Null – die Klimakrise

Null steht für 0, CO2 oder auch  «Null Öl. Null Gas. Null Kohle», wie das Buch von Marcel Hänggi. Er und Christoph Keller mit «Benzing aus Luft» unterhielten sich in der Buchhandlung am Hottingerplatz über den Klimawandel oder, wie sie präzisieren, die Klimakrise, und lasen ausgewählte Stellen aus ihren Büchern vor.

Ich ging zu der Veranstaltung mit vielen offenen Fragen und war gespannt auf die möglichen Antworten. Die Autoren sprachen über das IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change – und darüber, dass die Krise zwar schon seit den 60er-Jahren thematisiert werde, aber noch nicht in den Köpfen der Menschen angekommen sei. Möglicherweise sei es sogar angekommen, aber es bleibe schwierig, den Normalzustand zu ändern. Jede*r von uns müsse etwas dazu beitragen, damit sich an der Krise etwas ändere. Dazu müssen wir unseren Alltag anpassen und gewisse Dinge austauschen und ersetzen, um eine Verringerung des CO2-Ausstoss erreichen zu können.

Wie jede*r seinen Teil dazu beitragen kann? 

Ob man auf die Strasse gehe, sich politisch für das Thema engagiere oder sich für eine Initiative wie die Gletscher-Initiative einsetze – jede Form von Engagement zähle. Marcel Hänggi treibt die Gletscher-Initiative aktiv voran und ist somit vom journalistischen ins aktivistische Engagement übergegangen. Gemäss Hänggi sei nur wichtig, dass man der Gesellschaft verdeutliche, dass es fünf vor zwölf geschlagen habe.

Man könne klagen, sagt Christoph Keller. Wie der peruanische Bauer, der RWE verklagt hat. Hintergrund dieser Klage war, dass der Bauer RWE-Emissionen für das Schmelzen eines Gletschers verantwortlich machte. Das Gericht sah die Klage als zulässig an. Auch die sogenannten «Klimasenior*innen» klagen vor Gericht, denn der Klimawandel führe zu Hitzewellen, welche lebensbedrohlich für alte Menschen sind. Jedes Jahr sterben hunderte Menschen an den Folgen der Erderwärmung. Davon auch einige in der Schweiz.

Eine Frage aus dem Publikum war, ob die Autoren glaubten, dass sich die Politiker irgendwann dem Thema annehmen und auf lange Sicht auch Verbote aussprechen würden, wie zum Beispiel ein Verbot für das Verkaufen von Erdbeeren im Januar oder eine Eingrenzung des Flugkontingent. Da Politiker*innen Stimmen benötigten, um wiedergewählt zu werden, mache man sich nicht gerade beliebt, wenn man Verbote ausspreche, meinten die Autoren. Doch die Politik müsse handeln, damit wir das Problem in den Griff bekommen oder sogar stoppen könnten. 

Und die allerletzte Lösung?

Das CO2 wieder aus der Luft herausholen. Was nun – dank einer Erfindung an der ETH – momentan erforscht und weiterentwickelt wird. Doch Christoph Keller ist der Meinung, selbst wenn uns solche Technologien noch retten könnten, ändere das nichts an dem Problem. Man versuche nur, etwas schon Verlorenes aufzuhalten. Der Wert von 450 ppm dürfe keinesfalls überschritten werden, doch an dem sei die Bevölkerung schon gefährlich nahe dran. Deshalb müsse sich die Einstellung eines jeden und einer jeden ändern.

Es müsse noch mehr auf die Krise aufmerksam gemacht werden. Das Problem dürfe nicht mehr runtergespielt oder gar beschönigt werden. In der Medienlandschaft gebe es Journalist*innen, welche die Krise abstreiten und gegen Greta Thunberg wetterten. Es gebe aber auch welche, die sich dem Problem aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive annäherten und von innovativen Lösungen berichteten. Beide Autoren sind sich einig, dass den Medien die bedeutende Rolle zukomme, der Gesellschaft Lösungen aufzuzeigen.

Nach diesem Abend wurde mir klar: Die Klimakrise ist näher als gedacht. Aber wenn wir uns alle mit dem Problem auseinandersetzen und handeln, dann könnten wir es schaffen, ein CO2-neutrales Klima zu erreichen. 

Zwischen Begeisterung und Überforderung: Eindrücke einer virtuellen Lesung

Die Erwartungen sind gross: Die Vorpremiere von LOS 360°VR (RC) wird angekündigt als die „weltweit erste virtuelle Lesung“. Roman Vital und Sandro Zollinger, die Macher dieser VR-Lesung, verbinden eine erzählte Geschichte mit der neuesten Virtual-Reality-Technologie. Ihre gefilmten und bearbeiteten 360°-Szenen werden kombiniert mit der Stimme von Klaus Merz, der aus seiner Erzählung LOS vorliest. Ich setze mich auf einen freien Stuhl zu den anderen Wartenden im Karl der Grosse und blicke mich um. Ich bin, wie schon bei der Eröffnung, bei Weitem die Jüngste im Publikum. Die Frage einer Dame, weshalb die Stühle so weit voneinander entfernt stehen, beantwortet Zollinger mit: „Sie müssen während der Lesung genügend Platz haben, um sich im 360°-Raum umzuschauen.“ Ich muss ein Lachen unterdrücken und erinnere mich an meine ersten Erfahrungen mit VR-Games bei Freunden. Im Eifer des Spiels konnten Verletzungen oder Scherben oft nur knapp vermieden werden. So wild wird diese Lesung wohl nicht werden.

