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Wo sind Ihri Bei dehäi?

Daniela Dill nimmt es nicht so ernst mit der Orientierung und den Kategorien. Die 51 Kurzgeschichten und Gedichte in ihrem Band «Durzueständ» befinden sich irgendwo zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Sie sind ein buntes Sammelsurium von alltäglichen und aussergewöhnlichen Intermezzi des Lebens, die zum Lachen und zum Denken anregen.

Von Mirjam Rusterholz
9. August 2021

Witzige Alltagssituationen prallen in Daniela Dills Sprechtexten auf philosophische Lebensfragen. Darf man die Mottenplage im Vorratsschrank mittels Schlupfwespen eliminieren – und ist das Massaker nur deshalb weniger grausam, weil es sich im Kleinen abspielt? Auf solche alltäglichen Begebenheiten richtet Dill ihren scharfen Blick und übt dabei auch Kritik. An Einzelnen, an der Gesellschaft, an sich selbst. Angebliche Feministinnen lassen sich bei ihr statt eines mächtigen Drachens einen braven Pudel tätowieren, oder der heuchlerische Backpacker wird zum ‹Globetrottel› degradiert.

Zur Autorin

Daniela Dill, geb. 1982 in Liestal. Studium in Französischer und Deutscher Literaturwissenschaft an der Universität Basel. Seit 2011 ist Dill als Spoken-Word-Künstlerin, Texterin und Veranstalterin tätig. Ausserdem veranstaltet sie regelmässig Poetry-Slam-Workshops. Dill publizierte in diversen Anthologien, Magazinen, Radiosendungen und auf CD. 2019 übernahm sie die Co-Leitung vom WORTSTELLWERK, dem Jungen Schreibhaus in Basel.

Sprachspiele

Ein solches Spiel mit der Sprache und den Wortklängen zeichnet Dills literarisches Schaffen in Durzueständ aus. Das Mündliche ist in ihren Erzählungen immer anwesend, auch weil die meisten ihrer geschriebenen Sprechtexte in Baaseldytsch verfasst sind, dem Heimatdialekt der Autorin. Das Telefongespräch einer Dame im Zug beispielsweise wird durch die ständigen Wiederholungen zu einem rhythmischen, sinnentleerten Stottern. «Jo und jetzt gengsi ebe noch schnäll uf Basel, hezzi gsäit und: Jo genau, hezzi gsäit: E chly Gmües und es Stuck Fleisch. Är leeri drum grad fü syni Abschlussprüefige, hezzi gsäit und: Jo, genau, hezzi gsäit und: Ar Uni, hezzi gsäit, und: Jo, genau, hezzi gsäit: Wirtschaft, hezzi gsäit und: Jo, genau.» Der Sinn der Wörter geht verloren, sie werden zu leeren Lauten, zu blossem Klang.
Sprache und Sprechen spielen jedoch nicht nur auf der formalen Ebene eine Rolle. Dill reflektiert in zahlreichen Texten auch inhaltlich über die Bedeutung gewisser Sprechgewohnheiten und Redewendungen. So fragt sich das erzählende Ich nachdenklich, was ein «Näi» in der Aussage «Näi, öis gohts guet» überhaupt bedeuten soll. Drei Seiten lang wird überlegt, ob es aus Anstand verwendet wird, ob es als Verteidigungsmechanismus zu verstehen ist oder gar ein Ausdruck für einen tief verankerten Pessimismus sein könnte.

Nicht von schlechten Eltern

An einer anderen Stelle wird es hochphilosophisch, wenn Dill über die Bedeutung des Verbs «sich verwirklichen» sinniert und was es bedeutet, wenn man sich nicht verwirklichen kann: «Wenn si sich nit sött chönne verwürkliche, denn isch si äigetlich au nit verwürklicht, aso nit würklich.» Im Umkehrschluss bedeutet diese Reflexion über das Verwirklichen-Können, dass sie als Künstlerin oder die Kunst als Produkt ihrer Selbstverwirklichung wirklicher ist als die Wirklichkeit selbst.
Hier wird bereits klar, wie eng mit der Reflexion über Sprache auch Überlegungen zu ihrem eigenen Schaffen als Spoken-Word-Künstlerin verbunden sind. In einem Sprechtext beispielsweise entgleitet der erzählenden Poetry-Slammerin mitten auf der Bühne der eigene Text. Dieses Entgleiten wird verdeutlicht, indem sich der Text wortwörtlich verselbstständigt. Genauso sprachreflexiv zeigt sich Dill, wenn es um den Entstehungsprozess einer Idee, um Inspiration geht. Die anfängliche Sexphantasie einer Erzählung entpuppt sich als Lektüre von Kafka, aus der eine Idee zu einem neuen Text entsteht. Körperliche und geistige Elternschaft für ein gemeinsames Kind, ein literarisches Werk, werden hier in gewohnt ironischem Tonfall zusammengeführt.

Mitte und Mass

Diese komplexen Überlegungen zu kreativen Schreibprozessen, aber auch zu gesellschaftlichen und alltäglichen Fragen wirken bei aller Eigenwilligkeit jedoch nie elitär oder banal. Daniela Dill hat ein Feingefühl dafür, das Gewöhnliche mit dem Ungewöhnlichen zu verbinden und die Lesenden stets mit einem Augenzwinkern in ihre eigene Welt mit all ihren wunderlichen Gedanken zu entführen. Gekonnt zeigt sie, was unsere Sprache als das Alltäglichste in unserem Leben alles kann und wie viel Spass das Spiel mit ihr bereithält.

Daniela Dill: Durzueständ. 164 Seiten. Luzern: Der gesunde Menschenversand 2020, ca. 25 Franken.