«Es steht Roman drauf, dann ist Roman drin»: Alex Capus über historische Romane

«Ich bin wie ein Hund. Ich gehe überall da lang, wo es gut riecht», erzählt Alex Capus. Dies sei sein Privileg als Schriftsteller. Er könne sich mit jenen historischen Stoffen beschäftigen, die ihm wirklich zusagen – und alles andere könne er «den Historikern und Journalisten überlassen». Schon als Student sei er eigensinnig gewesen und habe stets seinen eigenen Weg gewählt; nicht immer zur Freude seiner Dozierenden.

Über den Weg von der historischen Recherche zur literarischen Fiktion spricht er am Sonntagnachmittag im KOSMOS mit Marc Tribelhorn, Redaktor bei der NZZ. Capus berichtet von seinen Recherche-Abenteuern, die bisweilen selber an fiktionale Geschichten erinnern. «Eine lustige Geschichte. Sie stimmt sogar», kommentiert er seine Erzählung einmal. Die Leute des vollbesetzten Saals – viele davon eingefleischte Capus-Fans, wie ich annehme – lachen lauthals. In gewohnt ernster und ironischer Manier beantwortet Capus die Fragen des Moderators.

Ob nicht das Leben die schönsten Geschichten schreibe, fragt Tribelhorn den Literaten zu Beginn. «Das Leben schreibt gar keine Geschichten», antwortet Capus. Die Geschichte liege ganz im Auge des Betrachters. Es sei die Aufgabe des Erzählers, eine Struktur in Ereignisse zu bringen. Die Kausalität erschliesst sich aus dem Datenmaterial der Archive noch nicht.

Wenn er ein Thema gefunden habe, welches ihn wirklich interessiere, dann recherchiere er so intensiv, bis er «der Fachmann» in diesem Gebiet sei, erklärt Capus. Er wolle dann alles wissen – auch Alltäglichkeiten der Zeit. Bedauerlicherweise müsse er bei der Verarbeitung zum Roman viel Wissen beiseite lassen. Auf die Frage des Moderators, wie er denn bei seinen historischen Recherchen vorgehe, antwortet Capus trocken: «Das ist nicht sehr kompliziert, dieses Handwerk. Keine Hexerei.» Das kenne der Moderator ja selber auch aus dem Studium. „Wichtig ist doch die individuelle Neugierde.“

Für seine Recherchen besucht Capus nicht nur verschiedene Archive in der Schweiz. Auch im Ausland wird er ab und an fündig. Für Munzinger Pascha etwa führten ihn seine Recherchen bis nach Kairo. Er suchte Briefe – die er da tatsächlich fand. Als Erzähler könne er, so erklärt Capus, Kausalitäten herstellen, die ihm gefallen – ohne Anspruch auf objektive Wahrheit. Zur Veranschaulichung erzählt er von seiner Reise nach Kreta: Da habe er sich mit seiner Famlilie verschiedene Ausgrabungen angeschaut. Oft war anhand der bescheidenen Überreste überhaupt nicht klar, wann oder zu welchem Zweck die Gebäude errichtet worden waren. Dann kamen sie zum Palast von Knossos. Wenngleich es ja «augenfällig für jeden» sei, dass es sich bei dieser Rekonstruktion um eine Fiktion handle, habe Knossos ihm besser gefallen, erklärt er.

Als Schriftsteller habe er die Möglichkeit, die historischen Fakten zu verbinden, ohne sie wissenschaftlich genau belegen zu müssen. «Es steht Roman drauf, dann ist auch Roman drin», stellt Capus fest.

Der eigenwillige Klang der Sprache

Die Lesung der Nominierten für den diesjährigen Schweizer Buchpreis zieht so viele Besucher*innen an, dass der Saal des Literaturhauses bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Zum Glück finden sich für uns noch zwei Klappstühle, auf denen wir Simone Lappert, Ivna Žic und Tabea Steiner aus nächster Nähe sehen können – und vor allem hören. Denn was die drei Werke verbindet, sei der eigenwillige Klang ihrer Sprache, so Isabelle Vonlanthen, die die Lesung zusammen mit Martin Zingg moderiert.

