Brüchige Welt

Mit eineinhalb Meter Abstand positionieren sich am Donnerstagabend im «Karl der Grosse» der Schriftsteller Jens Steiner, die Schriftstellerin Seraina Kobler und die Moderatorin Traudl Bünger auf dem Podest. Ihnen gegenüber setzen sich so langsam Zuhörerinnen und Zuhörer – bestens ausgestattet mit Masken. Im Zentrum der Lesung stehen Jens Steiners Episodenroman Ameisen unterm Brennglas und Seraina Koblers Debütroman Regenschatten.

Nach einer kurzen Vorstellung liest Seraina Kobler einige Passagen aus ihrem Werk. Sie entwirft dabei das Szenario von einer aus den Fugen geratenen Welt, das für zeitgenössische Leser den dystopischen Charakter teilweise verloren hat: Zürich ist geprägt von einer Megadürre und mitten drin sind zwei Verliebte, die ein Kind erwarten und sich die Frage stellen, ob sie das Kind behalten oder abtreiben sollen. Eine Parallele zur momentanen Ausnahmesituation mit Covid-19 wird relativ schnell gezogen. Sie habe sich zu Beginn der Pandemie gefragt, ob sie nicht doch lieber eine Utopie inszeniert hätte, da gewisse Handlungen im Roman gar nicht mehr so realitätsfremd scheinen, so Kobler.

Auch Jens Steiners Roman inszeniert eine brüchige Welt, entwirft ein Gesellschaftsportrait und zeichnet dabei die Verhaltensmuster der Figuren in seiner Erzählung akribisch genau nach. Den Tieren schreibt Jens Steiner – gefragt nach einem für ihn faszinierenden Element in seinem Erzählen – die Funktion der Aussenstehenden, Beobachtenden zu, die das komische Verhalten der Menschen spiegeln.

Als ich das Gebäude verlassen habe, ziehe ich die Maske aus und denke nochmals über das Gesagte nach: Mir imponiert, wie genau Seraina Kobler und auch Jens Steiner gesellschaftliche Tendenzen und Probleme – gerade auch der Corona-Zeit – in ihren Romanen beschreiben.