Hummermässiges Instantdichten

Eine kurze Vorstellungsrunde, und dann geht plötzlich alles ganz schnell. Nicht nur das Dichten scheint hier instant zu passieren. Die Spielregeln werden erklärt – ich hab sie irgendwie nicht richtig mitbekommen und den Stichworten im Chat nach zu beurteilen, bin ich nicht die Einzige – und schon geht es los.

Das Publikum gibt ein Stichwort, dann haben die vier Autor*innen 20 Minuten Zeit, einen Text zu erarbeiten und tragen ihn anschliessend vor. Katja Alves und Boni Koller überbrücken die Wartezeit mit einem kleinen Quiz – es gibt sogar etwas zu gewinnen. So weit so gut. Den Teil, in dem Alves und Koller erklären, dass jeweils ein Stichwort in der Kategorie «Handwerkliche Tätigkeit», «Preis» und «Politiker» gesucht wird, bekomme ich nicht mit. Wieso überhaupt diese Einschränkung?

Reina Gehrig, die dem Abend als Notarin beiwohnt, hat dementsprechend einige Mühe, passende Begriffe zu finden oder sie wenigstens der jeweiligen Kategorie zu zuordnen. Da haben wohl einige Zuhörer*innen ihre Stichworte auch nicht nach Kategorie gewählt.

Schliesslich fällt die Auswahl auf «Wein stampfen», «Schwingerkönigin» und «Richard Nixon». Die Autor*innen, Flurina Badel, Romana Ganzoni, Demian Lienhard und Giuliano Musio, ziehen sich zurück und machen sich ans Schreiben.

«Was konnte sich Lukas Bärfuss als Jugendlicher nicht leisten?» Diese und andere Fragen gilt es im Quiz zu beantworten, Punkte zu sammeln und so eine Ausgabe des Strapazins zu ergattern. Leider zieht sich das Quiz etwas hin, doch die Autor*innen freut’s, so haben sie fünf Minuten länger Zeit, um an ihren Texten zu feilen.

Das Highlight des Abends sind dann definitiv die Lesungen der entstandenen Texte. Die Anstrengung, die dahinter steckt, merkt man ihnen überhaupt nicht an. Trotzdem, einfach war es nicht: «Es waren sehr schwierige Begriffe. Ich hätte viel lieber über den Hummer auf eurem Tisch geschrieben. Und ich habe von Hand geschrieben, jetzt kann ich meinen Text fast nicht mehr lesen», zieht Demian Lienhard sein Fazit.

Das Feedback der Zuschauer*innen zeigt, es war ein unterhaltsamer Abend, dessen Hauptrolle dann doch ein stiller Teilnehmer spielte: «hummermässig!»

Anime als Einstiegsdroge

Ausgestattet mit Stift und Papier – oder in meinem Fall etwas digitaler –, stehen wir in den Startlöchern für den Comic Workshop mit Nando von Arb. Lassen wir unserer Kreativität für einmal freien Lauf!

Das ist auch Nando von Arbs Motto: Einfach drauflos zeichnen, nicht zu viel nachdenken und schon gar keine «Erwachsenen-Filter» einschalten. Als Kinder hätten wir alle zeichnen können, wir hätten es einfach wieder verlernt.

Zu Beginn stellt der Comic-Künstler sein eigenes Werk vor. Seine autobiographische Graphic Novel 3 Väter ist gerade in Solothurn mit dem allerersten Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet worden und erzählt von seiner Kindheit in einer Patchworkfamilie mit drei Vätern und einer alleinerziehenden Mutter, die dabei an ihre Grenzen kommt. In seiner Geschichte tritt die Mutter als Vogel und der Vater als wildes Tier auf. Für das Schreiben und Illustrieren ist er sowohl emotional als auch stilistisch in seine Kindheit zurückgekehrt und hat sich von dieser Perspektive leiten lassen.

Genau das sollen nun auch wir versuchen: Denken und zeichnen wie wir das als Kinder gemacht haben, aus der Perspektive eines Kindes. Und wichtig: Einfach drauflos zeichnen! Menschen, mit denen wir noch eine Rechnung offen haben, als tierischen Charakter darstellen und kleine Geschichten entwickeln.

Geleitet von von Arbs Instruktionen und seinem liebevoll gestalteten Worksheet packen wir unsere Stifte und legen los. Es fällt mir schwer, meine perfektionistischen Gedanken und mein Bedürfnis nach Ästhetik zu unterdrücken oder wenigstens zu ignorieren: «Ich kann das nicht. Das sieht sowas von hässlich aus.» Obwohl wir eigentlich keinen Radiergummi benutzen sollten, verwende ich meine «Rückgängig-Taste» anfänglich alle zwei Sekunden. Mit jeder weiteren Illustration, für die uns von Arb jeweils ein paar Minuten Zeit lässt, fällt es mir jedoch leichter loszulassen. Einfach Spass haben und sehen, was ich da auf dem Bildschirm zum Leben erwecke.

