KW28

Auf neuen Pfaden

Charles Lewinsky

In ihrem neuen Krimi «Alte Feinde» schickt Petra Ivanov ihr Detektivduo «Flint und Cavalli» erneut auf die Suche nach einem Mörder. Ein Verwirrspiel mit Namen und Zeitebenen, das erstmalig in Ivanovs erfolgreichem Oeuvre vor einer historischen Kulisse spielt.

Von Xenia Bojarski
6. Juli 2020

Wem kann noch getraut werden, wenn sich potenziell hinter jedem Gesicht ein Feind verbergen könnte? Mit Alte Feinde, dem bereits achten Band ihrer erfolgreichen Krimireihe Flint und Cavalli, begibt sich die Zürcherin Petra Ivanov auf neue Pfade. Sie schickt ihre beiden Ermittler fernab der Schweiz auf Ermittlungstour, taucht mit ihnen in die Vergangenheit ab, um den Spuren von Schweizerinnen und Schweizer im amerikanischen Bürgerkrieg zu folgen.

Der Kripo-Ermittler und ausgebildete FBI-Profiler Bruno Cavalli befindet sich in den USA, um einem gefürchteten Blasrohrjäger, der seine Opfer mit Giftpfeilen tötet, eine Falle zu stellen. Bald wird ihm klar, dass der Täter eigentlich ihn im Visier hat. Zeitgleich befindet sich seine Freundin, die Staatsanwältin Regina Flint, in der Schweiz und ermittelt in einem Mordfall, bei dem die Mordwaffe aus dem amerikanischen Bürgerkrieg stammt. Als Flint in die USA reist, um Ermittlungen zu ihrem Fall anzustellen, trifft sie Cavalli wieder. Sie begibt sich mit ihm auf die Jagd nach dem Mörder, wobei die Grenze zwischen Jäger und Gejagten zunehmend verwischt.

Zur Autorin

Petra Ivanov, geboren 1965 in Zürich, lebte als Kind in New York. Nach ihrer Ausbildung zur Dolmetscherin in Zürich arbeitete sie als Übersetzerin und Sprachlehrerin, später als Journalistin und Redakteurin, u.a. für das HEKS (Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz). Ihr Debüt gab Ivanov 2005 mit «Fremde Hände», dem ersten Kriminalroman mit dem Ermittler-Duo Regina Flint und Bruno Cavalli. Darauf folgte 2011 mit «Tatverdacht» der Beginn einer zweiten Krimireihe mit dem Ermittlergespann Jasmin Meyer und Pal Palushi. Ausserdem ist sie Autorin von Kurzgeschichten und Jugendbüchern. Ivanov hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, u. a. den Zürcher Krimipreis (2010). Heute lebt Petra Ivanov in Zürich als freie Schrifstellerin.
Foto: © Chris Marogg

Zum ersten Mal behandelt Ivanov hier also einen historischen Stoff und bringt damit einen scheinbar abseitigen Imaginationsraum ins Spiel, der jedoch eng mit der Schweiz verknüpft ist. Damit unterrichtet uns der Roman über ein Kapitel aus der helvetischen Geschichte, detailliert recherchiert und raffiniert in einen fiktiven Kontext eingebettet. Sie habe sich, wie Ivanov selbst sagt, für diesen Roman in unbekannte Gefilde vorgewagt und dazu sogar mit Nachkommen von Schweizern, die im amerikanischen Bürgerkrieg gekämpft haben, gesprochen. Die Recherchearbeit machte sie selbst zur Ermittlerin: Sie begab sich auf Faktensuche und machte sich mit historischer Forschung, Zeitzeugnissen und Chroniken vertraut.

Doch wie kam es, dass die Schweiz in den Sezessionskrieg involviert wurde? In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte der junge helvetische Bundesstaat eine regelrechte Emigrationswelle, ausgelöst durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbrüche, die zweite industrielle Revolution und eine rasant wachsende Bevölkerungszahl. Einer der bedeutendsten Schweizer im amerikanischen Bürgerkrieg, Henry Wirz, spielt auch in Ivanovs Roman eine Rolle. Wirz war Lagerkommandant des Gefangenenlagers Camp Sumter in Andersonville, wo katastrophale Bedingungen herrschten und etwa ein Drittel der Gefangenen zu Tode kam. Er wurde schliesslich selbst zum Tode verurteilt. Sein Urgrossneffe, Heinrich L. Wirz, lebt noch heute in der Schweiz und verhalf Ivanov mit seinem Hintergrundwissen zu einer überzeugenden Figurenzeichnung des Lagerkommandanten.

Der Versuch, die Kluft zwischen den Generationen zu überwinden, gelingt aber nur bedingt. Ivanov nutzt dazu das multiperspektivische Erzählen: Kapitel aus dem Zürich der Gegenwart folgen auf solche, die in den USA zu Zeiten des Amerikanischen Bürgerkriegs spielen. Dies erzeugt eine überzeugende, nahbare Szenerie. Die Figuren- und Namenfülle erschwert jedoch die Verknüpfung von Vorfahren und Nachkommen und die Situierung im Roman, was besonders den Anfang zäh und schwer lesbar macht. Vor dem Hintergrund des Genres gibt sich dies jedoch als ein poetologischer Kniff zu lesen, bei dem Leser*innen zuerst selbst ermittlerische Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen, sich Namen und Fakten einprägen und ordnen, bevor ihnen das Aufdecken der Täterschaft gelingt.

Auf der einen Seite erzeugt Alte Feinde also eine gewisse Verwirrung hinsichtlich der Beziehungen zwischen Figuren. Dem entgegen steht jedoch Ivanovs klare Sprache, die das Geschehen prononciert beschreibt und dabei auch keine inhaltlichen Berührungsängste kennt. Weder macht sie vor schonungslosen Schilderungen der Zustände des Gefangenenlagers noch vor romantischen Szenen zwischen Cavalli und Flint halt. Dabei findet Ivanov für jede Situation den richtigen Ton. Sie bleibt sachlich, wenn die Ermittelnden ihrer Arbeit nachgehen, lässt eine Beobachtung auf die nächste folgen, wenn Cavalli scharfsinnig Tathergänge rekonstruiert und passt die Orthografie der Phonetik an, wenn Kleinkinder sprechen. Das ist mehr, als vom Genre häufig zu erwarten ist, und so überzeugt Ivanovs erster Ausflug in historische Gefilde trotz anfänglicher Irritationen am Ende sehr.

Petra Ivanov: Alte Feinde. 384 Seiten. Zürich: Unionsverlag 2020, ca. 19 Franken.

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