Halten wir das noch 7 Milliarden Jahre durch?

Erwartungsfroh stehen wir vor den Türen des Kaufleuten, die für uns an diesem Abend die Türen zur Literatur-(Kritik-)Welt bedeuten. Schon lange schwelgen wir in Vorfreude auf „Zürich liest“, wo wir uns nach den Solothurner Literaturtagen wieder als Literaturkritiker*innen versuchen werden. Motiviert schnappen wir uns ein Glas Wein und mischen uns unter die Gäste, halten Ausschau nach den Grössen des Literaturbetriebs. Wir erhoffen uns von der festlichen Eröffnung des Festivals Inspiration und Motivation für die kommende Woche.

Unter dem Motto „Sein und Schein“ führt uns „Zürich liest“ in die Gegenwart und Zukunft der Literatur und des Erzählens: Mit der neusten VR-Technologie reisen wir durch virtuelle Räume, mit Christoph Keller und Marcel Hänggi in die Klimazukunft und mit den vier Nominierten des diesjährigen Buchpreises in einen Literaturbetrieb, in dem mehr und mehr weibliche Stimmen vertreten sind. Erwartungsvoll gehen wir also durch diese Tür, um uns von Denis Scheck, Steiner & Tingler und den Organisator*innen auf das Festival einstimmen zu lassen.

Zwei Stunden später verlassen wir das Kaufleuten durch ebendiese Tür, wider Erwarten etwas ernüchtert: Die Frage, die uns als „Literatur-Frischlinge“ noch auf dem Weg nach Hause nicht mehr aus dem Kopf geht, lautet: Wie geht es überhaupt weiter mit der Literatur und Literaturkritik? Oder um es in Philipp Tinglers Worten zu formulieren: Halten wir noch sieben Milliarden Jahre durch?

Die Literaturkritiker*innen Steiner & Tingler streiten sich vor Publikum über den Klassiker Mephisto von Klaus Mann und über Sally Rooneys „Gespräche unter Freunden“, das als Stimme der Millenial-Generation gilt. Obwohl Nicola Steiner das Buch vor Philipp Tinglers Angriffen zu verteidigen versucht, muss auch sie zugeben, dass sie zu dieser Lebenswelt keinen Zugang mehr hat. Obschon dieses Buch nur exemplarisch für die Gegenwartsliteratur diskutiert wird, scheint man in diesem Saal von der neuen Generation von Autor*innen nicht viel Grossartiges zu erwarten.

Denis Scheck spricht in seiner Festrede zwar zu Beginn noch wohlwollend von den vielfältigen Dialekten und Stimmen, die sich zur deutschsprachigen Literatur zusammenfügen. Jedoch scheint auch bei Scheck die Frage zu dominieren: Was ist von der Literatur und ihrer Kritik denn überhaupt noch übrig? Scheck findet Trost in der Gewissheit, dass in spätestens sieben Milliarden Jahren sowieso alles untergehen wird – gute wie schlechte Literatur; gute wie schlechte Literaturkritik.

Trotz scheinbarer Endzeitstimmung im Literatur-(Kritik-)Betrieb, sind doch sieben Milliarden Jahre noch eine lange Zeit – vor allem für Millenials wie uns – um die Literatur und ihre Kritik zu feiern. Begnügen wir uns vorerst mit den nächsten Tagen.

Livia Sutter und Andrina Zumbühl