Von belämmerten Wölfen und an Pflaumen klebenden Zungen

Die Sprache, ein Protagonist – das gilt sowohl für Joshua Cohens Roman Witz als auch für das Gespräch zwischen Cohens Übersetzer Ulrich Blumenbach und Florence Widmer. Mit viel Humor berichtet Blumenbach davon, wie er die englische Satire ins Deutsche übertrug.

Das 900-seitige Buch voller Anspielungen, Metaphern, Homonymen und Bibel-Persiflagen stellte selbst einen erfahrenen Übersetzer wie Blumenbach vor Herausforderungen. Einerseits galt es auf übergeordneter Ebene den Ton zu treffen, denn die Thematik des Romans erfordert viel Feingefühl. In Witz wehrt sich Cohen gegen die Sentimentalisierung der Erinnerungskultur in Bezug auf den Holocaust, indem er sich der Komik bedient.

Andererseits war es schlicht unmöglich, die Fülle sprachlicher Stilmittel der englischen Version eins zu eins zu übersetzen. Es war Blumenbachs erklärtes Ziel, den gleichen Gesamteffekt zu erzeugen, auch wenn dies teilweise nur durch Kompensation gewisser sprachlicher Figuren an anderer Stelle möglich war. Insbesondere der Umgang mit Bibelzitaten war für Blumenbach und Cohen ein wichtiges Thema. Sie entschieden sich für die Verwendung der Luther-Bibel als Vorlage, um einen möglichst grossen Wiedererkennungseffekt bei den Lesenden zu erzeugen, obwohl die Buber-Rosenzweig Übersetzung stilistisch näher an den hebräischen Strukturen wäre. Für Blumenbach war es in dieser Hinsicht von Vorteil, dass er «erzchristlich» aufgewachsen war und die Bibel sehr gut kennt.

Den Prozess des Übersetzens beschreibt Blumenbach in diesem Fall als linear: «Es macht keinen Sinn, Satz B zu übersetzen, wenn ich Satz A noch nicht verstanden habe.» Das ist dem mäandrierenden Erzählstil Cohens sicherlich angemessen, entspricht aber nicht unbedingt Blumenbachs typischer Herangehensweise und verlangsamt die Übersetzungsarbeit beträchtlich. Etwas schneller ging Blumenbach denn auch die Übersetzung von Irene Disches Roman Die militante Madonna von der Hand. Deshalb nimmt sich Blumenbach am Ende der Veranstaltung noch einige Extraminuten Zeit, die Zusammenarbeit mit Dische und dem Verlag zu loben. Als Übersetzer ist es für ihn eine besondere Freude, wenn seine Überlegungen zur Sprache die Autorin zu neuen Ideen anregen. Das Ergebnis ist ein wahrhaft polyphones Buch.

Brücken bauen

Erinnerungen verbinden Menschen. Sie werden erzählt, sie werden in Bildern festgehalten und sie finden Eingang in die Literatur. Aber können sie tatsächlich geteilt werden? Julia Franck, Nino Haratischwili und Brigitte Helbling geben im Podiumsgespräch «Woran wir uns erinnern» vielschichtige Antworten.

Julia Franck, Gewinnerin des Deutschen Buchpreises, stellt fest, dass man in seiner Erinnerung grundsätzlich allein ist. Die Erinnerung beginnt mit dem Ich. Die Einsamkeit der Erinnerung ist auch der vielseitigen Kulturjournalistin und Autorin Brigitte Helbling bewusst, die das Erinnern als «ziemlich mühsamen und ziemlich traurigen Prozess» beschreibt. Es gibt aber Menschen, die sich an dieselben Situationen erinnern, nur aus anderer Perspektive. So erzählt Julia Franck in ihrem neuen Buch Welten auseinander von der tiefen Verbundenheit mit ihrer Zwillingsschwester. Aufgrund der vielen geteilten Momente war es für die Zwillinge immer ein Aushandlungsprozess, die gemeinsame Wahrheit des Erlebten zu ergründen.

Unterstützt werden können kollektive Erinnerungsprozesse auch durch Bilder und Fotografien, wie Nino Haratischwili in ihrem neuen Buch Das mangelnde Licht aufzeigt. Sie betont im Gespräch, dass der Schauplatz einer Fotogalerie in ihrem Buch ihr die Möglichkeit gibt, die Chronologie der erinnerten Geschehnisse aufzubrechen. Durch die Erzählung in Flashbacks wirft Haratischwili die Frage auf, inwiefern die eigene Erinnerung verlässlich ist. Um diesem Zweifel an der eigenen Erinnerung Rechnung zu tragen, verlassen sowohl Franck als auch Helbling in ihren Werken die Ich-Perspektive und lassen auch fremde Stimmen sprechen. Zum Beispiel bezieht Helbling in ihrem neuen Roman Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich sowohl das Tagebuch ihrer Schwiegermutter als auch die Aufzeichnungen ihres Vorfahren mit ein. Dabei geht es ihr darum, eher ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln als harte Fakten darzustellen.

Trotz des schweren Themas haben es die Podiumsgäste unter der Moderation von Lucas Gisi geschafft, eine Verbindung zum Publikum aufzubauen. Nicht selten führten die erzählten Erinnerungen der Autorinnen zu herzhaften Lachern im Saal. Was dabei leider vergessen ging, war die angekündigte Diskussion zur politischen Dimension von Erinnerungskultur.

Noëlle Lee und Jacqueline Kalberer