Sprachwandel am Rämibühl

Im Rahmen von «Zürich liest» hat die Autorin Dragica Rajčić mit zwei Klassen des MNG Rämibühl zusammengearbeitet und mit den Schüler*innen über den Sprachwandel nachgedacht. Entstanden sind dabei sowohl kurze Texte als auch interaktive Ratespiele, an denen sich die Anwesenden nun probieren durften. Das Publikum, vor allem bestehend aus Verwandten der Schüler*innen, durfte an einem von vier Tischen Platz nehmen, die thematisch variierten. Nach einer kurzen Pause wurde dann gewechselt, wodurch man bedauerlicherweise zwei Tische verpasste.

Schüler*innen der Klassen 3c & 3f im Gespräch über den Sprachwandel

Dragica Rajčić unterrichtet «Literarisches Schreiben» am Literaturinstitut in Biel und vor genau einer Woche ist auch ihr neues Buch erschienen. Abgesehen von der kleinen Eigenwerbung stellte sich die kroatische Schriftstellerin nur kurz vor und überliess die Bühne dann den Schüler*innen.

Der Abend war sehr interaktiv gestaltet und die jungen Sprachforscher*innen führten gekonnt durch die Spiele und Diskussionen. Richtig langweilig bin ich mir vorgekommen, als ich fast keines der Jugendwörter aus verschiedenen Jahren kannte, deren Bedeutung wir erraten sollten. Während ich noch wusste, was ein «Smombie» für eine schlechte Angewohnheit hat (Smartphone-Zombie), konnte ich mir nur zusammenreimen, welcher Beschäftigung die Jugendlichen nachgegangen sind, wenn sie 2015 «rumoxidierten» oder 2011 «guttenbergten». Blieb der kleine Trost, dass all das ja längst wieder zum Schnee von gestern gehört.

Sprachbrücken bauen

Sprache kann Gräben schaffen. Denn wer sich nicht miteinander unterhalten kann, bleibt sich fremd. Stellt man die verschiedenen Sprachen aber nebeneinander, erkennt man: Sie sind gar nicht so weit voneinander entfernt wie man denkt – sie stellen nur ein vermeintliches Hindernis dar.

«Der Wille trägt die Welt.» So eröffnen Matthias Vieider und Arno Dejaco von «Lyrischer Wille» den Abend im Zentrum Karl der Grosse. Sehe man sich in der Gesellschaft um, erkenne man, wie schwer es offenbar sei, mit Diversität und Andersartigkeit umzugehen. Wir schmückten uns mit kultureller Vielfalt, doch seien von der Angst vor Veränderung durchdrungen.

Mit «Lyrischer Wille» wollen sie herausfinden, welche Möglichkeiten die Lyrik eröffnet, um Sprachbarrieren zu überwinden. Es handelt sich dabei um ein vielsprachiges Übersetzungsprojekt, indem sich 55 Autorinnen und Autoren mit Bezug zum Raum Südtirol gegenseitig in Gedichtzyklen übersetzen. Ein Gedicht wird übersetzt, dann ein weiteres Mal übersetzt und so fort, wobei der übersetzenden Person jeweils nur die Vorgängerversion bekannt ist. Daraus entstanden ist ein Buch mit 61 Gedichten in 15 Sprachen. Unter den Sprachen finden sich die vier Schweizer Landessprachen, aber auch Chinesisch, Arabisch, Kurdisch und Zeichensprache.

An diesem Abend steht aber nicht das Buch, sondern eine Live-Umsetzung des Übersetzungsprojektes im Zentrum. Mit Rebecca Gisler, Rut Bernardi, Michael Fehr, Elena Spoerl und Kurt Lanthaler stehen vielsprachige Poesien neben- und miteinander im Scheinwerferlicht. In italienischer, ladinischer, deutscher und französischer Sprache verfasst, verknüpfen sich ihre Gedichte. Sie demonstrieren eine so genannte Übersetzungskette. So hat Kurt Langthaler ein Ausgangsgedicht geschrieben, das von Michael Fehr übersetzt wurde. Dessen Übersetzung wurde wiederum übersetzt, usw.

Weil man nicht alle Wörter versteht, konzentriert man sich während der Lesung der Gedichte auf die Melodie, den Klang, den Rhythmus und die Intonation der Worte. Und genau da hat die Lyrik der fünf Autorinnen und Autoren viel zu bieten. Es geht weniger um eine wortwörtliche Übersetzung als um eine übergreifende Gemeinsamkeit, eine Annäherung. So unterscheiden sich denn die Texte auch teilweise drastisch voneinander. Es entstanden fünf Gedichte, die in sich selbst einzigartig sind und doch sehr nahe zueinander stehen.

In der lyrischen Welt kann das Projekt gelingen. Im Gedichtzyklus werden Sprachgrenzen überwunden, die Gedichte nehmen in ihrer Verschiedenheit ihren Platz ein, werden voneinander aber nicht verdrängt. Dies setzt aber auch den Willen des nachfolgenden Lyrikers oder der nachfolgenden Lyrikerin voraus, sich dem Ausgangsgedicht anzunähern, sonst wird der Kern, das Wesen des vorgängigen Gedichts verdrängt und nichts erinnert mehr daran. Ob die Gesellschaft da anschliessen kann, bleibt offen.

Dass sich an diesem Abend nur knapp 20 Leute eingefunden haben, liegt möglicherweise an einer gewissen Unpopularität der zeitgenössischen Lyrik – zu Unrecht, wie ich finde – vielleicht aber auch einfach an der Programmbeschreibung, aus der im Vorfeld nicht klar hervorging, was das Publikum erwarten würde. Ein Blick ins Projekt lohnt sich aber gleichermassen.