Nach den Lesungen ausgewählter Passagen stellt Isabelle Vonlanthen die Frage nach den klanglichen Elementen und dem Rhythmus, welche die Werke der drei Nominierten auszeichnen. „Ich schreibe mit den Ohren“, erläutert Simone Lappert. „Die Bedeutung des Wortes ist ja immer im Klang schon enthalten, wenn wir etwa an «krachen» denken, oder «Schnee».“ Sie lese sich ihre Texte darum immer wieder vor, um sie vom Blatt in den Raum zu holen und auf ihren Rhythmus zu prüfen. Bisweilen lasse sie sich den Text auch von jemand anderem vorlesen, damit sie sich den Text nicht „schönlesen“ könne, fügt sie lachend hinzu.

Auch für Ivna Žic, die viel für das Theater schreibt und darum dem gesprochenen Wort eine grosse Bedeutung zuschreibt, leben Texte von ihrem Klang: „Man muss die Texte gerne in den Mund nehmen.“ Sie hört beim Schreiben jeweils Musik. Der Rhythmus der Musik helfe ihr, einen Rhythmus der Sprache zu finden.

Tabea Steiner versammelt in ihrem Roman Balg ein ganzes Kabinett verschiedener Figuren im dörflichen Raum. Sie nähert sich ihnen über das Vorlesen deren individuellen Stimmen: „Ich frage mich dann, kann es sein, dass diese Figur so spricht?“ Sie müsse bei jeder Figur das Gefühl haben, dass die jeweilige Stimme passe.

Manchmal können sich die Figuren geradezu gegen eine Sprechstimme sträuben und insbesondere auch gegen einen Namen, den man ihnen aufdrängen will, ergänzt Simone Lappert. Es gebe aber durchaus Figuren, deren Namen von Anfang an feststeht, sagt Tabea Steiner. So etwa sei es ihr mit „Timon“ ergangen.

Das wiederholte Vorlesen ausgewählter Passagen – auch bei Lesungen wie dieser – habe ihren Blick auf den eigenen Text durchaus verändert, sind sich alle drei Nominierten einig. „Inzwischen wähle ich für die Lesungen oft andere Passagen aus als zu Beginn“, sagt Steiner. Simone Lappert schliesst sich dem an und fügt hinzu, dass sie ihre Vorlesetexte sogar teilweise verändert habe. „Beim Vorlesen habe ich manchmal gemerkt, dass es mündlich irgendwo holpert – und habe die Passage dann angepasst“ Ivna Žic fügt hinzu: „Der Text wird einem nach den vielen Lesungen fremder und kommt zugleich auch näher.“

Die gemeinsamen Lesungen der Nominierten sind schon bald Geschichte. Bereits am 10. November werden wir im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals BuchBasel erfahren, an wen der Schweizer Buchpreis dieses Mal geht. Ob Balg, Der Sprung, Die Nachkommende oder aber Sibylle Bergs GRM – Brainfuck oder Alain Claude Sulzers Unhaltbare Zustände – bald schon erfahren wir, wessen „Klang der Sprache“ am meisten zu überzeugen vermochte.

Livia Sutter und Andrina Zumbühl

Nicht der Autor, sondern die Schauplätze im Fokus

Der Nebel ist längst verschwunden, die Sonne scheint warm auf das herbstliche Zürich. Das Zürich-liest-Extratram steht am Bellevue bereit. Nach und nach werden die ersten Plätze belegt. Eine Frage beschäftigt alle Einsteigenden: Welches ist wohl der beste Platz? Nur wenige Plätze bieten freie Sicht auf Demian Lienhard, der ungefähr in der Mitte des Trams vor seinem Mikrophon steht. Die vielen Kurven der Tramführung, so hofft man, werden es wohl allen erlauben, ab und an einen kurzen Blick auf den Lesenden zu erhaschen.

Die Tramlesung führt an diesem Samstag vom Bellevue bis zum Bahnhof Altstetten und wieder zurück – vorbei an den Schauplätzen von Demian Lienhards Debütromans Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat. Eine Tramszene gebe es leider keine mehr in seinem Roman, bedauert Demian Lienhard gleich zu Beginn. Die Tramszene, welche ursprünglich geplant war, sei gestrichen worden. Lienhard beginnt zu lesen und nimmt die Zuhörenden mit in ein Zürich der 1980er und 1990er Jahre: Es ist dies die Geschichte der Protagonistin und Ich-Erzählerin Alba, eine Geschichte der Jugendunruhen und der Drogen.

