KW28

Suchet Euch einen Kebabladen aus, der ziemlich besucht ist von einheimischer Gastig

Anna Stern

Yusuf Yeşilöz’ jüngster Roman «Die Wunschplatane» feierte Premiere im Zürcher Literaturhaus. Das Buchjahr war da und blickte mit gemischten Gefühlen auf Lesung und Lektüre zurück.

Von Selina Widmer
12. Juli 2018

Kebabläden sind in den Texten Yusuf Yeşilöz’ bekanntlich entscheidende, poetologisch hochrelevante Orte. Vergleichbar mit Gotthelfs Wirthäusern erweisen sie sich als Umschlagplätze, als «Ereignisstätten für alles Mögliche», wie Yeşilöz an diesem Abend im Zürcher Literaturhaus ausführt. Am Mittag fänden dort alle einen Platz, es gäbe immer eine heterogene Kundschaft. Gleichzeitig könne man sich sicher sein, dort auf Landsleute zu treffen. Schöner wäre es natürlich, man träfe sich bei Demonstrationen, meint er und muss aber gleich über seine eigene Strenge lachen.

Auch in «Die Wunschplatane», seinem jüngsten Roman, kehrt man zu jenem Zentrum erzählerischer «Integration» (ein Wort, das Yeşilöz im Laufe der Veranstaltung nur ein einziges Mal aussprechen wird) zurück. Der Kebabladen gehört in diesem Fall dem Kurden Safir und seiner Frau Narin – an diesem Paar verhandelt der Text die Verschränkungen von Selbstbestimmung, Tradition und kultureller Identität, die, wie bereits in «Hochzeitsflug» (2011), sich über eine anberaumte Zwangsheirat kondensieren. In diesem Fall fungiert die Zwangsheirat als Katalysator einer kulturellen Ausdifferenzierung: Safirs homosexueller Sohn Beyto verweigert sich der Ehe, bricht mit seinen Eltern und verschwindet nach London, wo er – das ist das Paradoxon dieser Erzählung um Integration als Desintegration – zwar nicht das Leben seines Grossvaters, aber dafür das Leben seines Vaters fortführt: Die kurdische Dorfwelt lässt er ein für alle Mal hinter sich – und endet statt dessen in einem Londoner Kebab House. Der Sohn ist verloren und der Familie bleibt nichts übrig als die Aufgabe, «mit dieser Realität zu leben».

Zum Autor

Yusuf Yeşilöz, geboren 1964 in einem kurdischen Dorf in Mittelanatolien, kam 1987 in die Schweiz. Heute lebt er mit seiner Familie in Winterthur und arbeitet als freier Autor, Übersetzer und Filmemacher. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.
Foto: © EJY / Limmat Verlag

Das biographische Fangeisen

Das ist die Situation, die der Ich-Erzähler vorfindet, ein kurdischstämmiger, in der Schweiz lebender Autor – und natürlich zeigen sich hier die Pfade in eine biographische Lesart. Wie locker Yeşilöz mit der Frage nach dem Verhältnis von Autoren- und Erzähler-Ich umgeht, verblüfft durchaus: Ohnehin würden seine Geschichten immer biographisch gelesen werden; dementsprechend habe er es ehrlicher gefunden, sich selbst in den Roman einzubringen, ohne eigens eine neue Erzählerfigur erfinden zu müssen. Gleichwohl wird an diesem Abend auch deutlich, dass jene Verschleifung von literarischer Fiktion und Leben durchaus ihre Fangeisen hat, insofern sie den Blick auf den Text durch den Fokus auf die Migrationsbiographie nicht weitet, sondern auch zu verengen droht. Es ist das eine, wenn ein Autor seine Beziehung zur Literatur durch die bemerkenswerte Anekdote begründen kann, dass er immerhin im Alter von siebenundzwanzig Jahren einen Verlag für kurdische Literatur gegründet und wenig später auch eine Buchhandlung in St. Gallen eröffnet hat. Ein anderes ist es, wenn derselbe Autor durch das Publikum mit gutgemeinten Fragen nach kulturellen Differenzen behelligt wird, etwa dazu Stellung nehmen soll, ob er auch auf Kurdisch schreibe und ob das anders sei, und wenn ja, in welchem Masse anders.

