KW05

Alles zu seiner Zeit

Claudia Walders Debüt «Bruchpiloten» erkundet eine seltsame Landschaft des Fernwehs.

Von Nadia Kistler
30. Januar 2023

Ein Schweizer Bergdorf. In der Stube der Frau liegt ein Pilot. Er ist mit seinem gelben Flugzeug abgestürzt liegt nun unruhig und fiebrig da. Die Frau, die Claudia Walders Roman Bruchpiloten nur als Mutter bezeichnet wird, wacht ununterbrochen neben ihm. Ihre Gedanken schweifen ab, das Murmeln des Fiebrigen ruft ihr lang vergessene Sehnsüchte in Erinnerung, deren Sog sie nicht mehr loslässt.

Damals hätte ihre Flucht mit ihrer ersten grossen Liebe geschehen sollen. Nach Monaten engen Kontaktes mit der Familie entscheidet sich der Geliebte jedoch für die Schwester der Mutter. In der Gegenwart scheint die Mutter nicht den Verrat zu bedauern, sondern vor allem den Verlust ihrer Chance, die Welt zu sehen, bevor sie durch Hof und Familie an einen einzigen Ort gebunden wurde.

Zur Autorin

Claudia Walder, 1980 geboren, ist Übersetzerin, Autorin und Redakteurin von Transhelvetica und des Magazins des Schweizerischen Nationalmuseums. Neben einigen Kinderbüchern veröffentlichte sie 2022 mit «Bruchpiloten» ihren ersten Roman. Nach ihrem Studium in Genf und Aufenthalten u.a. in den USA, in China, Belgienund Schottland lebt sie zurzeit im Kanton Luzern.

Geblieben sind ihr zwei Sehnsüchte: Das Fernweh, aber auch das Bedürfnis, ihre Kinder sicher durch alle Lebensabschnitte begleiten zu können.
Noch gelingt es dem Ehemann, ihr Fernweh zu besänftigen, wenn auch nur für den Moment: «Du musst ja nicht gleich jetzt gehen.»

Die Erzählung endet nicht mit der Besänftigung des Fernwehs. Schliesslich ist damit das Problem nicht gelöst, sondern nur verschoben. Der Pilot verschwindet, das Leben der Mutter nimmt seinen Lauf: Die Kinder werden älter, bis sie selber Kinder haben. Und plötzlich sind der Vater und die Mutter wieder allein auf dem Hof. Endlich geht die Mutter in die Welt hinaus, aber erst, als die kleinste Tochter heiratet und somit alle Kinder versorgt sind. Traurig, aber nicht überrascht, bleibt der Vater zurück, denn er gehört noch immer dem Hof. Und kann deswegen auch nicht einfach weggehen. Ohne die Mutter muss der Vater mit der ledigen Tochter alles bewirtschaften. Als seine Trauer über den Weggang der Mutter abebbt, realisiert er, dass der Hof für die Tochter bestimmt ist. Erst jetzt kann auch er in die Welt hinaus und der Mutter folgen.

Claudia Walders erstem Roman merkt man an, dass sie bisher Kinderbücher veröffentlicht hat. Das ist hier aber durchaus als Kompliment aufzufassen. Ihre Sprache ist klar. Die Charaktere sind deutlich umrissen, die Handlung ist weit ausgreifend, aber nie hektisch. Die Zeit heilt hier nicht alle Wunden, dennoch ist das Buch ein Plädoyer für die Geduld, für das Ausharren und gegen voreiligen Aktionismus. Das Lesegefühl, wenn auch nicht die Handlung, erinnert an Saint-Exupérys Petit Prince – aus dem All wurden Alpen.

Claudia Walder: Bruchpiloten. 100 Seiten. Biel: verlag die brotsuppe, ca. 25 Franken.

Weitere Bücher