Sandro Zollinger gibt zu, etwas nervös zu sein. Denn an diesem Mittwoch handelt es sich gewissermassen um die Premiere der Vorpremiere dieser virtuellen Lesung. Auch einige Zuschauer*innen sitzen etwas angespannt auf ihren Stühlen und blicken neugierig zu den VR-Brillen, die auf einem Tisch liegen. Die Brillen und Kopfhörer werden verteilt, es dauert einen kurzen Moment, bis alle bereit sind und sich wohlfühlen. Und dann heisst es: LOS!

Die virtuelle Lesung beginnt in einem Café. Umgeben von anderen virtuellen Zuschauenden blicke ich auf die Bühne vor mir. Ich drehe den Kopf nach oben und unten, nach links und rechts – und staune über die vielen Details dieser Aufnahme. Als die Stimme von Klaus Merz ertönt, blicke ich wieder geradeaus. Auf einem Sofa sitzend, von einer Stehlampe beleuchtet, beginnt er zu lesen. Das virtuelle Publikum verschwindet allmählich, es bleiben der Lesende und ich zurück, alleine in diesem virtuellen Raum. Das Bild verändert sich wieder, Klaus Merz verschwindet ebenso, die 360°-Bilder beginnen sich zu bewegen. Auf meinen Augen die VR-Brille, auf meinen Ohren die Kopfhörer, tauche ich ein in diese unterschiedlichen virtuellen Räume: Ob in einem Schreibzimmer, im Zug, unter Wasser oder in einer tiefverschneiten Landschaft – mit Brille und Kopfhörer erlebt jede*r Zuschauende im Karl der Grosse individuell die jeweilige Atmosphäre.

Da die Schreibende während der Lesung zu sehr in ihrer eigenen (virtuellen) Welt versunken war, muss dieser Flyer behelfsmässig als Eindruck genügen.

Die zwölf Passagen aus der Erzählung LOS handeln von Peter Thaler, einem Mann, der zu einer Bergwanderung aufbricht und nie mehr zurückkehrt. Es ist eine Geschichte vom Abschiednehmen. Die Erzählweise vom Verschwinden dieses Mannes ist eindringlich, berührend. Und doch will es mir nicht gelingen, mich ganz auf die Erzählung zu konzentrieren. Zu sehr bin ich abgelenkt von den schönen visuellen Eindrücken. Einmal mehr fällt mir auf, wie bedeutsam doch unser Sehsinn ist und wie sehr wir uns auf visuelle Eindrücke fokussieren. Obschon es sich nicht um einen Film, sondern um Bildwelten handelt, die sich bisweilen kaum verändern, gibt es in den Aufnahmen dennoch unzählige Details zu entdecken. Immer wieder drehe ich meinen Kopf von rechts nach links, von oben nach unten, um ja kein Detail zu übersehen. Und ab und an konzentriere ich mich wieder auf die Stimme von Klaus Merz.

Die Lesung ist – trotz Konzentrationsschwierigkeiten – ein inspirierendes Erlebnis. Das Ziel der virtuellen Lesung sei es auch, so erklärt Sandro Zollinger nach der Lesung, sich „von einer konkreten filmsprachlichen Narration zu lösen“ und sich auf die „gefühlstragende Wirkung“ des Mediums zu fokussieren. Das sei ein „bleibendes und einmaliges Erlebnis“, ist sich das Publikum am Ende einig.

Sehen die Lesungen der Zukunft so aus? Sieht vielleicht sogar das eigene Leseerlebnis zukünftig so aus? Beinahe stimmt mich diese Vorstellung etwas melancholisch. Denn obgleich ich gerne in die Räume der neuesten VR-Technologien eintauche und alles um mich herum vergesse, liebe ich die Momente genauso, in denen es nur mich und mein Buch gibt. Die Momente, in denen – auch ohne VR-Brille – alles um mich herum verschwindet: ob Schreibzimmer, Zug oder Berglandschaft. Den Imaginationsraum, den das Lesen von Literatur bei mir auslöst, will ich, zumindest vorerst, nicht mit den detailtreuen Bildwelten der VR-Technologie eintauschen.

Und doch: Ein Eintauchen in diese virtuelle Lesung und die neuste Technologie lohnt sich allemal. Vielleicht sollte auch ich mich noch einmal auf die Lesung einlassen, um mich dieses Mal ganz auf die Stimme von Klaus Merz konzentrieren zu können.