Die Zuhörer*innen drehen und wenden ihre Köpfe zu Beginn der Fahrt angestrengt in Richtung des Autors. Es sei doch schon ungewöhnlich, den Autor bei einer Lesung nicht frontal vor sich zu haben, meint ein Zuhörer. Für einmal stehen also heute nicht der Autor und dessen Bühnenpräsenz im Zentrum des Interesses, sondern die Schauplätze seines Debütromans. Und so lassen die Zuhörenden ihre Blicke nach draussen schweifen. Man lauscht der Stimme Lienhards, nachdenklich aus den Tramfenstern schauend oder mit geschlossenen Augen sinnierend.

Demian Lienhard liest verschiedene Teile seines Buches vor und informiert das Publikum ab und an über die Handlung oder die Schauplätze des Romans. Das Publikum lauscht gespannt und erfährt etwa von Albas erster Heroinerfahrung während einer Party: Die Wirkung von Heroin sei wie «wenn dir jemand eine Ohrfeige aus dem Gesicht zieht und mit ihr die ganzen Schmerzen wegnimmt, und zurück bleibt nur viel zu viel Glück, um es zu fassen. So ungefähr.» Selbstredend bleibt es für Alba nicht bei diesem einen Mal. In einer weiteren Passage begleiten die Zuhörenden Alba an den Platzspitz: In den 1980ern ein Ort der Gewalt und des Elends. Beim Anblick des heutigen Platzspitz – der an diesem milden Herbsttag friedlich daliegt und zu einem Spaziergang einlädt – ist dies kaum vorstellbar.

Gegen Ende der Tramfahrt bleibt, wenn auch nur kurz, Zeit für Fragen. «Ich seh‘ allerdings die Leute nicht», lacht Lienhard und lässt seinen Blick hin und her schweifen. Eine Frau in den hinteren Teilen des Trams interessiert sich dafür, wie er den zu seinem «Stoff» (…) gekommen sei? Er habe sich seit 2012/13 intensiver mit dem Thema Platzspitz und Jugendunruhen beschäftigt, antwortet Lienhard. Er habe sich bei der Recherche historischer Fotos, Reportagen und Dokumentarfilme bedient. Auch in Gesprächen habe er sich dem Thema angenähert. Ein guter Freund seines Bruders etwa, der die Platzspitz-Zeit überlebt hat (im Gegensatz zu vielen Figuren aus dem Roman), habe ihm einiges als Zeitzeuge erzählen können.

Das Tram steht wieder still und noch beim Aussteigen ist das deprimierende Schicksal Albas beinahe wieder vergessen – zu bunt und sonnig ist dieser Herbsttag in Zürich.

Zwischen Begeisterung und Überforderung: Eindrücke einer virtuellen Lesung

Die Erwartungen sind gross: Die Vorpremiere von LOS 360°VR (RC) wird angekündigt als die „weltweit erste virtuelle Lesung“. Roman Vital und Sandro Zollinger, die Macher dieser VR-Lesung, verbinden eine erzählte Geschichte mit der neuesten Virtual-Reality-Technologie. Ihre gefilmten und bearbeiteten 360°-Szenen werden kombiniert mit der Stimme von Klaus Merz, der aus seiner Erzählung LOS vorliest. Ich setze mich auf einen freien Stuhl zu den anderen Wartenden im Karl der Grosse und blicke mich um. Ich bin, wie schon bei der Eröffnung, bei Weitem die Jüngste im Publikum. Die Frage einer Dame, weshalb die Stühle so weit voneinander entfernt stehen, beantwortet Zollinger mit: „Sie müssen während der Lesung genügend Platz haben, um sich im 360°-Raum umzuschauen.“ Ich muss ein Lachen unterdrücken und erinnere mich an meine ersten Erfahrungen mit VR-Games bei Freunden. Im Eifer des Spiels konnten Verletzungen oder Scherben oft nur knapp vermieden werden. So wild wird diese Lesung wohl nicht werden.

