KW48

«Make a Scene»

Incardona

Die Mundartnovelle «acht stumpfo züri empfernt» von Dominic Oppliger ist ein eigenwilliges pulsierendes Sprachkunststück, das gelesen, aber vor allem auch gehört werden will. Sarah Mühlebach und Anja Schmitter haben mit dem Autor nach seiner rasanten Performance im «sogar theater» über Pseudonyme, Erinnerungen und autobiographische Elemente gesprochen.

Von Redaktion Buchjahr
1. Dezember 2018

Dominic, bis vor kurzem kannte man Dich vor allem als Musiker. Unter dem Namen Doomenfels warst du bisher inkognito unterwegs. Jetzt hast Du Deine Maske abgelegt und unter Deinem richtigen Namen Dein erstes Buch, die Novelle «acht stumpfo züri empfernt», veröffentlicht. Hast Du Dir das lange überlegt, oder wurde dieser Schritt vom Literaturbetrieb vielleicht auch ein Stück weit erwartet? Auch MC Kutti veröffentlicht seine Bücher ja als Jürg Halter.

Ich habe mir das lange überlegt. Einerseits habe ich viele Bekannte, die Jazzmusiker sind und ab einem gewissen Alter aufgehört haben, sich lustige Pseudonyme und Bandnamen auszudenken und nun unter ihren richtigen Namen auftreten, z.B. Markus Künzli Quintett. Das fand ich immer ein bisschen langweilig, zu ernst, zu angepasst. Zudem dann diese Vorstellung, dass es einen Buchdeckel gibt mit meinem Namen drauf… Leider ist mir dann aber am Ende einerseits kein gutes Pseudonym eingefallen, und andererseits denke ich, wenn man ein Pseudonym verwendet, muss man sich überlegen, wie man dann vor Leute tritt, wenn man selber Lesungen hat.

Dann würdest Du eine Art Figur schaffen?

Ja genau. Und das mache ich jetzt nicht im selben Ausmass. Eine Bühne macht Dich immer zur Figur und meine aktuelle Bühnenfigur heisst Dominic Oppliger. In meinen Newslettern rahme ich meinen Namen gerne mit Gänsefüsschen. Das schafft Distanz und ich kann viel härter mit mir ins Gericht gehen und bin viel witziger. Mittlerweise ist es einfach so…

…der Name ist jetzt angekommen… 

…genau. Aber ich sehe den Punkt schon, vielleicht wird es auch nicht immer so bleiben. Es hat aber auch rein pragmatische Gründe, unter dem richtigen Namen aufzutreten. Man braucht einen Vor- und Nachnamen, weil Computer bei nur einem Namen zu spinnen anfangen, oder weil man gewisse Formulare dann nicht ausfüllen kann. Bei mir ging einfach alles sehr schnell, mit dem Verlag, und schliesslich hat es sich auch einfach so ergeben.

Zum Autor

Dominic Oppliger, geboren 1984 in Schlieren, ist Musiker und Autor und lebt in Zürich. Er studierte Soziale Arbeit und absolvierte einen Master in Transdisziplinarität an der ZHdK, wo er als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist. Unter dem Namen «Doomenfels» veröffentlichte er bereits mehrere Mundart-LPs. Im Frühling 2018 erschien seine Mundart-Novelle «acht schtumpfo züri empfernt» in der edition spoken script des Verlags Der gesunde Menschenversand.
Foto: © Daniel Drognitz

Könnte man sagen, dass die Entscheidung, den richtigen Namen zu verwenden, auch zur Authentizitätssteigerung beiträgt?

Also das wäre eine etwas langweilige und kraftlose Authentizität. Im Moment skizziere ich einen Text gemeinsam mit einem anderen Autor. Für dieses Projekt möchten wir uns ein Pseudonym zulegen. Aber in erster Linie soll es ja um den Text gehen.

Da Du in der Ich-Position schreibst – und zudem auf Mundart –, werden Deine Erzählungen vermutlich öfters für bare Münze genommen, im Stil von «das ist dem Dominic Oppliger passiert». Erlebst Du das oft?

Ja, das erlebe ich schon ziemlich oft, dass Leute sagen, «ja aber dort, am Letten», und erst im zweiten Moment merken sie, dass es mir vielleicht ja gar nicht genau so passiert ist.

