„Ich hab kein einziges Wort davon geschrieben und trotzdem ist es mein Text“ – Peter Stamm und seine Übersetzer.

Wer meint, schon alles über den vielbesprochenen und allseits bekannten Peter Stamm zu wissen, hätte heute dabei sein sollen. In der bis zum letzten Platz gefüllten Säulenhalle des Solothurner Landhauses stand für einmal nicht der Autor im Mittelpunkt des Geschehens, sondern seine Übersetzer und Übersetzerinnen.

Vier Peter Stamm-Spezialisten aus Russland, Slowenien, Kuba und Schweden unterhielten sich unter der sehr guten Moderation von Angelila Salvisberg über die Herausforderungen ihres Handwerks. So bereiten Maija Zorkaja die scheinbar einfachen Passagen Schwierigkeiten. Wenn also Thomas und Astrid in Weit über das Land zusammen ein Glas Wein trinken, dann bedeutet dies in der wörtlichen Übersetzung ins Russische, dass sie tatsächlich zu zweit nur ein Glas trinken. Korrigiert man nun aber den Inhalt, stimmt der Rhythmus nicht mehr. Ein schmaler Grat zwischen Sinn und Klang.

Anibal Campos muss hingegen Acht geben, nicht ins Pathos zu verfallen, das sich spanischsprachige Leser aus ihrer literarischen Tradition gewöhnt sind. Schliesslich erinnert sich der slowenische Übersetzer Slavo Šerc an ein besonders schwieriges Wortspiel und Jörn Lindskog wollte den von Stamm selbstgewählten Titeln gerecht werden.

Vielleicht war das Gespräch auch deshalb so angenehm zu hören, weil Stamm mit seinen Übersetzern und Übersetzerinnen auch ein freundschaftliches Verhältnis verbindet. Diese schätzen seine Hilfsbereitschaft, aber auch, dass er sie einfach ihre Arbeit machen lässt.

Aufschlussreich war auch zu erfahren, von wem Peter Stamm in den jeweiligen Ländern überhaupt gelesen wird. Während es in Spanien hauptsächlich die Intellektuellen sind, scheint er in den übrigen Ländern einen breiteren Anklang zu finden.

Als die Zeit um war, schien das Thema noch lange nicht ausdiskutiert. Zufrieden waren wir – und auch das Publikum –  mit dem Einblick allemal.

Julia Sjöberg, Sascha Wisniewski

Kein Streit

„Joute de traduction“ heisst die Veranstaltung, an der eine Übersetzerin und ein Übersetzer in den Ring treten und ihre jeweilige Wortwahl verteidigen sollen. Die übersetzten Textpassagen stammen aus Levin Westermanns Gedichtsammlung 3511 Zwetajewa. Valentin Decoppet und Raphaëlle Lacord treffen sich zum Duell und werden sich um Worte streiten, so die Erwartung.

Doch der Moderator Yves Raeber warnt vor: Der Ausdruck „rompre une lance“, „eine Lanze brechen“, könne man ja auch auf zwei Arten verstehen. Einen Gegner töten, könne es heissen, auch aber eine Lanze brechen für jemanden, als Zeichen des Respekts und der Freundschaft. Freundschaftlich geht es zwischen den beiden die ganze Stunde über zu. Was als „joute“, als Turnier oder Wettstreit angelegt ist, wird eher zum freundlich-vorsichtigen Abtasten.

Die beiden Parteien geraten sich einfach nicht so richtig in die Haare. Im zweiminütigen Verteidigungstakt bringen sie Argumente an, weshalb sie einen gewissen Textauszug so übersetzt haben, wie sie ihn übersetzt haben. Wie haben die beiden zum Beispiel „Urzustand“ übersetzt? Die Spannung steigt, die Blicke sind auf die Leinwand gerichtet. Dann erscheint der Text, Decoppet und Lacord lesen ihre Vorschläge vor. Lacord hat sich für „l’état premier“ entschieden, während Decoppet „l’état originel“ bevorzugte. Doch dies bleiben Vorschläge, und oft können sie die Übersetzung des anderen auch ganz gut nachvollziehen.

