und Menschenrechte zu verteidigen. Es ist jedoch genau dieses System, das sie oft in einen inneren Zwiespalt zwischen ihren Pflichten und Gefühlen treibt. Beispielsweise wird eine Flüchtlingsfamilie in ein Land abgeschoben, wo sie schlecht behandelt wird, damit eine rassistische Befragerin so schnell wie möglich mit ihrem Spielzeugauto herumdüsen kann – und die Dolmetscherin muss zusehen, schlimmer noch: ihr Sprachrohr sein. Das Stück geht weiter, aber die Spannung bleibt bestehen.

Zarina vollführt blitzschnelle Stimmungswechsel und verbindet Tragik und Humor fliessend. Eine traumatische Erzählung von einem sexuellen Übergriff, dem Suizid der Schwester und einem Leben voller Leiden endet abrupt im Kichern über einen Wortwitz. Dieser krasse Kontrast, der entsteht, wenn Schockieren in Witzeln und Entsetzen in Lachen übergeht, hinterlässt ein mulmiges Gefühl. Darf man da überhaupt noch unbeschwert herauslachen? Wahrscheinlich ist es gerade dieses Unbehagen, das an der Mittlerin nagt, wenn sie die glücklichen, reichen Schweizer neben den traumatisierten, verzweifelten Asylsuchenden sieht. Zum Glück gibt es demokratisch legitimierte Regeln und in der Schweiz herrscht ja schliesslich die freie Vetterliwirtschaft, ganz nach dem Volkslied: „es Fremdebüebli mahni ned, das gseht mer mir wohl ah!“

Das Stück betont, dass wir uns schlussendlich alle ähnlich sind – wir streben nach Glück, Sicherheit und einer lebenswerten Zukunft. Es gibt viel mehr Gemeinsamkeiten, als man denken könnte. Besonders passend ist in diesem Sinn, dass dieselbe Schauspielerin alle drei Figuren aus den verschiedenen Ländern verkörpert. Zu Beginn streiten sie, später bezirzen sie einander. Was eingangs vom Publikum gefordert wurde – nämlich ohne Erwartungen in die Vorstellung zu gehen – erhält rückblickend den klaren Anspruch: Man soll von seinen Vorurteilen Abstand nehmen und lieber mit Staunen den vielfältigen Stimmen der bunten Vogelschar lauschen.