Brücken bauen

Erinnerungen verbinden Menschen. Sie werden erzählt, sie werden in Bildern festgehalten und sie finden Eingang in die Literatur. Aber können sie tatsächlich geteilt werden? Julia Franck, Nino Haratischwili und Brigitte Helbling geben im Podiumsgespräch «Woran wir uns erinnern» vielschichtige Antworten.

Julia Franck, Gewinnerin des Deutschen Buchpreises, stellt fest, dass man in seiner Erinnerung grundsätzlich allein ist. Die Erinnerung beginnt mit dem Ich. Die Einsamkeit der Erinnerung ist auch der vielseitigen Kulturjournalistin und Autorin Brigitte Helbling bewusst, die das Erinnern als «ziemlich mühsamen und ziemlich traurigen Prozess» beschreibt. Es gibt aber Menschen, die sich an dieselben Situationen erinnern, nur aus anderer Perspektive. So erzählt Julia Franck in ihrem neuen Buch Welten auseinander von der tiefen Verbundenheit mit ihrer Zwillingsschwester. Aufgrund der vielen geteilten Momente war es für die Zwillinge immer ein Aushandlungsprozess, die gemeinsame Wahrheit des Erlebten zu ergründen.

Unterstützt werden können kollektive Erinnerungsprozesse auch durch Bilder und Fotografien, wie Nino Haratischwili in ihrem neuen Buch Das mangelnde Licht aufzeigt. Sie betont im Gespräch, dass der Schauplatz einer Fotogalerie in ihrem Buch ihr die Möglichkeit gibt, die Chronologie der erinnerten Geschehnisse aufzubrechen. Durch die Erzählung in Flashbacks wirft Haratischwili die Frage auf, inwiefern die eigene Erinnerung verlässlich ist. Um diesem Zweifel an der eigenen Erinnerung Rechnung zu tragen, verlassen sowohl Franck als auch Helbling in ihren Werken die Ich-Perspektive und lassen auch fremde Stimmen sprechen. Zum Beispiel bezieht Helbling in ihrem neuen Roman Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich sowohl das Tagebuch ihrer Schwiegermutter als auch die Aufzeichnungen ihres Vorfahren mit ein. Dabei geht es ihr darum, eher ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln als harte Fakten darzustellen.

Trotz des schweren Themas haben es die Podiumsgäste unter der Moderation von Lucas Gisi geschafft, eine Verbindung zum Publikum aufzubauen. Nicht selten führten die erzählten Erinnerungen der Autorinnen zu herzhaften Lachern im Saal. Was dabei leider vergessen ging, war die angekündigte Diskussion zur politischen Dimension von Erinnerungskultur.

Noëlle Lee und Jacqueline Kalberer

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