Raeber versucht immer mal wieder, das Feuer zu entfachen und sie zum Streit anzustiften: „Maintenant il faut tout donner!“, „Jetzt müsst ihr alles geben!“, betont er gegen Ende nochmals. Immer noch kein Streit. Vielleicht heisst alles zu geben in der Übersetzung auch einfach nicht, das Beste zu finden und auf Gedeih und Verderben zu verteidigen, sondern das Gute immer wieder umzudrehen, von allen Seiten her anzuschauen und zu befragen.

Was bei Dir so läuft

Das Übersetzungsatelier im Gemeinderatssaal wartete am Freitag mit einem eingespielten Tag-Team auf: Die alten WG-Genossen Pedro Lenz und Raphael Urweider, die mittlerweile jeder für sich erfolgreiche literarische Wege gegangen sind, verbindet eine sehr spezielle Übersetzungspraxis, nämlich die von Lenz‘ Oberaargauer Mundart ins Schriftdeutsche. Urweider hat diese Quadratur des Kreises nun bereits zum zweiten Mal zu bewältigen versucht; nach Der Goalie bin ig, aus dem bei Urweider Der Keeper bin ich wurde, wurde in diesem Jahr Di schöni Fanny in die Hochsprache transferiert.

Wie es sich für ein Übersetzungsatelier gehört, lag das Augenmerk vor allem auf den besonderen Schwierigkeiten, die solche Projekte mit sich bringen. Auf den ersten Blick wurden diese vor allem in der «allzu grossen Nähe» der Sprachen, also in einem scheinbaren Mangel an echten Differenzen ausgemacht, die auf den zweiten Blick dann eben doch umso stärker zutage treten. Sowohl Lenz als auch Urweider wussten den Abstand zwischen den Sprachen sehr routiniert wie kenntnisreich zu analysieren und zu kommentieren.

Unterscheiden liessen sich zunächst grammatikalisch-idiomatische, strukturell-narrative und poetische Probleme. Da ist zunächst der dann doch eher triviale Aspekt des Vokabulars und die berndeutsche Adoration der unübersetzbaren Ausdrücke, als deren Stellvertreter etwa der «Stürmisiech» herhalten durfte, von dem es mental dann doch ein eher weiter Weg zum «Schwafler» ist, der ja auch in Jonas Lüschers Kraft fröhliche Urstände feiern durfte. Dass das «Schwafeln» nun gerade eigentlich nicht das ist, was Leute auszeichnet, die in Bern einander des Stürmens bezichtigen, liegt auf der Hand; und so ist auch Lenz‘ Jackpot ja eher kein Grosssprecher, der in die eigene Beredsamkeit verliebt ist, sondern jemand, der da, wo ihm seine eigene Leere entgegenfällt, die Worte hineinstopft. In der hochdeutschen Version sieht man diesen Typus schlichtweg nicht und damit gilt es umzugehen.

Eine weitere Hürde stellte, wie Raphael Urweider ausführte, der durch den Text transportierte Zeithorizont dar. Unmöglich ist es, den Präsens/Perfekt-Modus der Mundart in das ausdifferenzierte Tempussystem des Hochdeutschen zu überführen. Auch hier sind das keine Petitessen, denn während die Mundart eher ein dämmerndes, vielleicht auch halluzinierendes Sprechen ist, in dem alles, was geschehen ist, sowohl abgeschlossen wie noch verhandelbar ist (was man sich erst einmal bewusst machen muss, denn daraus resultiert ein wesentlich entspannteres Verhältnis zu den Dingen), ordnet die Hochsprache rigoros die unabänderlichen von den noch zu verhindernden Ereignissen. Den Bewusstseinszustand der Mundart erreicht das Hochdeutsche somit nie – und umgekehrt; und für Texte, deren Protagonisten – man denke auch an den Goalie – sich unentwegt über ihre Bewusstseinsstände definieren, stellt das eine beachtliche Hypothek dar.

