Die bösen Geister des Bündnerlandes

Am Freitagabend liest Anita Hansemann, die im Prättigau aufwuchs, in der Helferei aus ihrem Debütroman «Widerschein» vor. Die Lesung wird durch die Musikerin Elisabeth Sulser, welche ebenfalls in Graubünden aufgewachsen ist, mit verschiedenen Mittelalter- und Barockinstrumenten untermalt. Sulsers „Gämshorn“, welches eigentlich aus Kuhhorn hergestellt wird, passt zu  Hansemanns Roman – eine blumige Erzählung über Hansemanns Heimat, die innige Beziehung zwischen der rebellischen Mia und dem jenischen Jungen Viid sowie einer weissen Gämse, die die drei Zeitebenen des Romans verbindet.

Hansemanns Roman entführt die Zuhörenden mit Naturbeschreibungen, Detailreichtum und dialektalen Einflüssen in eine Welt, in welcher tote Raubvögel am Gartenzaun gegen böse Geister helfen, die Sagenwelt und Legenden der Alpen omnipräsent sind und die Bewohner den Launen der Natur – weissen Riesen und Gämsen – ausgeliefert sind.

Zwischen den längeren Lesungen versuchte die Moderatorin Gina Bucher jeweils mit ihren allerdings recht unspezifisch gehaltenen Fragen den etwas langatmigen Vortragsabend aufzulockern. Diese wurden jedoch nur oberflächlich beantwortet, weshalb die vorgelesenen Textpassagen mit ihrer verwirrenden Fülle von handelnden Personen und direkten Reden zusammenhangslos und schlecht gewählt wirkten. Statt sich über Hansemanns bildgewaltiges Schreiben und die gelungene und abwechslungsreiche musikalische Darbietung von Elisabeth Sulser zu unterhalten, blieben beim Verlassen der Helferei nur zwei Gesprächsthemen: Die vermutlich inzestuös bedingten Erkrankungen und Liebesgeschichten der Dorfbewohner im Prättigau und die Gemeinsamkeiten der weissen Gämse mit der alten Ziege von Mias krankem Bruder. Die Lesung bleibt uns damit leider nur als Widerschein* eines eigentlich empfehlenswerten und mitreissenden Debütromans in Erinnerung.

*Widerschein: Helligkeit, die durch reflektiertes Licht (z.B. vom Mond) entstanden ist, auch Abglanz

Von Jolanda Brennwald und Andrina Zumbühl