Auf ein Glas – oder besser zwei

Das Konzept von «Auf ein Glas mit…» besteht darin, den zahlreichen Autor*innen mit Neuerscheinungen diesen Herbst eine Plattform zu bieten. Ebenso erhofft sich Moderatorin Traudl Bünger eine gegenseitige Bereicherung. Die heutigen Autorinnen Gertrud Leutenegger mit ihrem Roman Späte Gäste und Dorothee Elmiger mit Zuckerfabrik hätten sich ein Zusammentreffen explizit gewünscht.

Die grosse Vorfreude hinter den Gesichtsmasken ist im ganzen Saal zu spüren. Nur leider bietet die Moderatorin einen denkbar schlechten Einstieg in die Veranstaltung und verliert sich in Inhaltsangaben, privaten Gefühlszuschreibungen, Literaturpreisauflistungen und müssigen Coverdiskussionen. Es dauert geschlagene fünfzehn Minuten, bis die Autorinnen literarisch endlich zu Wort kommen. Gertrud Leutenegger nimmt das Zepter in die Hand und konstatiert, sie lese jetzt einfach mal drei Stellen aus ihrem Buch vor. Mit einem Lächeln und dem Prädikat «einfach ganz, ganz toll» wird ihr das im Anschluss gedankt. Durch ihr geschlossenes Fragesystem lässt die Moderatorin Leutenegger wenig Raum, vielmehr gesteht diese nach kurzer Stille Verlegenheit ob der Frage ein. Nach einem längeren Murks kann sich Leutenegger dann doch noch entfalten und einige Absichten und Haltungen zu ihrem Text transportieren. Tells Sprung auf die Felsplatte, sein Sprung in die Freiheit steht für sie für das Flüchtige in jedem von uns. Gerne hätte man mehr davon erfahren, ein Gespräch kommt aber nicht in Gang. Für die Hörerin im Saal bleibt daher alles Weitere im Dunkeln.

Nach Leutenegger wendet sich Bünger Dorothee Elmiger zu. Dieser gelingt es glücklicherweise sehr gut, den Lead an sich zu nehmen und Einblicke in ihren Schreibprozess zu geben. Es falle ihr schwer, die verworrene, komplexe Wirklichkeit in eine stringente Erzählung zu verpacken. Die Form ihres Textes – der nicht einem marktüblichen Roman gleicht – entspreche ihrer Art und Weise, die Welt zu sehen und darüber Nachzudenken. Ruhig und besonnen liest Elmiger einen Textabschnitt, was ihren Ton wunderbar in Szene setzt und das soeben Erklärte untermalt. Assoziativ verbindet Elmiger Szenerie, kreiert unerwartete Bilder, zeichnet durchlässige Charaktere. Für sie sei es wichtig, die Sprache und das ihr zur Verfügung stehende Material genau zu untersuchen und zu befragen. Sie wolle nicht in einen Topf voller Lebensgeschichten greifen und sie für ihre Zwecke gebrauchen. Vielmehr sei es ihr wichtig, ihr Tun transparent zu halten und auch ihre Zweifel in den Text zu stellen. Auf der Ebene der Sprache stelle sich dann die Frage, wie sie beispielsweise eine Person beschreiben kann, ohne sie zu zementieren, sie in allen Möglichkeiten und Facetten zu offenbaren. Auch in ihrer persönlichen Rezeption von fremden Texten erinnert sie sich nicht an Plots, sondern an Haltungen, Bilder und Räume. Ob solchen Aussagen schmilzt das Literaturherz, die Hörer*innenschaft hängt ihr an den Lippen.

Hier wäre der Punkt gewesen, an dem ein literarischer Austausch zwischen den beiden Frauen hätte beginnen können. Leider lenkte die Moderatorin den Fokus von der metasprachlichen Ebene zurück zu der im Gegensatz dazu doch eher uninteressanten Frage nach dem Buchcover. Elmiger stellt mit Achselzucken fest, dass sie dazu überhaupt nichts beigetragen habe, dass das – wie üblich – Sache und Entscheidung des Verlags sei. Und somit reichlich wenig mit dem Literarischen einer solchen Veranstaltung zu tun hat.

Als Traudel Bünger das Gespräch schliesst und sich bedankt, ruft Leutenegger erstaunt aus. «Es ist schon fertig? Ich dachte, jetzt gehe das Gespräch erst los.» Damit fasst sie den Abend treffend zusammen und spricht dem Publikum aus dem Herzen. Wo genau liegt der Mehrwert des Konzepts von zwei Autorinnen? Offenbarte Möglichkeiten wurden nicht genutzt, der Austausch um sein Potential gebracht. Elmiger konnte durch ihre kluge Vorgehensweise doch einigen Inhalt transportieren, Gretrud Leuteneggers Schaffen fiel dem unglücklichen Agieren seitens der Moderatorin leider zum Opfer. Sehr schade.