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Prost. Auf alle Grossmütter, Mütter und Schwestern

Mit «Gruss aus der Küche» ist eine Auswahl an Texten zum Jubliäum des Schweizer Frauenstimmrecht erschienen, die weibliche Stimmen zu Feminismus von damals und heute versammelt.

Von Noëlle Lee

Grossmütter stricken pinke Pussyhats, Mütter bemalen nach einem langen Tag im Büro Protestplakate und Töchter tragen beides auf der Strasse. Sie alle können heutzutage ihre Stimme an der Urne geltend machen. Vor 50 Jahren jedoch waren die Frauen am Abstimmungstag zu Hause, während ihre Männer darüber abstimmten, ob die weibliche Stimme so viel wert sei wie die eigene. Diese beiden Realitäten, die nur ein halbes Jahrhundert auseinanderliegen, treffen in Gruß aus der Küche aufeinander.

Ein diverser Gruss aus der Küche

Herausgegeben wurde das Buch von Rita Jost und Heidi Kronenberg. Es versammelt 31 Texte von 31 Autorinnen*, welche sich auf ganz verschiedene kreative Arten mit dem 50-jährigen Jubiläum des Frauenstimmrechts auseinandersetzen. Bei der Betrachtung der Autorinnen* erscheint besonders erfreulich, dass in der Textsammlung verschiedenste Frauen* zu Wort kommen. Sie sind zwischen 30 und 80 Jahre alt, haben einen Migrationshintergrund oder auch nicht und sie lieben, wen immer sie wollen. Von Beruf sind sie Wissenschaftlerinnen*, Schriftstellerinnen*, Journalistinnen* und vieles mehr. Es ist interessant und inspirierend, ihre Werdegänge am Buchende zu lesen, die verdeutlichen, in wie vielen Berufsfeldern Frauen* heute vertreten sind. Trotzdem fällt auf, dass die meisten Autorinnen* einen akademischen Hintergrund haben und dieses Buch damit die Perspektive eines bestimmten Bildungsmilieus abbildet.

Struktur gibt der Textsammlung das titelgebende Küchenmotiv. So werden die Texte unter Kapitelüberschriften wie «anstoßen», «auftischen» oder «garen» gegliedert, während Titel wie «abschrecken» oder «einkassieren» das stereotype Motiv raffiniert mit Ironie markieren und mit politischer Ausdruckskraft aufladen. Auch die Illustrationen von Nora Ryser nehmen das Küchenmotiv auf, deren Diversität der abgebildeten Figuren erfreuen und deren graphische Details die Leser*innen schmunzeln lassen.

«Tausend kleine Gefechte jeden Tag»

Dass Frauen in der Schweiz seit einem halben Jahrhundert abstimmen können, wird in Gruss aus der Küche durchaus zwiespältig verhandelt. Soll man fünf Jahrzehnte wirklich feiern, wenn so viele andere Länder bereits vor einem Jahrhundert oder mehr das Frauenstimmrecht eingeführt haben? Gleichzeitig ist es aber ein Meilenstein im langen Kampf der Gleichberechtigung der Geschlechter. An einem Punkt jedoch herrscht Einigkeit: Wenn wir das Frauenstimmrecht schon feiern, dann gebührt der Applaus den Frauenrechtsaktivistinnen*, die so lange dafür gekämpft haben. Gleich mehrere Aufsätze befassen sich mit wichtigen historischen Vorkämpferinnen* und zollen ihnen den gebührenden Dank und Respekt.

Aber nicht nur der aktivistische Kampf für Gleichberechtigung, sondern auch die Alltagsrealität der Frauen*generationen, welche noch ohne Stimmrecht aufgewachsen sind, und ihre Erinnerungen an die historische Abstimmung von 1971 sind Thema. Dabei kommen auch einige Grossmütter zu Wort, die den Enkelinnen ihre Geschichten erzählen und die Leser*innen dazu motivieren, die Frauen im eigenen Familienumfeld nach ihren Erfahrungen zu fragen. Elisabeth Bronfen bringt Thema und Anliegen der Texte auf den Punkt: «Das weibliche Bestreben nach und Bestehen auf einer eigenen Stimme, die in der Öffentlichkeit Gehör findet, ist eine Forderung, an der ständig weiter gearbeitet werden muss – indem wir an die Vergangenheit anknüpfen und diese für die Zukunft neu formulieren.»

Jugendliche Aktivistin*innen fehlen

Im Vergleich zur Aufarbeitung der Vergangenheit nimmt die Gegenwart relativ wenig Platz ein. Trotzdem gibt es Aufsätze wie beispielsweise diejenigen von Anna Rosenwasser, Fatima Moumouni oder Laavanja Sinnadurai, die eindrücklich die gegenwärtige Lage der Frau schildern. Was das Buch jedoch vermissen lässt, ist die Perspektive der jugendlichen Aktivistinnen*. In einer Zeit, in der so viele junge Frauen* für Gleichstellung oder auch fürs Klima und gegen Rassismus einstehen, wäre es begrüssenswert gewesen, dass ihre Sicht auf das Frau*-Sein repräsentiert würde, und ihre Leistungen nicht nur mit einer Randbemerkung über den «neuen Feminismus», der «scheinbar nichts anderes will, als sich mit trendigen T-Shirts Meinungen überzustreifen, um sich in den sozialen Medien publikumswirksam zu inszenieren», abgetan werden.

Und weiter geht’s!

Im Grossen und Ganzen feiert Gruß aus der Küche jedoch gekonnt all diejenigen, die es den Frauen heute ermöglicht haben, politisch mitzureden. Keine einzige der Autorinnen* verbrennt sich dabei die Finger. Vielmehr zeigen sie Witz, Kreativität und Kompetenz in ihren politischen Texten. Ausserdem unterstreicht das Buch eine wichtige Tatsache, welche gerade bei der Thematisierung des 50-jährigen Jubiläums des Frauenstimmrechts und besonders in der Diskussion darüber, ob man das feiern oder betrauern sollte, zu kurz kommt: Unabhängig davon, ob Frauen jetzt zur Urne gehen können – das «Patriarchat verschwindet nicht mit dem Stimmrecht».

 

Zu den Autorinnen

«Gruß aus der Küche», herausgegeben von Rita Jost und Heidi Kronenberg, versammelt Texte von Stefanie Grob, Elisabeth Joris, Franziska Rogger, Sarah Probst, Lotta Sutter, Silvia Binggeli, Barbara Marti, Regula Bührer Fecker, Angelika Waldis, Susan Boos, Ariane von Graffenried, Irena Brežná, Nina Kunz, Christine Loriol, Esther Pauchard, Anja Conzett, Nicole Althaus, Fabienne Amlinger, Laavanja Sinnadurai, Laura de Weck, Anna Rosenwasser, Gisela Feuz, Yael Inokai, Simona Isler, Anja Peter, Monika Bütler, Ina Praetorius, Elisabeth Bronfen, Fatima Moumouni, Iren Meier und Patti Basler.

Rita Jost, Heide Kronenberg (Hgg.): Gruss aus der Küche. Texte zum Frauenstimmrecht. 224 Seiten. Zürich: Rotpunktverlag 2020, ca. 27 Franken.

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