Man kann diese scheinbar oberflächlichen, tatsächlich aber in die Tiefen der erzählten Welten reichenden Differenzen fortspinnen: Sie zeigen sich etwa auch in der Kluft zwischen Mundart und Hochsprache, die Lenz‘ Texte selbst mit Bedeutung aufladen und die sich in der Übersetzung nicht mehr semantisieren lässt. (Wie es auch für das Französische gilt, das für ein deutsches Publikum nur partiell mitverwertet werden kann.) Wie stark sich scheinbar nur kulturell-lexematische Ersetzungen auf basale Strukturen wie die Charakterkonstitution auswirken, bemerkt in der Diskussion Franco Supino: Wenn Lenz‘ Jackpot auf einmal das Lied vom «Vogulisi» in seinen Monolog verwebt, welches einem deutschen Leser unbekannt sein dürfte, dann wird in Urweiders Fassung daraus das doch eher an ältlichen Jugendjargon erinnernde «Hätte, hätte, Fahrradkette». Dem Aussagesinn des betreffenden Absatzes schadet das nur bedingt, denn es geht darum, die das eigentliche Ereignis umkreisende Rede lapidar abzuschliessen, was bei Lenz mit einem Hinweis auf das nicht besuchte Berner Oberland, bei Urweider mit der Aussage «Fahrrad fahre ich sowieso nicht» erfolgt. Allerdings geht es in der Passage weniger um den Aussagesinn als um die Performance der Abschweifung, für die sich der Protagonist auch sogleich entschuldigt: eine Abschweifung, die man ihm jedoch nur in der Mundartfassung anlasten kann, weil sich aus der Fahrradkette eben kein Lied machen lässt.

Grundsätzlich bleibt zu konstatieren – auch wenn es nie ausgesprochen wurde -, dass man es hier eigentlich mit einem ontologischen Problem zu tun hat, das sich stilistisch äussert. Die Mundart scheint immer «zuviel» zu sein: Immer wieder kürzen und streichen müsse man bei den Wortwiederholungen, dem gedoppelten «ig», den Füllseln, der Emphase des Sprachstroms, führte Urweider aus. Dass das keinesfalls nur eine Stilfrage ist, sondern an den Kern des Problems rührt, liess sich erahnen, wenn man Original und Übersetzung nebeneinander hielt: Die Mundart erwies sich in ihrer Inszenierung eigentlich immer als Zitat, als eine Montage und Kombination von Sentenzen. Im Grunde bewegt man sich dort immer in einem style indirect libre, der die Sprecherinstanzen von vornherein verunklärt. Stets reden sie im Modus von anderen, rezitieren, wiederholen sich selber und kommentieren das Wiederholte durch weitere Wiederholungen, machen Vergangenes präsent, Fremdes sich zu eigen und das Eigene fremd. Das Nachdenken darüber, «was by Dir so louft», führt da immer schon den Gedanken an einen möglichen, lustvollen Wechsel der Identität, des Lebens, der Schallplatte mit sich, eine gefährliche Neugier, die einen am Ärmel in die Maschine zieht. «Was bei Dir so läuft» – das ist hingegen der Sound eines Milieus, das seinen Ort in den bundesdeutschen 90ern hat und in dem dieser Satz vor allem eine pubertäre Coolness, mithin das Gegenteil von Empathie ausdrückte. Die Meisterschaft von Pedro Lenz besteht genau genommen darin, dass er aus diesem Materialspiel heraus immer wieder Trouvailles, Effekte des Neuen zu zaubern vermag. Das Hochdeutsche kann ihm in diesen Momenten nicht folgen – sondern wirkt in seinen Bemühungen dann äuä scho cheesy.