Nach jeder Runde sind wir eingeladen, unsere Experimente und Versuche mit den anderen Teilnehmer*innen zu teilen. Ich traue mich noch nicht, aber es macht grosse Freude zu sehen, was bei den anderen entstanden ist. Ein Mädchen zeigt stolz ihre Zeichnung. Sie sei von einer Anime-Serie inspiriert gewesen. Für von Arb ist das keine Überraschung: Anime sei schliesslich eine typische «Anfängerdroge».

Schritt für Schritt werden so aus Menschen Giraffen, Schildkröten, Hunde und schliesslich Comicfiguren mit Emotionen und kleinen Geschichten. Zufrieden und entspannt endet der Workshop nach einer guten Stunde. Ich habe viel Neues gelernt und bin zur Ruhe gekommen. Es tut gut, den Kopf für ein paar Minuten einfach einmal auszuschalten und einfach nur zu zeichnen.

Lyrische Bildwelten

Vom lyrischen Illustrationsbattle zum lyrischen Illustrationsduett. Eine kurzfristige Namensänderung, die auf jeden Fall Sinn macht. Denn ohne lautstarkes Publikum kein richtiges Battle. Als stiller Beobachter, ohne Stress, seine Bewunderung ausdrücken zu müssen, wird die Veranstaltung zu einer komplett neuen Erfahrung.

In 6 Runden lassen die Illustrator*innen vom Bolo Klub – Vera Eggermann, Edi Ettlin, Fruzsina Korondi, Meret Landolt, Eva Rust und Martina Walther – ihrer Kreativität freien Lauf. Gedichte werden illustriert und in kreative Bildwelten verwandelt. Der Bolo Klub ist ein Förderungsprojekt für eine neue Generation von Bilderbuchmacher*innen in der Schweiz. Die Kinderbuchautorin und Lektorin Katja Alves führt durch den Abend.

Die drei anwesenden Autorinnen Johanna Lier, Simone Lappert und Ruth Loosli tragen je zwei Gedichte vor, die gleichzeitig von jeweils zwei Illustrator*innen auf dem Blatt zum Leben erweckt werden.

Das Publikum, das bei einem Battle normalerweise den lautesten Akteur darstellt, ist virtuell nun gar nicht mehr bemerkbar. Es ist still. Zu still. Die Gedanken schweifen ab, während man die Entstehung von kleinen Kunstwerken beobachten darf. Eine Stille, die immer mal wieder durch die Stimme einer Autorin unterbrochen wird, die ihr Gedicht erneut vorträgt und so den gestalterischen Akt akustisch unterstreicht.

Ein inspirierendes, entspannendes und die Sinne erweckendes Zusammenspiel von Bild und Ton. Unglaublich, wie viele tolle Illustrationen in nur 40 Minuten dabei entstanden sind.

Erzählen im Bild und mit Bildern

Welche Fragen interessieren, wenn Jugend- und Kinderliteratur aus der Perspektive von Erwachsenen betrachtet wird? Im Gespräch mit den Illustrator*innen Anete Melece, Nando von Arb und Vera Eggermann sollten genau diese geklärt werden. Versprochen wurde ein Einblick in das kreative Handwerk und eine Auseinandersetzung mit den erzählerischen Möglichkeiten, die Bilder mit sich bringen.

Leider gelang dies während dem 40-minütigen Gespräch jedoch nur bedingt, dafür wurden die aktuellen Kinderbücher der Illustrator*innen vorgestellt. Melece und Eggermann blätterten virtuell durch ihre Geschichten, während sie den Zuhörer*innen die Handlung zusammenfassten. Bei dem 300 Seiten langen Comic von Nando von Arb hätte das offensichtlich den Rahmen gesprengt, weshalb er kleine Auszüge zeigte und Einblicke in seinen Arbeitsprozess bot. Katja Alves, Autorin und Kinderbuchlektorin, moderierte das Gespräch auf eine sehr sympathische Art und Weise.

Seit 25 Jahren schreibt und illustriert Vera Eggermann Bilderbücher, wofür sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Nun lebt sie in London und Luzern. Ihr neues Buch Hugo und Kauz erzählt eine Vater-Sohn-Geschichte und thematisiert das Leben mit der Natur. Für Eggermann ist es ein eher ungewöhnliches Projekt, da sie normalerweise eher Tiere zeichnet. Das sei oft weniger verfänglich, da kein Schönheitsideal erwartet werde. Ihr grosser Wunsch sei es, durch ihre Bilderbücher in Kindern die Lust zum Lesen zu wecken.