Und ist es Dir so passiert? Hast Du Höhenangst?

Ich laufe nicht gerne über diese Mauer beim Letten, ja.

Eine Stärke des Buches ist sicherlich, dass man sich als Leser*in sehr gut in die beschriebenen Situationen hineinversetzen kann. Du beschreibst die Handlungskulisse so, als ob Du tatsächlich genau diesen Weg auf diesem Trottoir zurückgelegt hättest, dort bei der Forchstrasse, vorbei an der Metzgerei und so weiter. Bist Du denn während des Schreibprozesses wieder an die Schauplätze zurückgekehrt? Man könnte dies auch einfach von zu Hause aus schildern.

Den Ort bei der Forchstrasse kenne ich tatsächlich sehr gut, weil ich lange als Gärtner gearbeitet habe und wir dort immer Z’nüüni-Pause gemacht haben. Dieser Polizist steht tatsächlich immer dort beim Buchladen. Lustigerweise hat mich dieser Buchladen kürzlich für eine Lesung eingeladen. Ja, die meisten Orte, die ich beschreibe, kenne ich sehr gut. Aber die Steinquader am Bahnhof, die gibt es nicht. Ich dachte, dass es sie gäbe, aber als ich kürzlich da war, habe ich bemerkt, dass es dort überhaupt keine Steinquader gibt.

Wo befindet sich denn nun dieser Bahnhof, «acht stumpfo züri empfernt»?

Das verrate ich natürlich nicht. Alle kennen doch einen Ort, der etwa acht Stunden von Zürich entfernt ist. Zudem sieht es an vielen Orten ungefähr gleich aus, wenn man aus dem Bahnhofsgebäude rausläuft. Leute, die die Schauplätze kennen sagen mir oft, dass die Geschichten wahrscheinlich nur lustig seien, wenn man eben diese Schauplätze kenne. Aber wenn man dann eine Lesung in Basel hat, realisiert man, dass es gar nicht so wichtig ist, ob die Leute nun wissen, wo sich der Röntgenplatz befindet. Das ist dann halt einfach ein Platz, wo es einen Coop gibt, vor dem ein Regal mit Kürbissen steht. Überhaupt: Natürlich ist es schön, wenn man die Orte kennt, aber es geht ja um das, was passiert, und nicht darum, wo es passiert. Zum Beispiel bei Mohammed an der Forchstrasse, da geht es ja darum, welcher unendlichen Willkür Menschen, die in der Geburtenlotterie nicht gleich viel Glück hatten wie wir, im Alltag ausgesetzt sind. Und am Letten geht’s ja um diese unsägliche Angst, nicht dazuzugehören und sich als Neuling und uncoolen Outsider zu offenbaren. Das kennen wohl alle.

Ist die Reaktion des Publikums ortsabhängig?

Oft gibt es im Publikum bereits von Anfang an eine Dynamik, die in eine Richtung geht. Beispielsweise an meiner Buchtaufe, da waren viele Freunde von mir anwesend. Sie kennen mich gut und wissen zum Teil genau, woher diese eine Geschichte nun ist, wo was passiert ist – oder sie denken zumindest, sie wüssten es. Da herrscht dann von Anfang an ein Riesengelächter. An anderen Orten entsteht eine sehr intime Stimmung und der Text wird anders aufgenommen. Es gibt beide Pole, aber auch viele Reaktionen dazwischen. Heute war es so etwa in der Mitte.

Du hast vorhin erwähnt, dass Deine Freunde gewisse Dinge oder auch sich selbst in deinen Erzählungen erkannt haben. Dein Schreiben scheint also autobiographisch zu sein, oder zumindest schreibst du Geschichten, die Du zwar vielleicht nicht selbst so erlebt hast, aber die Dir erzählt wurden. Die Entscheidung, welche Elemente und Geschichten Du in den Text aufnimmst und welche Dinge vielleicht zu weit gehen, ist ja immer auch eine Gratwanderung. Wie bist Du mit dieser Schwierigkeit beim Schreiben umgegangen?