Sandro Zollinger gibt zu, etwas nervös zu sein. Denn an diesem Mittwoch handelt es sich gewissermassen um die Premiere der Vorpremiere dieser virtuellen Lesung. Auch einige Zuschauer*innen sitzen etwas angespannt auf ihren Stühlen und blicken neugierig zu den VR-Brillen, die auf einem Tisch liegen. Die Brillen und Kopfhörer werden verteilt, es dauert einen kurzen Moment, bis alle bereit sind und sich wohlfühlen. Und dann heisst es: LOS!

Die virtuelle Lesung beginnt in einem Café. Umgeben von anderen virtuellen Zuschauenden blicke ich auf die Bühne vor mir. Ich drehe den Kopf nach oben und unten, nach links und rechts – und staune über die vielen Details dieser Aufnahme. Als die Stimme von Klaus Merz ertönt, blicke ich wieder geradeaus. Auf einem Sofa sitzend, von einer Stehlampe beleuchtet, beginnt er zu lesen. Das virtuelle Publikum verschwindet allmählich, es bleiben der Lesende und ich zurück, alleine in diesem virtuellen Raum. Das Bild verändert sich wieder, Klaus Merz verschwindet ebenso, die 360°-Bilder beginnen sich zu bewegen. Auf meinen Augen die VR-Brille, auf meinen Ohren die Kopfhörer, tauche ich ein in diese unterschiedlichen virtuellen Räume: Ob in einem Schreibzimmer, im Zug, unter Wasser oder in einer tiefverschneiten Landschaft – mit Brille und Kopfhörer erlebt jede*r Zuschauende im Karl der Grosse individuell die jeweilige Atmosphäre.

Da die Schreibende während der Lesung zu sehr in ihrer eigenen (virtuellen) Welt versunken war, muss dieser Flyer behelfsmässig als Eindruck genügen.

Die zwölf Passagen aus der Erzählung LOS handeln von Peter Thaler, einem Mann, der zu einer Bergwanderung aufbricht und nie mehr zurückkehrt. Es ist eine Geschichte vom Abschiednehmen. Die Erzählweise vom Verschwinden dieses Mannes ist eindringlich, berührend. Und doch will es mir nicht gelingen, mich ganz auf die Erzählung zu konzentrieren. Zu sehr bin ich abgelenkt von den schönen visuellen Eindrücken. Einmal mehr fällt mir auf, wie bedeutsam doch unser Sehsinn ist und wie sehr wir uns auf visuelle Eindrücke fokussieren. Obschon es sich nicht um einen Film, sondern um Bildwelten handelt, die sich bisweilen kaum verändern, gibt es in den Aufnahmen dennoch unzählige Details zu entdecken. Immer wieder drehe ich meinen Kopf von rechts nach links, von oben nach unten, um ja kein Detail zu übersehen. Und ab und an konzentriere ich mich wieder auf die Stimme von Klaus Merz.

Die Lesung ist – trotz Konzentrationsschwierigkeiten – ein inspirierendes Erlebnis. Das Ziel der virtuellen Lesung sei es auch, so erklärt Sandro Zollinger nach der Lesung, sich „von einer konkreten filmsprachlichen Narration zu lösen“ und sich auf die „gefühlstragende Wirkung“ des Mediums zu fokussieren. Das sei ein „bleibendes und einmaliges Erlebnis“, ist sich das Publikum am Ende einig.

Sehen die Lesungen der Zukunft so aus? Sieht vielleicht sogar das eigene Leseerlebnis zukünftig so aus? Beinahe stimmt mich diese Vorstellung etwas melancholisch. Denn obgleich ich gerne in die Räume der neuesten VR-Technologien eintauche und alles um mich herum vergesse, liebe ich die Momente genauso, in denen es nur mich und mein Buch gibt. Die Momente, in denen – auch ohne VR-Brille – alles um mich herum verschwindet: ob Schreibzimmer, Zug oder Berglandschaft. Den Imaginationsraum, den das Lesen von Literatur bei mir auslöst, will ich, zumindest vorerst, nicht mit den detailtreuen Bildwelten der VR-Technologie eintauschen.

Und doch: Ein Eintauchen in diese virtuelle Lesung und die neuste Technologie lohnt sich allemal. Vielleicht sollte auch ich mich noch einmal auf die Lesung einlassen, um mich dieses Mal ganz auf die Stimme von Klaus Merz konzentrieren zu können.

