«educated guess» – Zürcher Geschichte in Romanform

Die freischaffende Richterswiler Historikerin Dr. Nicole Billeter präsentiert im Rahmen von «Zürich liest» in der Buchhandlung Bodmer am Donnerstag ihren neuen Roman «Wenn dein starker Arm es will».

In einer kurzen Einführung klärt die Autorin die Zuhörenden über ihre Schreibmotivation und die Quellenlage auf. Diese sei nicht umfangreich und basiere vor allem aus Zeitungen und Briefen, so Billeter, die von sich selbst als einer «puritanischen Historikerin» spricht. Sie fügt hinzu, dass es kaum möglich gewesen wäre ein reines Sachbuch über das Alltagsleben von Personen der «working class» zu schreiben und dass ihr Verlag ausserdem der Auffassung war, dass ein Sachbuch zu wenig gelesen würde. Die Romanform aber hätte ihr die Freiheit geboten, recherchierte Fakten in eine Form zu packen, die wenig theoretisch ist und dem Leser trotzdem einen Einblick in die Geschichte rund um den Landesgeneralstreik im Jahre 1918 am linken Zürichseeufer gibt. «Educated guess» nannte Billeter das Prinzip, nach dem ihr Roman aufgebaut ist.

Nach der Einführung lässt die Historikerin den Zuhörer mit der Lesung von fünf Textpassagen in zwei entgegengesetzte Welten eintauchen, die im Sommer und Herbst 1918 aneinandergeraten: Jene von Lina Reichmuth, einem Dienstmädchen, welche durch den befreundeten Fabrikarbeiter Jean über den Misstand der Arbeiterschicht aufgeklärt wird, und jene von Eduard Stucki, einem Fabrikpatron. Lina steht auf der Seite der hart arbeitenden und streikenden Unterschicht, oder wie es Billeter immer wieder ausdrückte, auf der Seite der «Sozis», während Eduard auf der Seite der bürgerlichen und wohlbegüterten Wirtschaftselite anzusiedeln ist. Mit einer überlegten Auswahl der Textpassagen führt Billeter ihre Hauptprotagonisten Lina und Eduard sowie die Nebenrolle des Fabrikarbeiters Jean, genannt «Schang», ein und gewährt damit einen kurzen Einblick in die enorme soziale Unrast, die zum Landesgeneralstreik führten.

Auch wenn Billeter mit ihrem Werk Zürcher Geschichte in Romanform präsentiert und wohl eher Unterhaltung als reine Wissensvermittlung anstrebt, konnte sie deutlich wahrnehmbar nicht ganz aus ihrer Rolle als Wissenschaftlerin heraustreten. Somit blieben die Eckpunkte der Handlungen im Roman «Wenn dein starker Arm es will» dann doch meistens mehr «educated» als «guess».

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