Als ich angefangen habe zu schreiben, habe ich eigentlich nie an eine Veröffentlichung gedacht. Ich hatte jedoch mit der Zeit schon etwas Respekt vor der Offenlegung intimer Erlebnisse. Insbesondere von zwei Personen musste ich mir dann auch die Erlaubnis für gewisse Episoden einholen. Aufgrund ihrer Rückmeldungen strich oder änderte ich auch noch mal vieles. Das war wichtig. Ich hatte selbst ja bereits beim Schreiben gemerkt, dass es mir mit jenen Passagen nicht ganz wohl war. Bei anderen Geschichten war es so, dass mir dies genau so selbst passiert ist, zum Beispiel die Schokolade an der Hose, das ist mir selbst mal im Flugzeug passiert und dann musste ich ja kein Einverständnis einholen. Bei der Geschichte mit dem Mitbewohner und seinem Nachtsichtgerät hatten gleich drei meiner Freunde das Gefühl, dass es sich um sie handelt. Sie finden das alle sehr cool. Insgesamt könnte man sagen, dass der Text eine Verdichtung aus Erlebtem, Gehörtem, Gelesenen, Geträumten und Fantasiertem ist. Diese Verdichtung ergibt nun scheinbar eine Geschichte, von der man fast glauben könnte, sie sei Dominic Oppliger passiert. Am Anfang war es schon komisch, da es mir vorkam, als würde ich einfach mein Leben aufschreiben. Durch die Verdichtung entstand aber schnell eine grosse Distanz zu dem, was ich mit tatsächlich Erlebtem und persönlich Erinnertem verbinde.

Führst Du eigentlich auch Tagebuch?

Eigentlich nicht. Aber während meines Masterstudiums an der ZHdK begann ich, mich theoretisch mit dem Erzählen von Erinnerungen auseinanderzusetzen. Es war mir rasch klar, dies in Mundart zu machen und ich fing an, Erinnerungen eins zu eins festzuhalten. Aber bereits bei den ersten Ausformulierungen meiner Erinnerungen begann ich, diese etwas zu biegen, sie zu verändern, so wie ich sie gerne erlebt hätte. Manchmal dachte ich mir auch, dass die Geschichte zu perfekt war und es spannender gewesen wäre, wenn sie anders ausgegangen wäre. Das Schreiben hat schon irgendwie tagebuchmässig angefangen, aber eigentlich schreibe ich sonst nicht Tagebuch, obwohl ich denke, dass es eine gute Idee wäre.

Insgesamt drei Jahre hast Du an «acht stumpfo züri empfernt» gearbeitet und gefeilt. Die im Buch präsente Zeitspanne, in der sich die Geschichte abspielt, erstreckt sich jedoch nur über fünf Monate. Wie wichtig ist Dir der Faktor Zeit in der Novelle? 

Alles ist ziemlich anekdotenhaft organisiert. Die Episode mit dem Schriftsteller, dem Nachbarn, die hatte ich früher mal aufgeschrieben und die habe ich dann auch erst später in den Text integriert. Klar habe ich mich an einem Punkt mit dem Faktor Zeit etwas intensiver beschäftigt und die verschiedenen Elemente und Episoden so verknüpft, damit alles in etwa Sinn macht. Aber ich denke, wenn man den Text erzählt bekommt, in der Performance oder Lesung, spielt der Zeitfaktor keine grosse Rolle. Die Bezeichnung «Novelle» wurde ja dann von meinem Verlag gesetzt. Ich habe nicht viel Ahnung von Gattungen, Genres und dergleichen, und interessiere mich auch nicht so dafür. Anscheinend handelt es sich bei diesem Text um ein klassisches Novellen-Erzählsetting: Jemand sitzt an einem bestimmten Ort und beginnt, von diesem Ort aus zu erzählen, und zwar anhand eines starken Motivs, was hier die violette Hose ist.

Wie intensiv wurde Dein Text lektoriert, oder korrigiert?

Das Lektorat ging eher rasch vor sich, da der Text schon recht rund war. Das Korrektorat hingegen war eine Riesenarbeit, vor allem hinsichtlich der Schreibweise. Das Ziel war, den Text möglichst lesefreundlich zu verfassen, ohne den Verfremdungseffekt der Schreibweise zu verlieren. Trotz Korrektorat ist er noch immer nicht sehr lesefreundlich, aber es hätte noch viel schlimmer sein können. Die Korrektoren sind ganz systematisch vorgegangen und haben eine Excel-Liste erstellt mit allen Wörtern, die ich im Text verwende. Dadurch hat man dann genauestens vergleichen können, welche Wörter ich wie ausgeschrieben habe, fünf Mal so und sechs Mal so. Was vereinheitlicht werden konnte, wurde vereinheitlicht. Wenn ich den Text zum jetzigen Zeitpunkt lese, frage ich mich oft, wieso ich jenes Wort gerade so ausgeschrieben habe. Bei neuen Texten ziehe ich im Moment die Wörter tendenziell wieder etwas mehr auseinander und orientiere mich auch mehr am Schriftdeutschen.

