KW33

Sicher auf verlorenem Posten

Charles Lewinsky

Als einer von drei Schweizer*innen hat es Arno Camenisch mit «Goldene Jahre» auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Auch in seinem neuesten Roman setzt Camenisch auf die Trittsicherheit bewährter Erzählprinzipien und wandelt damit auf ausgetretenen Nostalgiepfaden.

Von Marco Neuhaus
10. August 2020

Arno Camenisch veröffentlicht seine Bücher mit zuverlässiger Regelmässigkeit. Ebenso verlässlich stossen wir darin auf Figuren, die auf verlorenem Posten stehen, die einer im Vergehen begriffenen Welt angehören, gleichsam zwischen die Zeiten geraten sind.

Nach den beiden Skiliftbetreuern Paul und Georg aus Der letzte Schnee gehört auch auch hier wieder einem nett skurrilen Zweiergespann die Bühne: In Goldene Jahre sind es die beiden Kioskbesitzerinnen Margrit und Rosa-Maria, die von der Gegenwart langsam, aber sicher überholt werden. Seit 51 Jahren verkaufen die Bündnerinnen «Heftli», Kaugummi, Lottoscheine und Benzin. Während sie den Kiosk öffnen, Fenster putzen und Magazine sortieren, lassen sie dieses gute halbe Jahrhundert Revue passieren.

«Die Margrit schüttelt es vor Lachen, ja, sie schluchzt, ach, wie wunderbar, hm, wie wundervoll diese Welt doch ist, und wie endlos die Galaxie, es schüttelt sie, dabei wäre das ja bei uns keine Sache, wenn jemand nicht gleich zahlen kann, dann schreiben wir das denk auf, ich habe das Blöckli mit der Bilanz ja immer dabei, und abgerechnet wird dann Ende Monat alles auf einen Klapf tutti quanti, so eine Zauberei ist das nicht, sie lacht und wischt sich auch eine Träne aus dem Augenwinkel».

Es läuft indes nicht mehr wie früher: Umgehungsstrassen und veränderte Konsumgewohnheiten haben dem Kiosk einen grossen Teil der Kundschaft genommen. Aber Camenischs Nostalgie ist genau so wenig bitter wie die seiner Protagonistinnen: Er will liebenswürdige Porträts des Vergehenden zeichnen, ohne mit dem Lauf der Zeit zu hadern. Entsprechend wohlig lautet denn auch der abschliessende Befund: «Solange wir so gut im Schuss sind, kann es rundherum toben und stürmen, wie es will, das hält uns nicht auf» – auch wenn man als Leser*in ahnt, dass hier der Optimismus überschüssig ist. Das klingt so unberührt von Angst, dass es fast ein wenig fremd wirkt.

Zum Autor

Arno Camenisch, 1978 in Tavanasa geboren, schreibt auf Deutsch und Rätoromanisch. Er studierte am Literaturinstitut in Biel, wo er auch heute lebt. Seine viel beachteten Texte wurden in über 20 Sprachen übersetzt.
Foto: © Sébastien Agnetti

Erzählt wird von dieser im Verschwinden begriffenen Welt in Camenischs gewohntem Amalgam aus rhythmisiertem Plauderton, Bündnerdialekt und Rumantsch. Die raffinierte Provinzialität seiner Sprache sieht nach blossem Lokalkolorit aus, ist aber unaufdringlich-clever stilisiert. Motivisch angeordnete Wiederholungen, Exkursfreudigkeit und die vielen Inquit-Formeln erinnern dabei kurioserweise an einen freundlicher gestimmten Thomas Bernhard.

Damit bleibt Autor auch an dieser Front beim Erprobten, ja beim Erwartbaren. Camenischs Bücher sind nicht auf Überraschungen hin angelegt, und auch bei Goldene Jahre merkt man bald, wie der Hase läuft. Wer nicht Hals über Kopf in diese Sprache verliebt ist, mag ihre gütige Gemütlichkeit hie und da behäbig finden. Camenisch tut also gut daran, die Hundert-Seiten-Marke wieder nur knapp zu überschreiten, es hätte wohl auch weniger sein dürfen. So ist Goldene Jahre ein wenig wie seine Protagonistinnen: nett, ein wenig unbesiegt, ein wenig unspektakulär.

Arno Camenisch: Goldene Jahre. 101 Seiten. Schupfart: Engeler Verlag 2020, ca. 25 Franken.