Mehr als 280 Zeichen Einsamkeit

Seit März diesen Jahres veröffentlichen Jugendliche und junge Erwachsene Kürzestgeschichten auf dem dafür eingerichteten Twitter-Account @JULLinderStadt. Die 280 Zeichen langen Texte, die dadurch bis September entstanden sind, kann man nun auch analog lesen. Vorgestellt wurde das Heft im Rahmen dieser Lesung, die aufgrund der aktuellen Lage nun notgedrungen als Instagram-Live auf dem JULL Instagram-Account stattgefunden hat.

Betreut werden die schreibenden Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren von der Autorin Gina Bucher. Sie ist der Schreibcoach in diesem Projekt und unterstützt die Jugendlichen in ihrem Schreibprozess.

Als JULL-Stadtbeobachter*innen haben die Jugendlichen in diesen Mini-Erzählungen die Zeit der Pandemie verarbeitet und literarisch begleitet. Vorgelesen werden die Kürzesttexte abwechselnd von drei Twitter-Poet*innen. Chronologisch, mit Datum, Ortsangabe und ohne Pause. Dadurch entsteht tatsächlich so etwas wie ein Twitter-Feeling auf Instagram, ausgelöst durch eine analoge Lesung. Tönt nach viel? Das ist es auch, denn die Texte sind mehr als ein paar flüchtige Zeilen auf Social Media. Es sind Zeitzeugen einer Zeit, die uns gerade wieder zu überrollen scheint.

Leider wurde die Lesung in den besten Zeiten nur von 11 Zuschauern verfolgt. Doch für alle, die nun doch noch reinhören möchten, ist der Live-Stream auf dem JULL Instagram-Account gespeichert und jederzeit abrufbar.

Literatur trifft Twitter

Wenn junge Menschen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren Mini-Erzählungen für Twitter verfassen, so scheint es dem Medium angemessen, dass diese – coronabedingt – bei «Zürich liest 2020» im Instagram-Livestream vorgelesen werden. Die Rede ist von den Stadtbeobachter*innen des Jungen Literaturlabors (JULL), die von der Buchautorin Gina Bucher begleitet werden. Seit Anfang Jahr tweeten sie Kurzerzählungen über das Leben in und ihre Sichten auf Zürich – natürlich mit maximal 280 Zeichen (inkl. Leerzeichen).

Wie gestaltet sich das nun konkret? So zum Beispiel: Arzije, Dorijan und Malin, drei der zahlreichen Stadtbeobachter*innen, lesen im Livestream in abwechselnder Reihenfolge die Kurztexte vor. Darunter mischt sich immer wieder ein etwas längerer Text, der nicht für Twitter geschrieben wurde. Die Lesung klingt wie ein kollektives Corona-Tagebuch aus Zürich und thematisiert, was viele – und nicht nur junge Menschen – beschäftigt: vom stressvollen Rückweg aus dem Ausland, als Covid-19 aufkam, vom Umgang mit Masken und Desinfektionsmitteln, von der Freude, Freunde wiederzusehen, – und vom ersten Clubbesuch nach dem Lockdown. Die Texte sind eingängig und wohlformuliert – und als die Lesung nach etwa 30 Minuten zuende ist, glaubt man kaum, dass gerade ein halbes Jahr im Miniaturformat an einem vorübergezogen ist.

Für uns bei «Zürich liest»:
Laura Barberio

Erzählungen mit 280 Zeichen. Laura freut sich darauf, am diesjährigen «Zürich liest» die Textsorte Twitter näher kennenzulernen und ist gespannt, was die Mini-Erzählungen auf @JULLinderStadt können und was nicht.

Laura studiert im Master Germanistik und Kommunikationswissenschaft & Medienforschung an der Universität Zürich. Momentan ist sie im Herbstrausch und erfreut sich an allem, was knistert, orangefarben leuchtet, kuschlig warm ist und nach Pumpkin Spice oder gebratenen Marroni duftet.

Für uns bei «Zürich liest»:
Florian Koller

Wenn in Zürich in diesem Jahr wieder fleissig gelesen und emsig diskutiert wird, dann wird Florian im Rahmen von «Zürich liest 2020» erstmals spannende Einblicke fürs «Schweizer Buchjahr» liefern. Er interessiert sich besonders für zeitgenössische Diskurse und ihre Thematisierung in der Literatur.

Deshalb lauscht er am Mittwoch den Twitter-Poetinnen und -Poeten des Jungen Literaturlabors, die seit Anfang Jahr mit Mini-Erzählungen auf sich aufmerksam machen. Anschliessend freut er sich auf den Schriftsteller Jens Steiner und die Schriftstellerin Seraina Kobler, die mit neuen Werken aufwarten. In der aktuellen Situation darf für ihn auch eine Podiumsdiskussion über die Funktion der Literatur in Krisenzeiten nicht fehlen.

Florian studiert Deutsche Sprachwissenschaft und TAV (Theorie – Analyse – Vermittlung) im Master an der Universität Zürich.