Identität jenseits der Moralität

Freilich sind Yeşilöz derlei Konstellationen alles andere als fremd, im Gegenteil: «Die Wunschplatane» hat ihnen eine eigene Figur gestiftet, nämlich die Bed & Breakfast-Besitzerin Regine Dalcher, in deren Unterkunft der Ich-Erzähler logiert. Die Figur ist nicht ohne Geschichte und Tiefe, in Erinnerung bleibt gleichwohl vor allem ihre Neugierde. Es mangelt ihr keineswegs an sprachlicher Sensibilität; unkorrekt erscheint indessen ihr Impetus, unentwegt auf die kulturellen Unterschiede zu sprechen zu kommen und dabei noch davon auszugehen, dass man damit dem Gegenüber besonders gerecht würde. Die Knappheit und das aus ihr sprechende Desinteresse, mit dem der Erzähler diese Nachfragen bescheidet, verweisen die Debatte um die ‹Grenzen der Fremdheit› (die die Gastgeberin etwa dadurch austestet, indem sie Wein als Willkommenstrunk anbietet, der zum Indikator der Religiosität des Gastes werden soll) aus dem Raum der Moralität und des Kitsches und überantworten sie einem sehr leichten und leisen Humor, den Yeşilöz selbst auch in Lesung und Gespräch benennt wie spürbar werden lässt.

Der Schatten der Didaxe

So scheint es auch zunächst, als würde «Die Wunschplatane» dem Anspruch ihres Verfassers, demzufolge die Literatur – von wem auch immer sie stamme – «einen Zugang zu einer unbekannten Geschichte zu schaffen» habe, vollauf gerecht. Unterminiert wird dieser Anspruch jedoch von der Rahmenerzählung, die den Erzähler aus nicht ersichtlichen Gründen zur Co-Leitung des einwöchigen Schreibunterrichts einer Gymnasialklasse verurteilt hat. Doch nichts wird hier eingefasst, geschärft, transzendiert: Stattdessen ufern diese Passagen aus in gefühlt endlose Beschreibungen der Schüler und die Wiedergabe ihrer selbstgeschriebenen Texte. Hinzu kommt, dass die Stimmen der Akteure kaum voneinander zu unterscheiden sind (ja: dass sie sich nicht einmal von der des Erzählers abheben). Ganz zu schweigen davon, dass die Funktion dieser Erzählebene für den Roman bis zum Schluss im Tiefdunkeln bleibt. Weder zur Entwicklung des Plots noch zur Erhellung seiner Konfliktzonen trägt sie etwas bei – und doch durchkreuzt sie die diskursiv relevanten Handlungsstränge immer wieder und konfrontiert sie mit Schülertexten, die dasjenige, was Schülertexte überhaupt reizvoll machen könnte – nämlich ungewollte Verstösse gegen Konventionen – wiederum gänzlich vermissen lassen.

Und so fällt dann am Ende doch ein rätselhafter Schatten auf einen im Grossen und Ganzen recht schön gearbeiteten und das Totschlagwort des «Menschlichen» in lebendigen Bildern und selbstironischem Ton zur Geltung bringenden Roman. Das macht ihn nicht ungeniessbar, aber lässt ihn eigenartig wirken: Dort, wo der Literatur die Didaxe droht – nämlich auf dem transkulturellen Feld –, wird diese souverän umgangen, um sie an anderer Stelle – in der Schreibschule – völlig ohne Not nachzuholen. «Die Wunschplatane» bleibt hierin ein Text, der immer wieder hinter seine eigene Courage zurückfällt, ja: der literarische Traditionen fortführt, wo er sie gerade verlassen zu haben scheint. Und insofern passt’s dann ja auch wieder.

Yusuf Yeşilöz: Die Wunschplatane. Zürich: Limmatverlag 2018, 200 S., 32 CHF.

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