KW25

Lieber Literaturbetrieb, wir müssen reden…

Am 18. und 19. Juni luden das Literaturkollektiv RAUF und der A*dS zu einem Symposium und Vernetzungstreffen für feministische Anliegen im Literaturbetrieb ein. Ziel war das Ausarbeiten einer konkreten Forderungsliste, um der Diskriminierung von Frauen* entgegenzuwirken.

Von Redaktion
20. Juni 2022

Hürden abbauen

Aus der drückenden Hitze traten wir am Samstagmorgen ins klimatisierte Foyer des Zentrum Paul Klees, schnappten uns Kafi und Gipfeli und gesellten uns an einen der Stehtische, an denen sich die Teilnehmerinnen in kleinen Gruppen zusammengefunden hatten. Die Räume vor und um den Bühnensaal des Kunstzentrums sollten sich an diesem Wochenende in Bern zu einem Ort des Austauschs jener verwandeln, die beruflich mit Büchern und dem Schreiben zu tun haben. Schon vor der offiziellen Begrüssung durch die Co-Organisatorinnen Camille Luscher und Tabea Steiner haben sich also kleine Gesprächsinseln gebildet, wo man sich mit den ersten Frauen* bekannt machte und zu denen man in den kommenden zwei Tagen immer wieder zurückkehrte, um abseits der Programmpunkte an Diskussionen anzuknüpfen, Ideen weiterzuspinnen und Nummern auszutauschen. Im Vortragssaal folgte dann nach der Begrüssung der erste Vortrag von Nicole Pfister Fetz, Geschäftsführerin des A*dS, die dem Publikum die statistischen Fakten zur Unterrepräsentation der Frau* im Schweizer Literaturbetrieb bereitstellte. Damit legte sie den Grundstein für das Tagesprogramm, das Diskussionen in fünf thematisch unterschiedlich ausgerichteten Round Tables vorsah. Darunter gab es beispielsweise einen Round Table mit Christine Chenaux vom Bundesamt für Kultur und Reina Gehrig, Leiterin der Literaturabteilung der ProHelvetia, an dem über Literaturförderung diskutiert wurde. In wechselnden Gruppenkonstellationen wurden konkrete Ausgleichsmassnahmen für Frauen* erarbeitet und erwägt, welche Hürden für Frauen* innerhalb der Förderstrukturen abgebaut werden müssen. Deutlich hörbar wurden ebenso der Wunsch der Teilnehmer*innen nach Quoten und nach einer engeren Vernetzung untereinander.

Seilschaften bilden

Ein anderer Round Table, geleitet von Martina Läubli (NZZ-Redaktorin) und Prof. Dr. Sabine Haupt (Universität Fribourg), widmete sich den Themenschwerpunkten Kritik, Bildung, Forschung. Sowohl in den Medien als auch im universitären Bereich sind es strukturelle Mechanismen, die Einfluss auf die Sichtbarkeit von Frauen haben. Immer deutlicher zeigt sich auch, dass beim Aufbrechen solcher Strukturen insbesondere Frauen in den entsprechenden Gatekeeperpositionen eine Schlüsselfunktion zukommt, verfügen sie doch über die Möglichkeit, anderen Frauen Türen zu öffnen. Abgerundet wurden die Gesprächsrunden mit einem Vortrag der französisch-schweizerischen Schriftstellerin Pascale Kramer und einer raffinierten Bild-Performance der Illustratorin Anna Sommer, die den Tag gestalterisch begleitet und thematische Collagen erstellt hat. Vor allen Dingen war es die Dringlichkeit, weiterhin Seilschaften zu bilden und im Austausch zu bleiben, die an diesem ersten Tag offenkundig wurde. Das wiederum verdeutlicht aber vor allem eines: die Wichtigkeit solcher Veranstaltungen, auf denen man einander auf Augenhöhe begegnen kann.

Den Kopf durchsetzen!

Wer hat Angst vor schreibenden Frauen? Nina George über ihre 20 wilden Jahre im «Macho Wortbetrieb» lautete der Titel von Nina Georges Referat, in dem die renommierte deutsche Schriftstellerin und Präsidentin des European Writers Councils über die gegenwärtigen Missstände hinsichtlich der Rolle von Frauen in der Literaturbranche sprach. Sie stieg mit einer autobiographischen Adenkdote ein und zitierte ihre Mutter, die folgendes antwortete, als George im Kindesalter den Wunsch kundtat, Schriftstellerin zu werden: «Als Schriftstellerin wird dir ein liederliches Leben blühen, weil du alle Männer erschrecken wirst und ohnehin: Schriftstellerinnen können keinen Haushalt führen, sondern suchen den Herd höchstens dann auf, wenn sie sich eine Zigarette anzünden wollen». Wäre die Antwort der Mutter dieselbe gewesen, wenn Nina George kein Mädchen, sondern ein Junge gewesen wäre?

