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Die Heldin

Charles Lewinsky

Karl Rühmanns Briefroman erzählt von zwei ehemaligen Kriegsoffizieren und überzeugt vor allem durch seine heldenhafte Frauenfigur.

Von Anton Beck
20. Juli 2020

Als ich Rühmann das erste Mal bei einem Workshop traf, erklärte er gerade einer älteren Dame einige Methoden, die ihr dabei helfen sollten ihre Lebensgeschichte zu Papier zu bringen. Bei unserem Wiedersehen zwei Monate später in einem Zürcher Café sprach er von seinem bevorstehenden Schreibaufenthalt in Meran, von der Arbeit an seinem neuen Roman und dem Dolmetschen für Menschen, die durch sämtliche soziale Raster fielen. Er erzählte von jungen Männern, die nicht mehr laufen konnten, oder zerrütteten Familien. Wir beschlossen, das Treffen bald zu wiederholen.

Dann kam die Pandemie. Und inmitten ihrer Ausbreitung auch Rühmanns neuer Roman Der Held. Eine Kriegsgeschichte. Ein Briefroman. Ein Zeugnis, das von den Nachwehen eines Krieges berichtet, in denen zwei Offiziere, die auf verschiedenen Seiten dienten, ausgeliefert werden und Korrespondenz halten. Ein schwerer, literarisch ja durchaus nicht wenig bearbeiteter Stoff. Dem Rühmann mit der Figur der Ana eine neue Facette hinzufügt: Eine alleinerziehende Mutter, die sich in das Leben der beiden Offiziere einmischt. Unparteiisch kann sie nicht sein, ist doch ihr Mann Opfer des Krieges geworden. Das Leben dieser verwitweten Frau schildert Rühmann fantastisch. Mit Ana erschafft er eine Figur, die sich unverzagt durch die Trümmer ihres Lebens schlägt und jede Mitleidsbekundung im Keim erstickt.

Zum Autor

Karl Rühmann, geboren 1959 in Jugoslawien, studierte Germanistik, Hispanistik und Allgemeine Literaturwissenschaft in Zagreb und Münster. Es folgten Tätigkeiten als Sprachlehrer, Verlagslektor und Dolmetscher. Als Autor veröffentlichte Rühmann nebst Sachbüchern, Romanen und Hörspielen vorwiegend Kinderbücher. Heute lebt er in Zürich als freier Schriftsteller, Literaturübersetzer und Lektor. Ausserdem ist er als Studiengangsleiter an der Story Academy der SAL Zürich der Lehrgänge Literarisches Schreiben und Drehbuchautor/-in tätig. Für seinen Debütroman «Glasmurmeln, ziegelrot» wurde er 2015 mit dem Werkjahr der Stadt Zürich ausgezeichnet. Rühmanns zweiter Roman «Der Held» war für den Schweizer Buchpreis 2020 nominiert.
Foto: © Franz Noser

Ana ist eine gebrochene Frau, die weiss, dass die Welt voll von gebrochenen Menschen ist, und die es sich nicht erlauben kann, sich zu jenen zu zählen. Deshalb klebt sie sich selbst wieder zusammen, schliesslich hat sie ihren Sohn, Miro, um den sie sich kümmern muss. Hinter der klaren und nüchternen Sprache kann die Leser*in den Schmerz Anas, der sich hinter der Fassade verbergen muss, nur erahnen.

Konsequenterweise müsste Der Held daher eigentlich Die Heldin heissen. Die zwei Offiziere mögen auf den Schlachtfeldern über Leben und Tod entschieden haben, doch nun sitzen sie hinter Gittern. Die Männer, denen einst Ruhm und Ehre zuteil wurde, sind  zu Parodien ihrer selbst verkommen. Das manifestiert sich auch in der Sprache ihres Briefwechsels. Es bleiben von den viel von gefeierten Helden, sobald die ganze Propaganda wegfällt, kaum mehr als ein paar Gräueltaten, die schöngeredet werden wollen.

Die Gewinnerin, möchte man sagen, ist Ana. Doch wer beispielsweise Tarantinos Kill Bill gesehen hat, weiss auch, dass nach all den Kämpfen selbst die Gewinner*innen gleichfalls Verlierer*innen sind. Rühmann gelingt es auf diese Weise zu zeigen, dass sich Mächteverhältnisse ganz schnell wandeln können und es nicht schwer ist, ein Feuer zu legen, wohl aber, verbrannte Erde zu bewirtschaften. Und das ist eine Botschaft, die in hitzigen Zeiten aktueller ist denn je – ob in Bezug auf Klima-, Gender- oder andere sozialpolitische Fragen.

Karl Rühmann: Der Held. 264 Seiten. Zürich: rüffer & rub 2020, ca. 29 Franken.

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