«Dürfen Schwarze Blumen Malen?»

Vom 15. bis ins 21. Jahrhundert erzählt Sharon Dodua Otoos Roman «Adas Raum» die Geschichte von Ada. Ein Name, der viele Figuren in sich vereint. Ebenso wie die zeitliche Spanne ist auch die geografische breit: Die Autorin führt uns von der Küste Westafrikas nach Nordeuropa. Zusammenhänge zwischen den einzelnen Protagonistinnen gibt es viele: Ein Armband, das durch die Geschichte reist. Alle Figuren erleben Traumata. Und alle Figuren erleben Diskriminierung(en). Dabei versucht Otoo herrschende Machtverhältnisse in ihrer Komplexität darzustellen. Beispielsweise ist eine Hauptfigur einerseits verschiedenen Diskriminierungsformen wie Sexismus und Rassismus ausgesetzt. Andererseits hat diese durch ihre soziale Schicht Privilegien, die sie ausnutzt. 

Es ist Freitag Abend im Karl der Grosse. Der Saal ist gut besucht. Immer wieder Gelächter. Traudl Bünger moderiert das Gespräch mit Sharon Dodua Otoo. Die Autorin begegnet dem Publikum mit viel Charme, Witz und einer entwaffnenden Direktheit. So erzählt Otoo uns beispielsweise, wann genau sie begann, als berühmte Autorin zu arbeiten. Berühmt ist sie in der Tat: Nicht zuletzt gewann Otoo 2016 den Ingeborg-Bachmann-Preis. 

«Adas Raum» gerät aus dem Gesprächsfokus, als sich Bünger und Otoo dem Thema Rassismus im Kulturbetrieb widmen. So kommt zur Sprache, wie sich die Autorin mit befreundeten Schriftsteller:innen of Color wie Shida Bazyar «Drei Kameradinnen» und Olivia Wenzel «1000 Serpentinen Angst» über Interviewfragen unterhält. Eine Frage wird allen dreien besonders oft gestellt: Inwiefern denn ihre Literatur autobiographisch sei? Kaum ein Gespräch ohne diese Frage. Je länger ich darüber nachdenke, desto unpassender finde ich diese Frage. Zu unterschiedlich sind die Romane von Wenzel, Bazyar und Otoo in Form und Inhalt. Ausserdem erzählt «Adas Raum» auch von historischen Persönlichkeiten wie Ada Lovelace. Weiter wird auf der Bühne auch über den Repräsentanzdruck von nicht-weissen Autor:innen gesprochen. Eine Schwarze Autorin muss immerzu repräsentieren. Das äussert sich nicht nur in Interviewfragen, sondern auch in der Literatur selbst: Da es nicht viele Schwarze Figuren in der deutschsprachigen Literaturwelt gibt, kommt deren Skizzierung ein grösseres Gewicht zu, so Otoo. 

Figurenvielfalt auf dem Buchumschlag von «Adas Raum»
© Sita Ngoumou

Bünger formuliert darauf vorsichtig die Frage, ob denn ein weisser Mensch über Rassismus schreiben dürfe? Otoo antwortet postwendend: «Unbedingt!» Darauf kommt Otoo auf die Diskussionen um die diesjährige Frankfurter Buchmesse zu sprechen. Jasmina Kuhnke sagte ihren Auftritt ab, weil der Jungeuropa-Verlag, dessen Verleger Philip Stein ein rechtsextremer Aktivist ist, einen Stand auf der Messe hatte. Otoo plädiert für Solidarität; sie wünscht sich, dass insbesondere weisse Menschen sich mit dem Thema auseinandersetzen und für Kuhnke einstehen sollten.

