Sowjet Milk

Die lettische Sprache klingt weich und fliessend. Vor ein paar Minuten hat Nora Ikstena uns selbst einen kurzen Teil aus ihrem Roman «Muttermilch» in der Originalsprache vorgelesen. Die Schauspielerin und Sprecherin Vera Bommer schafft es auf bemerkenswerte Weise, diese Leichtigkeit auch mit den Worten der deutschen Übersetzung zu reproduzieren. Die Autorin lächelt immer wieder, während Bommer ihren Text liest, der 2019 erstmals auf Deutsch erschienen ist. Alles andere als leicht ist jedoch, wovon diese Worte berichten. Es ist die Geschichte von Mutter und Tochter im von der Sowjetunion besetzten Lettland des kalten Kriegs. Ein Einzelschicksal wie es damals viele gab, verborgen hinter dem Eisernen Vorhang. Eine Geschichte von Liebe, obwohl die Mutter ihrem Kind die eigene Muttermilch verweigert. Das geschieht aus Schutz, wie Ikstena betont, denn die Milch der Mutter ist ‹vergiftet› und sauer von einem Leben, das die Tochter nicht haben soll. ‹Sowjet milk› – in Grossbritannien lautet so der Titel von Ikstenas Roman. Ungern habe sie den Titel ihres Textes für die Verleger geändert, doch irgendwie ist er dennoch passend. Die Autorin erinnert sich: Als sie noch ein Kind war zu Zeiten der sowjetischen Besetzung Lettlands, seien sie in der Schule immer gezwungen worden, warme Milch zu trinken. Sie habe deswegen heute immer noch Probleme mit dem Getränk. Die Metapher der Milch scheint für Lettland sehr wichtig aber auch zwiespältig. So ist die Milchstrasse in Lettland auch ein Symbol für das Paradies. Wie Bommer einwirft, verwendete schon Shakespeare in Macbeth die Milchmetapher. Von der ‹milk of human kindness› ist bei ihm die Rede. Auch diese Bedeutung von «Milch» ist für Nora Ikstena wesentlich. Sie hegt keinen Hass gegen Russland und die russische Sprache sei für sie immer eine Sprache der Kultur und der Bildung gewesen. Ihren Roman «Muttermilch» hat sie aber dennoch auf Lettisch verfasst. Und so liest sie auch für uns auf Lettisch und die Worte zerfliessen ihr auf der Zunge, fast wie Milch.