Anete Melece ist in Riga, Lettland, geboren. Sie ist Illustratorin sowie Animationsfilmemacherin und gewann 2014 den Schweizer Filmpreis in der Kategorie Animationsfilm für The Kiosk. Nun lebt sie in Zürich und stellte das gleichnamige Buch, basierend auf dem Animationsfilm, vor. Ihre Bücher seien oft detailreicher als die Filme, denn Animation sei sehr aufwendig. So biete auch dieses Buch viel Neues zum entdecken. Als Melece von ihrer Hauptfigur Olga erzählt, die ihren Unfall als Chance betrachtet und sich anschliessend für einen Spaziergang entscheidet, drängt sich der Aktualitätsbezug zur gegenwärtigen Lage förmlich auf.

Nando von Arb, 1992 in Zürich geboren, arbeitet als freier Grafiker, Illustrator und Autor in Gent (Belgien), wo er zurzeit ein Masterstudium in Fine Arts absolviert. Er erzählt von seinem Comic 3 Väter, der dieses Jahr für den Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis nominiert ist. Das autobiographische Werk, das als Bachelorarbeit angedacht war, erzählt von seiner Kindheit in einer Patchworkfamilie. Auch der Illustrationsstil ist von seinen eigenen Kinderzeichnungen inspiriert.

Insgesamt bot die Veranstaltung einen stark visuell akzentuierten Einblick in drei Erzählwelten, welche die vielseitigen Möglichkeiten des Erzählens mit Bildern aufzeigten und exemplarisch aufzeigten, wie viel Kreativität in aktuellen Bilderbüchern und Comics steckt. Im Zuge dessen wird es sehr spannend sein, morgen im Comic Workshop von Nando von Arb tiefer ins Handwerk einzutauchen und vielleicht sogar eine eigene Geschichte mit dem Buntstift zu erzählen.

Literarische Kontakte in virtuellen Begegnungsräumen

Die Geschäftsführerin Reina Gehrig eröffnet die 42. Solothurner Literaturtage im ersten Live-Stream des diesjährigen Festivals, das für ein Mal in virtuellen Begegnungsräumen stattfindet.

Neue Formate verlangen auch neue Formen. So vertieft sich Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga in ein intimes Gespräch mit Simone Lappert, anstatt eine Rede vor grossem Publikum zu halten. Hier trifft Literatur auf Politik und öffnet einen Raum für Kreativität, der aus dem Umgang mit der Leere und dem Ungewissen herrührt. Dieser Schritt ins Leere ist es auch, der Simonetta Sommaruge an Lapperts neuem Roman Der Sprung besonders interessiert – obwohl sie der Titel, wie sie gesteht, zuerst gar nicht angesprochen habe.

Diese Leere, in die eine ganze Welt in den vergangenen Wochen hinabgestossen wurde, bleibt raumfüllend, auch im Digitalen und erst recht im Imaginären. Vielleicht gerade weil Lappert als Autorin immerzu auf der Suche ist nach Leere, Unsicherheit und Widersprüchen, will die Flucht in andere Texträume immer nur kurz gelingen. Denn die Köpfe sind ständig von dem einen Thema besetzt. Während also andere ihre Kleiderschränke, Chuchichäschtli, ihr ganzes Hab und Gut entrümpelt haben, liess Lappert deshalb ihren Gedanken freien Lauf und schrieb «Kopfentrümpelungsgedichte».

Das erklärte Ziel der Solothurner Literaturtage ist, die Sichtbarkeit der Schweizer Gegenwartsliteratur und die Teilhabe daran sicherzustellen. Wir sind gespannt, wie das über virtuelle Begegnungsräume erreicht werden kann, während im Augenwinkel der Alltag mitflimmert.

Unser Team in Solothurn:
Laura Barberio

Trotz anfänglichem Tatendrang blieb die viel vorhergesagte Kreativität im Lockdown neben dem Schreiben von Arbeiten und der Prüfungsvorbereitung dann doch etwas auf der Strecke. Der tägliche Spaziergang wollte ja schliesslich auch noch erledigt sein.

Während zwei weiteren Tagen im Work-Life Wirrwarr möchte sich Laura nun doch dem kreativen Schaffen widmen und freut sich auf das lyrische Illustrationsbattle genau so sehr wie auf den Comic Workshop, und da besonders darauf, gleich selbst den Stift in die Hand zu nehmen. Bei Erzählen im Bild hat sie sich dann hoffentlich schon das theoretische Werkzeug dafür erarbeitet. Beim Lauschen von Instantgedichten und der Jukebox littéraire soll dann die Lust am sich Berieseln lassen nach all den Netflix Serien wieder neu geweckt werden.