KW47

Ein Held auf Umwegen

Incardona

Mit seinen grotesk-makabren Lustspielen ist der junge Dramenautor Lukas Linder zum gefeierten Senkrechtstarter der deutschsprachigen Theaterbühnen avanciert. Dass seine Komik auch in Prosaform trefflich gelingt, zeigt sein Debütroman «Der Letzte meiner Art».

Von Laura Barberio
23. November 2018

Alfred von Ärmel ist der jüngste Sprössling einer wohlhabenden Familiendynastie, die ein loses Verhältnis zur Lebenswirklichkeit unterhält. Die Ahnen der von Ärmels haben grosse Fussstapfen hinterlassen, die Alfred nun ausfüllen will, um sich seinen Heldenplatz in der Ahnengalerie zu erobern. Die Palette an Möglichkeiten scheint unbegrenzt: Er könnte, ganz nach dem Vorbild seines Namensvetters, dem glorreichen Schlächter von Marignano, vierzig Franzosen erschlagen oder einfach einen Gesangswettbewerb gewinnen. Ebenso könnte er sich als Schauspieler versuchen oder aber mit Ruth zusammen ein Hotel eröffnen, um der Liebe zum Sieg zu verhelfen. Doch nichts davon will ihm so recht gelingen. Aus der Ruhe bringen lässt er sich deswegen aber nicht, denn er hat sich die Heldenmaxime, im Hier und Jetzt zu leben, fest auf die Fahne geschrieben. Als der Letzte seiner Art geniesst Alfred die Narrenfreiheit, das Leben gelassen anzugehen, verschiedene Dinge auszuprobieren und wieder zu verwerfen, ohne sich um die Konsequenzen kümmern zu müssen.

Zum Autor

Lukas Linder, geboren 1984 im Kanton Zürich, studierte Germanistik und Philosophie in Basel, wo er bis heute lebt. Er ist Dramatiker und verfasste zahlreiche Stücke, unter anderem für das Theater Basel und das Theater Biel-Solothurn. Linder wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter dem Kleist-Förderpreis und dem Publikumspreis des Heidelberger Stückemarkts. Erst diesen Sommer fand die Uraufführung seines Stücks «Der Präparator» im Theater Winkelwiese im Rahmen der Zürcher Festspiele statt. »Der Letzte meiner Art« ist Linders Romandebüt und ist im Kein & Aber Verlag erschienen.
Foto: © Dominique Meienberg

Obwohl Alfred neben seiner glamourösen Mutter, seinem dürftig erfolgreichen Vater und seinem glorreichen Bruder eher die karikaturhafte Rolle des Nebendarstellers zu Teil wird, ist es sein Blick, der uns mit seiner Familiensippe vertraut macht. Das Spiel mit Klischees durch Karikatur und Übersteigerung in der Figurenzeichnung gelingt dabei tadellos. Nebst dem parodistischen Stil wird der Roman vorwiegend von den Motiven der Dekadenz und Degeneration geprägt. Als Familienroman reiht sich der Text spielerisch in die Geschichte der Dekadenzdichtung ein. Dabei fungiert die Doppelstruktur dieser Gattung, die zwischen Lebenslust und Lebensüberdruss changiert, als zentrale Erzählmechanik, die den einstigen Lebensüberdruss der Familie in eine Lebensunlust kippen lässt. Irgendwann wiegt die Gleichgültigkeit so schwer, dass die Mutter nur noch schlafen kann und keinen Anlass mehr sieht, der sie wieder aufwecken könnte. Über Generationen lebte diese Familie so unbekümmert, dass sie der Wohlstand zur Lebensunfähigkeit geführt hat, die Familie zerfällt und schliesslich in Alfreds Prozess der Entartung mündet. Ihm kommt die Rolle des Suchenden zu, der seinen Platz in der namhaften wie abgedrehten Familie, aber auch in der Gesellschaft überhaupt finden muss. Diese Suche beschreibt Linder mit so viel Charme und Witz, dass man gar nicht genug davon bekommen kann. Die pointierte Sprache, die mit viel Selbstironie angereichert ist, schafft ein wunderbar produktives Verhältnis zu dem Prozess der Degeneration der Familie.

Im Ganzen zeichnet der Roman ein Portrait einer eigenartigen Familie, die einst in vollem Glanz erstrahlte – erzählt aus der Sicht des jüngsten Sohnes, der nicht so recht dazu gehört. Es ist diese periphere Perspektive, die den ironischen Grundton der Erzählung ermöglicht. Aus dem Zusammenspiel von Nähe und Distanz erwächst somit ein unterhaltsames Gesamtbild, das die Lektüre zu einem kurzweiligen Vergnügen macht. So wird das Buch nicht wieder weggelegt, bevor es bis zur letzten Seite verschlungen wurde.

Lukas Linder gelingt es, Tiefgang und Leichtigkeit auf eine wunderbar erfrischende Weise und sprachlich brillant zu verbinden. So hofft man, dass es sich wenigstens beim Roman nicht um den letzten seiner Art handelt.

Lukas Linder: Der Letzte meiner Art. 272 Seiten. Zürich: Kein & Aber 2018, 24 Franken.

Zum Verlag