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Ein offenes Buch

Unverschleiert und ungefiltert gibt Lidija Burčak in «Nöd us Zucker» Einblicke in ihr Tagebuch, das sie über 17 Jahre schrieb. Dabei erzählt sie von alltäglichen Problemen, existenziellen Ängsten und mitunter Erfolgen.

Von Simona Savic
1. November 2022

Für die edition spoken script werden Texte produziert, die vorab fürs Mündliche konzipiert wurden. Darunter ist auch Lidija Burčaks Nöd us Zucker zu finden. Über rund 180 Seiten erstrecken sich Auszüge aus ihrem ganz persönlichen Tagebuch, das sie im Alter zwischen 15 und 32 Jahren geschrieben hat. Die Lesenden begleiten die junge Frau also hautnah durch ihr Leben. Von den typischen Teenie-Unsicherheiten über den ersten Liebeskummer bis hin zu Studienabschluss und Jobsuche – Burčak erlaubt ihrer Leserschaft tiefe Einblicke in ihr Privatleben. Was anfangs lediglich wie ein typisches Teenie-Tagebuch aussieht, bietet inhaltlich allerdings mehr. Wiederkehrende Personen, Themen und Gefühle begleiten die Autorin aus Winterthur durch verschiedene Lebensphasen. Die Auseinandersetzung mit ihrer Identität als Kind von jugoslawischen Einwanderern thematisiert Burčak beispielsweise wiederholt auch sprachlich, wenn sie zwischen schweizerdeutsche Zeilen kroatische Ausdrücke streut. Auch die wichtige Rolle ihrer Jugendliebe und die späteren Liebschaften zeigen anschaulich, welche Konflikte und Erfahrungen die junge Frau in den jeweiligen Lebensabschnitten prägen. Dabei offenbart Burčak stets ihre eigene Gefühlswelt. Ob Freude, Aufregung oder Frustration – ganz unverstellt erreicht die Leser*innen das breite Spektrum an Gefühlsschankungen.

Zur Autorin

Lidija Burčak, geb. 1983 in Winterthur, absolvierte eine kaufmännische Lehre und anschliessend ein Studium in Visuelles Anthropologie an der Goldsmiths University, London. Daraufhin arbeitete sie als Journalistin für Radio, Fernsehen und Online Medien (NZZ Format, 3sat, SRF, Arte). Heute ist Burčak als freie Autorin und Filmschaffende tätig. Mit «Nöd us Zucker» veröffentlicht Burčak ihr erstes Buch, das eine Sammlung von Tagebuchtexten enthält.
Foto: © Yves Bachmann

Intime Sprache

Authentisch sind Burčaks Tagebucheinträge nicht nur inhaltlich, sondern ganz klar auch sprachlich. Für die Veröffentlichung wurden nur die Namen der Personen geändert und Schreibfehler korrigiert. Abgesehen davon sind die Einträge in jenem Wortlaut erschienen, den die Autorin tatsächlich beim Schreiben ihres Tagebuches verwendet hat. Die einfache und jugendliche
Sprache untermauert somit die detaillierten und intimen Erlebnisse und Erfahrungen. Da diese Tagebuchtexte fürs Mündliche entworfen wurden, fühlt man sich beim Lesen so, als würde Lidija Burčak diese Auszüge persönlich in einem Gespräch widergeben. Dabei schöpft sie die verschiedenartigen Techniken der Schrift, das Mündliche zu simulieren und zu inszenieren, reichlich aus, indem sie mit Interpunktion, Grossschreibung und mündlichen Ausdrücken arbeitet.

Hohe Identifikation

Burčaks Tagebuchtexte, die Erlebnisse und Emotionen aus 17 Jahren Lebenszeit wiedergeben, erzeugen eine öffnende Nähe, bei der man sich bald Teil einer Geschichte fühlt. Gespannt liest man weiter, fiebert mit der Protagonistin mit und fragt sich, welchen Lebensweg sie schliesslich einschlagen wird. Oft sind es nicht nur persönliche Sachen, die die junge Autorin während des Schreibens thematisiert. Gesellschaftliche Phänomene und Probleme durchziehen gleichermassen ihre Tagebucheinträge und werfen damit Schlaglichter auf Themen, die jede*n früher oder später mal beschäftigen. Wenn sie als Teenagerin an ihren Unsicherheiten leidet oder sich als junge Erwachsene fragt, wo ihr Platz in der Welt ist, spricht sie Konflikte an, die zur conditio humana gehören. Ausgehend von ihrem persönlichen Empfinden benennt sie Erwartungen, Ängste und Herausforderungen, die nicht nur sie persönlich, sondern eine ganze Generation begleiten. Durch die ungeschönte und ehrliche Wiedergabe dieser Empfindungen findet sich sicherlich jede*r beim Lesen irgendwo selbst wieder.

Lidija Burčak: Nöd us Zucker. 196 Seiten. Luzern: Der gesunde Menschenversand 2022, ca. 25 Franken.

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