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Spleen, Sex und Rock’n’Roll

Incardona

Während der deutschsprachige Raum nur um die Jugend des André Pastrella weiss, liegt in französischer Sprache mit der erweiterten Fassung von Joseph Incardonas «Banana Spleen» (erstmals 2006 erschienen) nun die komplette Trilogie dieser Lebensgeschichte vor. Womöglich ein mentalitätsgeschichtliches Signal: Wie Vincenzo Todiscos «Eidechsenkind» erschliesst auch Incardonas revidierter Roman neue Wege, die Geschichte der 60er Secondo-Generation  zu erzählen.

Von Louise Moulin und Charlotte Hebeisen
18. Dezember 2018

Die Hände im Dreck und die Knie sowieso

Diese Geschichte handelt von einem ganz gewöhnlichen Typ, der am Laufmeter stolpert. Das Leben entreisst ihm nacheinander seine Gina, seinen Job und sein bisschen Stabilität. Doch wohlgemerkt: Wenn André Pastrella absäuft, so tut er es auf fröhliche Art, nachlässig leidenschaftlich, von den Cafés der Genfer Pâquis bis zu den Swingerklubs, von Frau zu Frau (André möchte verführen) und von Buchseite zu Buchseite (André möchte publizieren), allein mitten in der bunt gemischten Menge, verloren zwischen dem langjährigen Freund, einem Antiquitätenschmuggler, und den Frauen: Suzy, die thailändische Prostituierte, Cynthia, die attraktive Arbeitskollegin als zweite Wahl, oder Judith vom Amt für berufliche Wiedereingliederung, hinreissend und Junkie zugleich. Schluck für Schluck, masslos, wird das alkolholische Tuttifrutti explosiv und färbt sich mit einem leicht naiven Optimismus: Während Liebesgeschichten im Allgemeinen ein böses Ende nehmen, führt es nicht zwingend in die Katastrophe, wenn man systematisch auf den Holzweg gerät. [1]

Zum Autor

Joseph Incardona, 1969 als Sohn eines Sizilianers und einer Schweizerin geboren, lebt und arbeitet in Genf. Er ist Autor von Romanen, Kurzgeschichten, Drehbüchern und Comics. Für den Roman «Derrière les panneaux il y a des hommes» (Finitude, 2015) erhielt Joseph Incardona 2015 den Grand prix de littérature policière, und 2017 wurde er der erste Preisträger des Prix du polar romand für den Roman «Chaleur» (Finitude, 2015).In deutscher Übersetzung erschien bisher unter dem Titel «Nächster Halt: Brig» der dritte Teil seiner André Pastrella-Trilogie, die aus den Romanen «Banana Spleen» (2006/18), «Le Cul entre deux chaises» (2014) und «Permis C» (2016) besteht.

Da war so ein Typ

Banana Spleen erzählt die Geschichten eines lahmen Träumers. Angesichts seiner zersplitternden Existenz sieht sich unser Durchschnittstyp als Schriftsteller. Die Fiktion ist die Steckdose, die ihn mit einer Welt verbindet, in der alles zu verschwinden, unterzugehen oder zu sterben scheint. Und wenn die Inspiration den gleichen Weg geht, bleiben bloss banale oder rohe Skizzen im Buch verstreut. Banana Spleen ist deshalb ein Spiegel: Es ist das Werk von Joseph Incardona und zugleich ein Sammelband für die Kurzgeschichten seines Antihelden, ein Text voller Sarkasmus, der die Grenzen verschwimmen lässt. Denn während André Pastrella noch auf der Suche nach seiner Sprache ist, beherrscht Joseph Incardona seine Kunst und versteht es, unsere Ideale mit einem Streich niederzureissen und gleichzeitig Episoden trivialer Obszönität zu verherrlichen.

Vieles erinnert an eine Kurzgeschichte und die kurzen, schwungvoll geschriebenen Kapitel, bodenständig und poetisch zugleich, führen den Leser in eine absurde, explosive Welt:

Ich habe mich herabgebeugt, um sie im Nacken zu küssen, nah am Ohr, dort, wo der Geruch ihrer Haut lebendig und intakt ist. Wegen der Hitze des Ofens waren die Fensterscheiben angelaufen. Die Lasagne würde aufgewärmt noch besser schmecken. Draussen bedeckte eine feine Schneeschicht den Balkon. Alles ging doch gut, Mann. Warum diese Nostalgie, dieses plötzliche Gefühl von Verlust? [2]

Aller guten Dinge sind drei

Incardona, dieser Autor zwischen Stuhl und Bank, der für seinen Roman Permis C (bei Pocket Poche Une saison en enfance) mit dem Prix du roman des Romands ausgezeichnet wurde, bietet uns zwölf Jahre nach der ersten Veröffentlichung eine überarbeitete Fassung, einen revidierten, korrigierten, erweiterten und retuschierten Spleen. Bei BSN Press liegt damit die vollständige Trilogie vor, die seinem Alter Ego André Pastrella – der wie Incardona einen italienisch-französisch klingenden Namen trägt – gewidmet ist.

Schwarz und zitronengelb

In der Neuausgabe wurde dabei auch das Cover einer Verjüngungskur unterzogen und prangt nun in peppigen Farben, die den galligen Humor des Sullivan in Rock-Version unterstreichen. Genau diese Atmosphäre breitet sich im Lauf der Seiten aus, unterstützt durch einen Stil, der in einen verspielten Dialog mit anderen Welten tritt, Musik und Popkultur zuvorderst. Kurzum, das gesamte Universum von Incardona, der sich mit dem Schwarzen Roman, dem Krimi, dem Comic, dem Theater oder auch dem Film künstlerisch auseinandergesetzt hat, ist bei Banana Spleen mit von der Partie, um uns eine Welt zu bieten, wo das Paradies vielleicht eine schaumgefüllte Badewanne war, eine offene Klammer, dabei aber nie sehr weit von der Hölle entfernt lag. [3] Ohne Tabus und Einschränkungen gibt uns diese gebeutelte Erzählung den Rausch mitsamt dem Kater, enthüllt die Körper und ihre Sexualität, wobei sie die Grenze des Obszönen niemals ganz überschreitet. Ihre grosse Leistung liegt wohl darin, dass sie höchst brisante psychologische und soziale Themen – Tod, Arbeitslosigkeit, Geld, Triebe – zu kondensieren vermag ohne ihre beissende Leichtigkeit einzubüssen; eine schwarze Grundstimmung also, mit der Säure eines Zitronengelbs gepaart, unter der Schale aber schon beinah süss.

Die französische Fassung dieser Rezension erschien bei «L’Année du Livre». Übersetzt wurde sie von Maguelone Wullschleger.

[1] «Si les histoires d’amour finissent mal en général, arriver systématiquement en bout de piste ne mène pas forcément à la catastrophe».

[2] «Je me suis penché pour l’embrasser sur la nuque, près de l’oreille, là où l’odeur de sa peau reste vive et intacte. Les vitres étaient embuées à cause de la chaleur du four. Les lasagnes seraient encore meilleures réchauffées. Dehors, une pellicule de neige recouvrait le balcon. Tout allait bien, bordel. Pourquoi cette nostalgie, tout à coup, ce sentiment soudain de perte?»

[3] «[…] où  le paradis était peut-être une baignoire remplie de mousse, une parenthèse inachevée et, au fond, il n’était jamais très loin de l’enfer.»

Joseph Incardona: Banana Spleen. 320 Seiten. Lausanne: BSM Press 2018, 28 Franken. Eine deutsche Übersetzung ist derzeit noch nicht verfügbar.

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