Poetry is dead, long live Poetry!

Wenn Tom Gabriel Fischer, Mitbegründer der einst global erfolgreichen Metal-Band «Celtic Frost», und Philipp Theisohn, Germanistikprofessor an der Universität Zürich, zum Gespräch laden, findet sich im Lesungssaal nicht unbedingt das bekannte Literaturhauspublikum ein. Und auch der Ton auf der Bühne entspricht nicht dem allzu Erwartbaren.

«Tja, was machen wir?», eröffnet Theisohn den Abend und stellt sogleich zu Beginn klar, dass hier kein verkopftes literarisches Quartett zu erwarten ist. Quartett schon gar nicht, denn aus dem Trio ist leider ein Duo geworden, der Dritte im Bunde, Schriftsteller und Journalist Dietmar Dath konnte leider coronahalber nicht einreisen. The virus is a satan, an dieser Stelle.

Was machen sie also? In guter alter Oberseminar-Manier versucht Theisohn zunächst, einen gemeinsamen Horizont herzustellen und das Wesen des Heavy Metal zu befragen. Dazu Fischer, der durchaus Parallelen zum Punk sieht: «Es geht um die Sicht auf die Welt, eine Perspektive, die der Text einem gibt.» In diesem Kontext verweist Theisohn auf Fischers Buch mit dem eher weniger zweideutigen Titel «Only Death Is Real», das er für den Agglo-Diskurs der 1980er als kulturarchäologisch wesentlich erachtet. Fischer bestätigt diese Einschätzung und plaudert aus dem pubertären Nähkästchen auf dem Land und betont, dass es darum vor allem darum ging, aus ehrlichen Motiven zu handeln. Und immer darauf zu achten, dass aus der Gegenbewegung von gestern nicht der Mainstream von morgen werde.

Diese Kritik am Mainstream – auffällig auch in der Punkszene –, und das Gerede davon, nicht Sklave des Konsums und des Markts sein zu wollen, steht allerdings heute selbst in auffälliger Nähe zum Mainstream. Anhand eines äusserst amüsanten «Manowar»-Videos gibt Theisohn deshalb zu bedenken, dass jede behauptete Authentizität immer auch als Inszenierung verstanden werden könne und durchaus auch müsse. Das erste Mal fällt die These, dass auch Metal letztlich Bedürfnisse erfüllt, beispielsweise im Zelebrieren eines Heldenkults. Mit Held*innen kennt sich die Germanistik indessen aus, und so wagt sich Theisohn schliesslich an die ganz grosse Auslegung: «Wo steht hier das Ich?»

So viel Universität war im Entstehungsprozess aber offenbar nicht intendiert: «Wir waren damals Bubis», sagt Fischer und wünscht sich offenkundig ein anderes Thema. Hätte Dath hier geholfen?

Theisohn lässt aber nicht locker und versucht, über den Begriff des Tyrannen einen neuen Zugang zu bauen, verweist auf dessen Ambivalenz. Doch Fischer zieht es eher zu seinen Erinnerungserzählungen aus der Szene.

Metal ist nicht für den Schongang bekannt, und so versucht Theisohn nochmals mit dem Thema Drastik einen gemeinsam Zugang zu finden. Was also bedeutet Metal, der dermassen extrem und auf den ersten Blick destruktiv ist? Metal, der beim Schrecken bleibt und vom Schockmoment in ein Verharren übergeht? Als ein krasser Text von Slayer aufgelegt wird, gerät die Diskussion endgültig ins Stocken. Theisohn möchte sich in diesem grössten Horror auf poetologische Spurensuche begeben, doch Fischer tilgt jeden Analyseversuch: «Das ist alles schön und gut, aber wir haben eine Verantwortung und müssen uns der Wirkung eines Textes bewusst sein.»

Schade, dass Theisohn und Fischer auf dieser Ebene nicht zueinander fanden. Gerade die Frage, welchen Anteil kulturelle Artefakte an tatsächlichen Straftaten haben können, wäre einer vertieften Betrachtung würdig gewesen.

Text und Bild: Katharina Alder/Redaktion: Christoph Steier

Auf ein Glas – oder besser zwei

Das Konzept von «Auf ein Glas mit…» besteht darin, den zahlreichen Autor*innen mit Neuerscheinungen diesen Herbst eine Plattform zu bieten. Ebenso erhofft sich Moderatorin Traudl Bünger eine gegenseitige Bereicherung. Die heutigen Autorinnen Gertrud Leutenegger mit ihrem Roman Späte Gäste und Dorothee Elmiger mit Zuckerfabrik hätten sich ein Zusammentreffen explizit gewünscht.