Für uns bei «Zürich liest»: Andrina Zumbühl

Dieses Jahr erkundet Andrina unterschiedliche Räume: Sie begibt sich mithilfe der neusten VR-Technologie in virtuelle literarische Räume, fährt mit Demian Lienhard durch Zürichs gegenwärtige Räume zu den Schauplätzen von Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat oder lässt sich von Alex Capus erklären, wie aus historischen Stoffen vergangener Räume Romane entstehen. Ebenso freut sie sich darauf, mit Thomas Strässle über die Frage nachzudenken, was „Fakes“ und Fiktion gemeinsam haben – oder eben nicht.

Andrina ist gespannt auf die virtuellen, fiktionalen, historischen und gegenwärtigen Räume der Literatur. Wenn sie ihren Plan für die kommenden Tage anschaut, kann sie es kaum erwarten. Kein Wunder also, dass sie bereits zum dritten Mal als Bloggerin für das Buchjahr unterwegs ist.

Halten wir das noch 7 Milliarden Jahre durch?

Erwartungsfroh stehen wir vor den Türen des Kaufleuten, die für uns an diesem Abend die Türen zur Literatur-(Kritik-)Welt bedeuten. Schon lange schwelgen wir in Vorfreude auf „Zürich liest“, wo wir uns nach den Solothurner Literaturtagen wieder als Literaturkritiker*innen versuchen werden. Motiviert schnappen wir uns ein Glas Wein und mischen uns unter die Gäste, halten Ausschau nach den Grössen des Literaturbetriebs. Wir erhoffen uns von der festlichen Eröffnung des Festivals Inspiration und Motivation für die kommende Woche.

Unter dem Motto „Sein und Schein“ führt uns „Zürich liest“ in die Gegenwart und Zukunft der Literatur und des Erzählens: Mit der neusten VR-Technologie reisen wir durch virtuelle Räume, mit Christoph Keller und Marcel Hänggi in die Klimazukunft und mit den vier Nominierten des diesjährigen Buchpreises in einen Literaturbetrieb, in dem mehr und mehr weibliche Stimmen vertreten sind. Erwartungsvoll gehen wir also durch diese Tür, um uns von Denis Scheck, Steiner & Tingler und den Organisator*innen auf das Festival einstimmen zu lassen.

Zwei Stunden später verlassen wir das Kaufleuten durch ebendiese Tür, wider Erwarten etwas ernüchtert: Die Frage, die uns als „Literatur-Frischlinge“ noch auf dem Weg nach Hause nicht mehr aus dem Kopf geht, lautet: Wie geht es überhaupt weiter mit der Literatur und Literaturkritik? Oder um es in Philipp Tinglers Worten zu formulieren: Halten wir noch sieben Milliarden Jahre durch?

Die Literaturkritiker*innen Steiner & Tingler streiten sich vor Publikum über den Klassiker Mephisto von Klaus Mann und über Sally Rooneys „Gespräche unter Freunden“, das als Stimme der Millenial-Generation gilt. Obwohl Nicola Steiner das Buch vor Philipp Tinglers Angriffen zu verteidigen versucht, muss auch sie zugeben, dass sie zu dieser Lebenswelt keinen Zugang mehr hat. Obschon dieses Buch nur exemplarisch für die Gegenwartsliteratur diskutiert wird, scheint man in diesem Saal von der neuen Generation von Autor*innen nicht viel Grossartiges zu erwarten.

Denis Scheck spricht in seiner Festrede zwar zu Beginn noch wohlwollend von den vielfältigen Dialekten und Stimmen, die sich zur deutschsprachigen Literatur zusammenfügen. Jedoch scheint auch bei Scheck die Frage zu dominieren: Was ist von der Literatur und ihrer Kritik denn überhaupt noch übrig? Scheck findet Trost in der Gewissheit, dass in spätestens sieben Milliarden Jahren sowieso alles untergehen wird – gute wie schlechte Literatur; gute wie schlechte Literaturkritik.

Trotz scheinbarer Endzeitstimmung im Literatur-(Kritik-)Betrieb, sind doch sieben Milliarden Jahre noch eine lange Zeit – vor allem für Millenials wie uns – um die Literatur und ihre Kritik zu feiern. Begnügen wir uns vorerst mit den nächsten Tagen.

Livia Sutter und Andrina Zumbühl