Zwischendurch liest uns Otoo aus «Adas Raum» vor, treibt unsere Gedanken weg vom Kulturbetrieb und hinein in Adas Geschichte. Auffallend ist dabei nicht nur die lebendige Lektüre Otoos, sondern auch die Kreativität in ihrer Sprache. Diese schöpft sie auch aus Grenzen, die ihr durch ihr Geschlecht und ihre Hautfarbe gesetzt werden. Neben dem Druck zur Repräsentanz als Schwarze, stört sich Otoo auch ab dem Begriff «Frauenbuch». «Was soll das überhaupt sein?» fragt sie sich und das Publikum. Nur weil sie weibliche Hauptfiguren ausgewählt habe, sei dieser Begriff noch lange nicht angemessen. Otoo bricht mit den Kategorien Frau und Mann, indem sie herrenlos und frauenlos als Synonyme verwendet. Ein weiteres Beispiel gibt der Titel von Otoos Klagenfurter Rede zur Literatur von 2020: «Dürfen Schwarze Blumen Malen?» Da die Autorin alle Wörter grossschreibt, erhält die Frage einen doppelten Boden, wie sie uns Zuhörer:innen erklärt. Dürfen schwarze Blumen malen? Dürfen Schwarze Blumen malen? Ebenso prägnant wie niederschwellig vermittelt die Autorin uns damit die Macht der Sprache. Oder wie es ein Zitat aus Otoos Klagenfurter Rede auf den Punkt bringt: 

»›Lehrer*innen‹ hat nicht die gleiche Bedeutung wie ›Lehrerinnen und Lehrer‹, ›Fremdenfeindlichkeit‹ schreibe ich nicht, wenn ich ›Rassismus‹ meine, und ›schwarz‹ ist nicht gleich ›Schwarz‹.«

Gespitzte Ohren, gespitzte Federn

Luftig, warm, duftend: So stellt man sich die Geschichten vor, die in der GeschichtenBäckerei am Predigerplatz das Licht der Welt erblicken. Neugierig wage ich das Experiment und versuche mich unter Anleitung von Franz Kasperski im kreativen Schreiben.

In der GeschichtenBäckerei herrscht am Freitagmorgen Grossandrang: Der Workshop ist ausgebucht, alle Plätze sind besetzt. Die verwinkelten Altstadt-Räume mit Kaffeeküche versprühen eine gemütliche Atmosphäre; nichts scheint natürlicher, als sich hier an einen der Tische zu setzen und seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Anfang 2020 öffnete die GeschichtenBäckerei ihre Tore, seither bieten Gabriela und Franz Kasperski hier Schreibkurse an. Beide sind seit Jahren als Autor*innen tätig und schöpfen aus einem grossen Erfahrungsschatz.

Wir starten heute mit einer Übung, die das Gehirn «in Aufregung versetzen» soll. Gemeinsam mit meiner Tischnachbarin verfasse ich schweigend eine Geschichte. Abwechslungsweise dürfen wir genau ein Wort festhalten – und tranieren in den folgenden Minuten unsere Frustrationstoleranz. Die Story rund um ein panamaisches Huhn kommt nur langsam in Schwung. Auch bei der anschliessenden Übung darf man die anderen Kursteilnehmer*innen nochmals richtig ins Schwitzen bringen: Wer auf das Wort «Teufel» reimen soll, wird sich gewiss ein paar Zähne ausbeissen.

Weiter geht es klassisch mit der Écriture automatique, wobei ohne Unterbruch geschrieben werden soll – ganz egal, was dabei auf das Papier kommt. Anschliessend müssen wir aus ebendiesen Texten einzelne Wörter herausgreifen und auf kleine Zettel übertragen. Meine Partnerin hält anschliessend Wort-Zettel für Wort-Zettel in die Höhe und ich soll im Teleprompterstil eine Geschichte «ablesen». Es ist leichter als gedacht, die disparaten Stichwörter in meiner Geschichte unterzubringen. Richtig knifflig wird es, wenn meine Partnerin länger kein Wort nachliefert und mir der zündende Impuls von aussen fehlt.

In der letzten Übung muss einer solchen Impro-Geschichte ein individuelles Ende angedichtet werden. Selbstredend entstehen ganz unterschiedliche kurze Erzählungen. Die neunzig Minuten sind schnell vorüber. Immer wieder gab Franz Kasperski Inputs, Regeln zum «guten Schreiben» werden hier aber keine gelehrt. Vielmehr geht es darum, die Lust am Prozess selbst zu wecken. Statt peinlichem Vorlesen vor versammeltem Plenum stehen herausfordernde und abwechslungsreiche Übungen zu zweit auf dem Programm. Immer wieder schallt lautes Lachen durch die Räume: In dieser unbeschwerten Atmosphäre braucht es glücklicherweise keinen Held*innenmut, um etwas zu wagen.