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«ich spuckte und schluckte ihre Worte»
Olga Lakritz erzählt in ihrem Romandebüt «Das Ampfermädchen» eine Familiengeschichte, die im Aufbrechen von Zeitordnungen und Identitäten literarisch den Widerstand erprobt.
Ein Mädchen wächst im Schatten ihrer älteren Schwester auf, übernimmt mit den alten Kleidern auch deren Sprache, kämpft vergeblich gegen sie um die Anerkennung der Mutter. Doch dann stirbt die Mutter und die Familie zieht vom Bauernhof in die Stadt, an die Stelle des roten Ampfers tritt grauer Asphalt. Der Vater schweigend am Küchentisch, die Schwester kaum zuhause, ist die Ich-Erzählerin plötzlich auf sich selbst gestellt.
Emanzipation durch Anachronie
Scheint sich Ampfermädchen auf den ersten Blick in die zurzeit boomenden Familiengeschichten einzureihen, so wird beim Lesen schnell deutlich: Familie wird hier auf eine ganz eigene Weise verhandelt, denn sie existiert eigentlich nur noch in der Vergangenheit. Stattdessen erzählt dieser Roman vor allem davon, wie sich eine junge Frau von familiären Mustern emanzipiert. Die Protagonistin entdeckt die Stadt bei Nacht, Freundschaften entstehen – nur, um sich dann wieder aufzulösen –, und sie färbt ihr strohblondes Haar blutrot. Aber vor allem beginnt sie ihren eigenen Platz zu suchen. Sie spürt ihren Erinnerungen nach und versucht diese neu zu schreiben, versucht sich ihren eigenen Platz hinein- und aus dem Schatten der Schwester rauszuschreiben. Versucht die eigene Sprache und damit eine Form der Selbstbestimmung zu finden.
Zunehmend unscharf wird dabei die Trennung von Vergangenheit und Gegenwart: Die Mutter sitzt als Geist in der Küche und die Erinnerungen der Protagonistin beginnen nicht bei ihrer eigenen, sondern bei der Geburt ihrer älteren Schwester. Einzelne Passagen tauchen immer wieder auf, werden wiederholt neu erzählt und umgeschrieben. Die einzige Zäsur: der Tod der Mutter. Stellenweise droht diese zeitliche Vermengung ins Unverständliche zu kippen, inhaltlich passt sie so umso besser.
Entzug als poetisches Programm
Schweigen und Unsicherheit dominieren den Text, eine zweifelnde Erzählerin, die sich mit nichts so richtig sicher ist, vor allem nicht, wieso sie geboren wurde und ob sie überhaupt hier sein sollte. Dieses suchende, zögernde Schreiben bringt auch Längen und Redundanz mit sich, so kommt man beim Lesen zuweilen mal ins Stocken, wird ungeduldig. Weiterlesen will man dennoch. Denn Lakritz überzeugt mit einer präzisen, poetischen Sprache voller Rhythmus, die den Spoken Word-Hintergrund der Autorin erkennen lässt. Das Faszinierendste jedoch bleibt die Figur selbst, die sich bis zum Schluss den Leser:innen, und sich selbst, entzieht.
Olga Lakritz: Das Ampfermädchen. 224 Seiten. Zürich: Geparden Verlag 2023, ca. 29 Franken.