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Ars erotica in Zeiten der Pandemie

Mit «Die verbotenste Frucht im Bundeshaus» lieferte Jessica Jurassica eine erotische Kurzerzählung über Sex mit einem Bundesrat und macht damit das sonst wenig beachtete Genre der Fan-Fiction gross. Nun gibt es den «Skandalroman» in gedruckter Form zu kaufen.

Von Nora Trüb
24. Mai 2022

Sex im Bundeshaus

Es ist August 2020, die Schweiz und der Rest der Welt befindet sich mitten in der Pandemie. Dann schlägt ein Text hohe Wellen, und das nicht nur in der Literaturlandschaft, die Zeitungen des Landes berichteten. Jurassica füllt das Sommerloch und gibt den Coronamüden Zucker.

Die verbotenste Frucht im Bundeshaus ist natürlich Alain Berset, Gesundheitsminister und Corona-Übervater der Nation. Wurde die erste Auflage noch mit den Namen Alain Berset publiziert, erscheint er in der neuen Auflage nach Einschreiten der Bundeskanzlei zensuriert unter dem Namen André Béret. Dieser André Béret erlebt ein rassiges Liebesabenteuer mit der Journalistin Melissa Ferrari, von dem der Kurzroman erzählt. Auch Ex-BAG-Ikone Daniel Koch erhält einen Auftritt.

Zur Autorin

Jessica Jurassica (Pesudonym), geb. ca. 1993, aufgewachsen im Appenzellerland, lebt heute in Bern. Sie ist Performerin, Cloud-Literatin und Medienkünstlerin. Ein breites Medienecho erfuhr Jurassica erstmals 2020 mit ihrer satirischen Erzählung «Die verbotenste Frucht im Bundeshaus. Eine erotische Fan-Fiction» (erschienen bei «die yungen huren dot hiv»). «Das Ideal des Kaputten» ist ihr erster Roman.
Foto: © Christoph Ruckstuhl

Futter für alle, die zu Alain Berset beten

«Jessica Jurassica schreibt sich mit einer flammenden, sinnlichen Sprache direkt in die Herzen jedes André-Béret-Fans», lässt uns die Rückseite des Buches wissen, und genau das tut sie. Sie nimmt uns mit zurück in die Zeit, in der wir die Pressemeetings des Bundesrats parareligiös verfolgt haben. Und sie arbeitet sich auf den ersten Blick an einem zentralen Thema ihres Schreibens ab: mächtigen weissen Männern. Entsprechend gross war das Medienecho; in den Kommentarspalten der Zeitungen, die über den Text berichteten, wechselten sich Hass- und Jubelkommentare ab. Vor allem die beitragenden Männer scheinen von der «verbotensten Frucht im Bundeshaus» verwirrt. Wieso aber löst eine Erzählung über Sex eine solche Polarisierung aus? In einem Artikel für das Ostschweizer Kulturmagazin Saiten schrieb Jurassica über erotische Literatur: «Gerade wenn sie von Frauen geschrieben sind, gelten diese Texte als ‹provokativ› oder ‹mutig› – und das offenbart einmal mehr misogyne Strukturen. Was ist daran mutig, als Frau über Sex zu schreiben?» Für einen bürgerlichen Aufschrei passiert in der Kurzerzählung nämlich denkbar wenig, das wirklich schockieren müsste. Demnach fragt Jurassica viel eher, wieso ein Stück erotische Fiktion über konsensuellen Sex derart als Provokation aufgefasst wird und zeigt, dass das Problem nicht bei ihrem Text, sondern bei den Rezipierenden liegt. Indirekt übt sie so also Kritik am Mediendiskurs der Schweiz. Was sie im und durch den Text selbst an Medien kritisiert, wird direkt nach der Veröffentlichung der Erzählung wieder produktiv: Mainstream-Medien, die mit Jessica Jurassicas subkultureller Ästhetik wenig zu tun haben, rezensieren und rezipieren ihren Text, bestimmen, wie man sich dazu zu verhalten hat und entscheiden, was Literatur und was Trash ist.

«Sag es laut, André», forderte sie, «ich muss wissen, ob du es wirklich willst.»

Historisch gesehen hat die Verschränkung von Pornographie und Satire Tradition. Darin schreibt sich Jessica Jurassica mit der «verbotensten Frucht» ein: Wenn man neben die sexuellen Aktivitäten blickt, findet man an satirischer Kritik nämlich viel. Diese zielt jedoch nicht auf den Bundesrat, sondern viel eher auf die Medien ab. Alain Berset zu sexualisieren führt vielmehr zu seiner Humanisierung und führt damit eine Nivellierung zwischen mächtigem Mann und dem Volk herbei. Jurassica nutzt ihre Sprache und ihr Schreiben, um an dieser Machtstruktur zu kratzen. So geht es dem Text also keinesfalls darum, den Bundesrat durch den Dreck zu ziehen. Das respektvolle Miteinander beeindruckt. Melissa und André begegnen sich auf Augenhöhe, beide haben sie vollgepackte Lebensläufe, machen ihren Job gut. Weder nützt André seine Machtposition aus, noch macht Melissa aus der Geschichte eine ‹Story›. Die Höflichkeit und der Respekt, mit denen Jurassicas Figuren einander begegnen, widerspiegelt sich denn auch in der Art und Weise, in der die Figuren konzipiert sind. So legt Jurassica gerade mit André Béret eine empathische, reflektierte Figur an. Als Höhepunkt des respektvollen Gestus erscheint hier die Bondage-Szene auf dem Dach des Bundeshauses: einvernehmliche Unterwerfung pur.

Mit Die verbotenste Frucht im Bundeshaus holt Jessica Jurassica die Erotik in die Mitte der Schweizer Literaturlandschaft. Ihre eindeutige Sprache ist unverblümt, humorvoll und direkt, verschränkt Pandemievokabular und Sex mit Eidgenössischen Werten. Es wird gefickt, aber mit Respekt. Vielmehr als zu provozieren, führt Jurassica also vor, wie konsensbasierte, höfliche Pornoliteratur geht. Und dies tut dem Lesevergnügen keinesfalls einen Abbruch – im Gegenteil.

 

Jessica Jurassica: Die verbotenste Frucht im Bundeshaus. 64 Seiten. Zürich: lectorbooks 2022, ca. 12 Franken.

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