Stichwort neue Texte. Arbeitest Du bereits wieder an neuen Projekten?

Ja, an vielen, an zu vielen im Moment.

Musik oder Text?

Nein, Musik nicht, also fast nicht. Für die Surprise habe ich kürzlich eine Kurzgeschichte geschrieben. Zum ersten Mal habe ich dabei beim Schreiben nicht an einen Vortrag gedacht. Aber nun habe ich sie trotzdem bereits zweimal in unterschiedlicher Form präsentieren können. Einmal gesprochen von einem Schauspieler, und einmal habe ich sie selbst gelesen. Dann gibt es noch so eine Art Zweitlingstext, also eigentlich gibt es den schon seit einem Jahr.

«Nüün stumpfo züri empfernt»?

Nein. Der Text ist aus der Sicht eines Musikers geschrieben, der von der Bühne verschwindet und sich während des Konzerts davonschleicht. Aber bei diesem Text komme ich momentan nicht so richtig weiter. Dann habe ich einen Kompositionsauftrag zusammen mit dem Saxophonisten Antoine Chessex für das Ensemble Tzara, ein Zürcher Ensemble für Neue Musik. Es wird ein längerer Text, der dann Anfang Januar zusammen mit dem Ensemble präsentiert wird bzw. den ich als Teil des Konzertes lesen werde. Und dann gibt es aktuell noch ein anderes Projekt, an dem ich zusammen mit einem Bieler Autor herumskizziere. Eine Adaption von Homers Odyssee. Und was nun anläuft, ist eine Zusammenarbeit für eine Doku-Fiktion mit einem Zürcher Filmemacher.

Extrem vielseitig.

Ja, und das reizt mich, zwischen Stuhl und Bank ist mir ganz wohl. Aber auch gerade der Film reizt mich sehr.

Tatsächlich beschlich uns während der Lesung das Gefühl, einen Film vor uns ablaufen zu sehen. So als gäbe es immer mal wieder einen Take – und dann waren wir am Letten, wieder ein Take und zurück zum Röntgenplatz. Auch in den Momenten, in denen der Protagonist erzählt, welches Buch er gerade liest und welches Musikstück er hört, kam es mir so vor, als könnte dieses Stück nun gerade die Geschichte als Soundtrack untermalen. Diese Elemente verliehen der Geschichte etwas Filmisches, etwas sehr Lebendiges.

Ein Mentor beim Schreiben des Buches war ja Martin Frank.

… dessen Roman «ter fögi isch e souhung» ja aucb Deiner Novelle das Motto gestiftet hat…

Genau. Martin fand immer, ich erkläre zuviel, mache zuviele Ankündigungen. «Make a Scene» stand bestimmt an 15 Stellen im Text, wenn ich jeweils von ihm zurückbekam. Ich hatte das Kopfkino natürlich von Anfang an stark drin, sonst hätte Martin gar nicht angefangen, mit mir zusammenzuarbeiten. Und ich mag das auch. Gleichzeitig war mir wichtig, dass wir es in diesem Text mit einem Erzähler zu tun haben, der dermassen Angst hat, dass er die Aufmerksamkeit seines Gegenübers verliert, dass er immer ankündigt, welch krasse Geschichte sich dann gleich ereignen wird – und sich so eigentlich zu einem ziemlich schlechten Erzähler macht. Aber das wiederum macht ihn dann auch so fassbar und sympathisch.

Zugleich entlarvt der Erzähler in seiner Ankündigung, dass sich die violette Hose als Leitmotiv durch die ganze Geschichte hindurchziehen wird, das Folgende als Konstruktion.

Ja genau, so entsteht dann eine Komplizenschaft mit den LeserInnen.

Das Gespräch führten Sarah Mühlebach und Anja Schmitter.

Dominic Oppliger: acht schtumpfo züri entfernt. 164 Seiten. Luzern: Der gesunde Menschenversand 2018, 23.00 CHF.