Die hohe Kunst der Unterhaltung

Bücher, die der Unterhaltungsliteratur zugerechnet werden, stehen nicht im Fokus eines Literaturstudiums, finden aber Hundertausende von Leser*innen. Umso gespannter bin ich, als ich das türkise Erkerzimmer im «Karl der Grosse» betrete. Hier wird sich Christine Lötscher, Professorin für Populäre Genres an der Uni Zürich, mit vier heimlichen Schweizer Bestsellerautorinnen über ihr Schaffen unterhalten.

Gleich zu Beginn hält Christine Lötscher fest, dass eben nicht von ‹Trivialliteratur› gesprochen werden soll. Was heute im Fokus stehe sei «leicht zu lesen, aber schwer zu schreiben». Sie schlägt vor, stattdessen auf die Begriffe ‹Genreliteratur› oder ‹Unterhaltungsliteratur› zurückzugreifen. Bei Unterhaltungsromanen steht vor allem die Geschichte im Zentrum. Die Sprache ist Werkzeug und nicht Selbstzweck. Wichtig ist, dass sich die Leser*innen einerseits mit den Figuren identifizieren, andererseits aber auch in eine andere Welt abtauchen können. Grosse Gefühle, bildhafte Beschreibungen und ein spürbarer Genre-Bezug (etwa Krimi, Fantasy, Historienroman, Romanze) runden den perfekten Wohlfühl-Roman ab.

Nach dieser Einleitung kommen die Autorinnen – Ladina Bordoli, Claudia Dahinden, Nadine Gerber und Priska Lo Cascio – zu Wort. Mit ihren Büchern bedienen sie unterschiedliche Genres und auch ihre Arbeitsabläufe unterscheiden sich deutlich voneinader: Während Gerber bisher ihre vollendeten Romane in Eigenregie an Verlage geschickt hat, arbeiten Bordoli und Lo Cascio eng mit Literaturagenturen zusammen. Ihre Agent*innen machen sie auf besonders gefragte Themen aufmerksam und die Autorinnen schreiben die Romane danach quasi auf Auftrag. Gewisse Vorgaben sind damit gegeben, dennoch bleibt Raum für Kreativität. Dass Fantasie allein aber nicht ausreicht, macht besonders Dahinden klar, die von ihrem Schnuppertag im Uhrengewerbe erzählt – alles natürlich zu Recherchezwecken.

Gemeinsam ist den vier Autorinnen der Wunsch, Geschichten zu erzählen. Hinter dem Schreiben steckt aber selbstredend nicht nur Leidenschaft, sondern auch harte Arbeit. Wie löse ich Emotionen aus, ohne pathetisch zu werden? Wie beschreibe ich möglichst sinnlich, ohne alles flach herauszuposaunen? Wo lauern Klischees und wie komme ich zu authenthischen Geschichten? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Bordoli, Dahinden, Gerber und Lo Cascio immer wieder von Neuem.

Durchaus ein bisschen frustriert zeigen sich die Autorinnen vom Literaturbetrieb: Es sei schwierig, aus der grossen Masse herauszustechen, wenn man im Feuilleton keine Aufmerksamkeit erhalte. Alle vier fänden es schön, in den arrivierten Medien einmal Rezensionen zu den eigenen Bücher zu sehen. Auch einen Buchpreis für Unterhaltungsliteratur wäre in ihren Augen wünschenswert. Das Publikum stimmt dem in der anschliessenden Diskussion euphorisch zu. Die wenigen Besucher*innen sind entrüstet über die scharfe Trennung zwischen Unterhaltungs- und Hochliteratur, Begriffe wie ‹elitär› oder ‹Bildungsbürgertum› fallen.

Diese Verhärtung der Fronten trübt den sorgfältig moderierten und von den Autorinnen mit Witz und Verve bestrittenen Abend dann leider zum Schluss. Das «Etikett Hochliteratur» wird schliesslich sogar als Grund genannt, um ein Buch nicht zu kaufen. Ich zucke leicht zusammen und hoffe, dass man mir die Germanistikstudentin trotz Moleskine-Heft und Hornbrille nicht ansieht. Zuhause stelle ich Proust und Vergil zwischen meine Urlaubkrimis. Möge sich Dido heute einen Espresso und Commissaire Dupin ein in Tee getunktes Madeleine genehmigen.

Ein Plädoyer für das Primat der Sprache

Die Einführung zu Lukas Bärfuss stellte den Autor als einen public intellectual vor, der nicht nur im Literarischen seine Stimme an die Öffentlichkeit trägt, sondern sich auch sonst gerne in verschiedenste Diskurse einmischt. Den Beweis dafür lieferte Bärfuss gleich in seinen eröffnenden Worten: gefragt, ob er die Zentralbibliothek häufig besuche, rühmte der Schriftsteller die Möglichkeiten und Privilegien, welche die Freihandbibliothek bietet, und appellierte daran, davon Gebrauch zu machen. Er selbst ginge jeweils durch die Gänge und greife sich einfach ein Buch heraus, um aus seiner Bubble herauszugelangen.

Bärfuss verriet im Gespräch mit Moderatorin Martina Läubli, wie er zum Schriftsteller wurde. Alles beging ganz einfach: mit einer Behauptung. Einer Vorstellung. Und damit auch einem Ziel. Mittlerweile ist Schreiben für Bärfuss «eine Existenzform, eine Art, sich zur Welt zu verhalten», wie Läubli es formulierte. In diesem Sinne ist Schreiben für den Autor keine einsame Arbeit. Vielmehr tritt Bärfuss in ein Verhältnis mit einem Gegenüber, welches er sich erschafft. Im Zwiegespräch mit seinem Bewusstsein, macht der Autor die Beziehung zwischen dem Selbst und der Welt für das Schreiben fruchtbar.

Im Rahmen der Veranstaltung las Lukas Bärfuss zwei Geschichten aus seinem Erzählband Malinois vor. In der ersten, mit dem Titel Safety First oder Etwas über die Lüge, geht der Autor der Relativität der Lüge nach, die je nach Standpunkt anders bewertet werden muss. In einer guten Erzählung, so der Schriftsteller, heben sich Lüge und Wahrheit gegenseitig auf. Im Zentrum eines Textes steht nämlich seine Anschaulichkeit. Gute Geschichten enthielten ihre eigene Wahrheit, meinte der Schriftsteller.

Der zündende Funke für eine Erzählung ist für Bärfuss ein Gefühl, ein Bild oder ein Problem, das ihn nicht loslässt. Um herauszufinden, was ihn daran herumtreibt, erkunde er die eigene Vorstellung mittels Sprache. Aus dem Fortgang des Gesprächs zog Bärfuss die Erkenntnis, dass er eigentlich einen Text verfassen müsste über den grossen Einfluss, den Sprache und Vorstellung auf unser Bewusstsein haben. Pointiert meinte er: «Alles, was ist, war zuerst eine Vorstellung, ein Gedanke – dieser Raum, alle Kleider, die wir tragen, und so weiter!» Besonders der Umstand, dass die Wichtigkeit von Sprache und Vorstellung kaum Teil des Allgemeinwissens sei, schockierte den Wortkünstler; gerade in Zeiten von politischer Manipulation und Fake News.

Die Lesung führte vor, wie wichtig die klangliche und rhythmische Komponente seiner Geschichten für Bärfuss sind. Die Texte des Büchner-Preisträgers entwickeln eine eigene Dynamik, in denen Bilder aufscheinen, sich verwandeln, vorbeiziehen. Zurück bleibt dennoch eine gewisse Spannung und Rätselhaftigkeit, denn «nur so bleibt etwas zum Nachdenken übrig».