Nina George setzte ihren Kopf jedenfalls trotzdem durch. Nach 20 Romanen und weiteren 100 Kurzgeschichten gelang ihr mit dem Roman Das Lavendelzimmer nämlich der internationale Durchbruch. Während George die «zweifelhafte Ehre» hatte, von Denis Scheck in die Tonne geklopft zu werden, verschaffte ihr Oprah Winfreys Lob eine «charmante Satisfaktion». Bei dieser Scheck-Winfrey-Anekdote handle es sich aber keinesfalls um eine vereinzelte Episode, die ihr den krassen Kontrast zwischen den Geschlechtern in der Literaturbranche vorführte. Emotional lasse sich das aber irgendwie nicht so richtig erklären, weshalb sie beschloss, sich mit Statistiken auseinanderzusetzen.

«Nehmen wir es nicht persönlich, nehmen wir es statistisch»

Und das sagen die Zahlen: der Anteil der Frauen in der Buchbranche liegt seit 1960 bei 80%, ferner machen Frauen im Buchhandel 83% und im Verlagswesen 65% aus. Was aber auffällt: Das obere Management ist stets männlich dominiert, was nicht zuletzt als Ursache für den markanten Pay-Gap im Literaturbetrieb zu bewerten sei, der grösser ist als in anderen Branchen. Die Zahlen schwankten zwischen 7% bis maximal 17%. Darüber hinaus erstaunt es, wenn man zu hören bekommt, dass männliche Autoren europaweit in den Empfehlungen von Schulen und Universitätslektüren vorgezogen werden. In Zahlen heisst das: Auf 10 Werke wird lediglich ein Werk einer Frau empfohlen. Dieses Missverhältnis spiegelt sich auch in der Vergabe von Literaturpreisen. Obgleich auf den meisten europäischen Märkten dieselbe Anzahl männlicher und weiblicher Schreibenden tätig sind, haben Männer beispielsweise in den Niederlanden eine 75% höhere Chance einen Literaturpreis zu gewinnen. In Spanien und Slowenien liegt die Quote sogar bei 86% für die Männer, was nur noch vom Nobelpreis mit 92% übertroffen wird.

Ateliers d’action collective – Vernetzen, aber wie?

Wurde am Tag davor noch «Bestandesaufnahme» gemacht, hiess es am zweiten Tag: Forderungen formulieren! Sowohl am Vor- als auch am Nachmittag setzten sich die Anwesenden dafür in Kleingruppen zusammen, um über #metoo, Care-Arbeit, Vernetzung, Kanon, Moderation, Machtverhältnisse, Quote, Honorare und blinde Flecken zu diskutieren. Frauen* im Literaturbetrieb bringen unterschiedliche Bedürfnisse, Erfahrungen und Meinungen mit. Je nach Beruf, Alter, Kanton, Sprachregion, Bildungsstatus usw. wurden entsprechend andere Forderungen laut. So zeigte sich im Vernetzungs-Atelier die Heterogenität der Gruppe etwa darin, dass einigen der soziale Austausch unter Autorinnen* fehlte, während andere sich durch Netzwerke mehr Transparenz erhofften, beispielsweise bei den Honoraren für Lesungen, die schweizweit sehr unterschiedlich ausfallen. Auch die Form des Netzwerks wurde zum Diskussionspunkt: Sollen institutionelle Angebote ausgebaut werden? Braucht es mehr Plattformen, damit Frauen* sich individuell vernetzen können? Während die einen nicht noch eine weitere Plattform wollten, kannten andere keine einzige. Schlussendlich lieferte diese Gesprächsrunde zwei wichtige Einsichten: Erstens gilt es, bereits bestehende Netzwerke sichtbarer zu machen und Ressourcen zu bündeln. Und zweitens führte die Diskussionsrunde exemplarisch vor, wie ein gemeinsamer Raum die Vernetzung fördern kann.

«Duftige Frauensternchen»

Julia Weber und Sarah Elena Müller beschlossen den Tag und das Symposium mit Beobachtungen, die sie im Verlauf der zwei Tage gesammelt hatten und die sie abwechslungsweise auf der Bühne vortrugen. Sie präsentierten ein literarisches Amalgam aufgeschnappter Sätze, eingefangener Momente, kreativer Reflexionen und humorvoller Ideen. So überlegte Sarah Elena Müller etwa, ob sie sich bei Lukas Bärfuss um die Stelle des neuen Max Frisch bewerben solle, der den Titel zwar jetzt noch trage, aber ja wohl nicht auf immer. Sie sprach über die ganzen «Frauensternchen am Himmel des Literaturbetriebs», die so schön funkeln, ach so süss («duftig») seien und modulierte dabei ihre Stimme höher, betonte jedes Wort überschwänglich und strich so performativ die Lächerlichkeit der Verniedlichung schreibender Frauen* heraus. Nach zwei Tagen, an denen hingeschaut, benannt, diskutiert und an Veränderungen gearbeitet wurde, stand also der Grund für die Anstrengungen so deutlich, so offensichtlich vor den Teilnehmenden: Für gute Literatur lohnt es sich, Platz zu schaffen.

Helen Kuhn, Nora Trüb, Vera Zimmermann, Okan Yilmaz

Weitere Bücher