Die grosse Vorfreude hinter den Gesichtsmasken ist im ganzen Saal zu spüren. Nur leider bietet die Moderatorin einen denkbar schlechten Einstieg in die Veranstaltung und verliert sich in Inhaltsangaben, privaten Gefühlszuschreibungen, Literaturpreisauflistungen und müssigen Coverdiskussionen. Es dauert geschlagene fünfzehn Minuten, bis die Autorinnen literarisch endlich zu Wort kommen. Gertrud Leutenegger nimmt das Zepter in die Hand und konstatiert, sie lese jetzt einfach mal drei Stellen aus ihrem Buch vor. Mit einem Lächeln und dem Prädikat «einfach ganz, ganz toll» wird ihr das im Anschluss gedankt. Durch ihr geschlossenes Fragesystem lässt die Moderatorin Leutenegger wenig Raum, vielmehr gesteht diese nach kurzer Stille Verlegenheit ob der Frage ein. Nach einem längeren Murks kann sich Leutenegger dann doch noch entfalten und einige Absichten und Haltungen zu ihrem Text transportieren. Tells Sprung auf die Felsplatte, sein Sprung in die Freiheit steht für sie für das Flüchtige in jedem von uns. Gerne hätte man mehr davon erfahren, ein Gespräch kommt aber nicht in Gang. Für die Hörerin im Saal bleibt daher alles Weitere im Dunkeln.

Nach Leutenegger wendet sich Bünger Dorothee Elmiger zu. Dieser gelingt es glücklicherweise sehr gut, den Lead an sich zu nehmen und Einblicke in ihren Schreibprozess zu geben. Es falle ihr schwer, die verworrene, komplexe Wirklichkeit in eine stringente Erzählung zu verpacken. Die Form ihres Textes – der nicht einem marktüblichen Roman gleicht – entspreche ihrer Art und Weise, die Welt zu sehen und darüber Nachzudenken. Ruhig und besonnen liest Elmiger einen Textabschnitt, was ihren Ton wunderbar in Szene setzt und das soeben Erklärte untermalt. Assoziativ verbindet Elmiger Szenerie, kreiert unerwartete Bilder, zeichnet durchlässige Charaktere. Für sie sei es wichtig, die Sprache und das ihr zur Verfügung stehende Material genau zu untersuchen und zu befragen. Sie wolle nicht in einen Topf voller Lebensgeschichten greifen und sie für ihre Zwecke gebrauchen. Vielmehr sei es ihr wichtig, ihr Tun transparent zu halten und auch ihre Zweifel in den Text zu stellen. Auf der Ebene der Sprache stelle sich dann die Frage, wie sie beispielsweise eine Person beschreiben kann, ohne sie zu zementieren, sie in allen Möglichkeiten und Facetten zu offenbaren. Auch in ihrer persönlichen Rezeption von fremden Texten erinnert sie sich nicht an Plots, sondern an Haltungen, Bilder und Räume. Ob solchen Aussagen schmilzt das Literaturherz, die Hörer*innenschaft hängt ihr an den Lippen.

Hier wäre der Punkt gewesen, an dem ein literarischer Austausch zwischen den beiden Frauen hätte beginnen können. Leider lenkte die Moderatorin den Fokus von der metasprachlichen Ebene zurück zu der im Gegensatz dazu doch eher uninteressanten Frage nach dem Buchcover. Elmiger stellt mit Achselzucken fest, dass sie dazu überhaupt nichts beigetragen habe, dass das – wie üblich – Sache und Entscheidung des Verlags sei. Und somit reichlich wenig mit dem Literarischen einer solchen Veranstaltung zu tun hat.

Als Traudel Bünger das Gespräch schliesst und sich bedankt, ruft Leutenegger erstaunt aus. «Es ist schon fertig? Ich dachte, jetzt gehe das Gespräch erst los.» Damit fasst sie den Abend treffend zusammen und spricht dem Publikum aus dem Herzen. Wo genau liegt der Mehrwert des Konzepts von zwei Autorinnen? Offenbarte Möglichkeiten wurden nicht genutzt, der Austausch um sein Potential gebracht. Elmiger konnte durch ihre kluge Vorgehensweise doch einigen Inhalt transportieren, Gretrud Leuteneggers Schaffen fiel dem unglücklichen Agieren seitens der Moderatorin leider zum Opfer. Sehr schade.

Für uns bei «Zürich liest»:
Katharina Alder

Katharina Alder studierte – nach kurzen Ausflügen in die Philosophie (UZH) und ins grafische Arbeiten in einer Werbeagentur – Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Nach der Geburt ihres ersten Sohnes im Frühling 2010 nahm sie ihr früheres Studium an der Universität Zürich wieder auf und belegt dort momentan Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft im Master.

2014 gründete sie aus purem Idealismus ihre eigene Buchhandlung – den klappentext in Weinfelden – und organisiert regelmässig kulturelle Veranstaltungen, so beispielsweise die Reihe textkultur sowie die Weinfelder Buchtage.

Seit der Rückkehr in die Schweiz hat sie Theater gespielt, zahlreiche Lesungen gehalten, Live-Hörspiele aufgeführt und unter dem Label alles&nichts verschiedene Veranstaltungsgefässe gegründet und kuratiert. Mit 6 Jahren erhielt sie ihren ersten Geigenunterricht. Sie spielte mehrere Jahre im Kammerorchester Konstanz, bevor sie Mitgründerin des im Thurgau ansässigen Kammermusik-Ensembles camerata aperta wurde.

Katharina liebt Texte und Musik, Frank Zappa und guten Rotwein, den Regen, die Melancholie, sandige Haut in der Sommersonne, Christoph Marthaler-Stücke und Wechselbäder der Gefühle.