KW27

Einmal den Stinkefinger gezeigt

Charles Lewinsky

Mit ihrem Debütroman «Böse Delphine» legt Julia Kohli eine Gesellschaftssatire vor, die weniger satirisch als vielmehr gesellschaftsfähig ist.

Von Emika Märki
29. Juni 2020

Böse Delphine wurde im Jahr 2018 mit dem Studer/Ganz-Preis für das beste unveröffentlichte Prosadebütmanuskript ausgezeichnet. Entsprechend gross waren die Erwartungen. Der Text erzählt nah an Julia Kohlis Biografie: Die Geschichte spielt im gegenwärtigen Zürich und wird aus der Perspektive einer 27-jährigen Studentin geschildert, genannt Halina.

In ihrem Leben stimmt eigentlich alles, befindet Halina. Dennoch ist da dieser leise Zweifel, der ab und an die Oberhand gewinnt. In diesen Momenten gönnt sie sich eine Zigarette am Küchenfenster und gesteht sich ein, dass sie sich selbst etwas vormacht. Bissig, mit dem sie im Materiallager alte Magazine aussortieren muss, stösst sie mit ihrem Arbeitseifer vor den Kopf. Bei den Motivationsreden ihrer Chefin hält sie sich innerlich die Ohren zu, und ihren besten Freunden Nada und Rico gaukelt sie die ideal(isiert)e Liebe vor – indes sind an Elias, dem kultivierten Archäologen, in Wahrheit nur die Zähne perfekt. Auf knapp 200 Seiten faltet Böse Delphine in einem zeitkritischen Gestus das ganze Absurditätsspektrum postmoderner Gesellschaften auf. Dabei lässt uns Kohli durch die Hauptfigur Halina den Wahnwitz der Selbstoptimierung, die Floskelhaftigkeit der Sprache und die Ambivalenzen im Handeln erkennen. So verkümmern die Figuren aus Böse Delphine zu verklärten Karikatur ihrer selbst: Stetig führt der Roman das unablässige Bemühen seiner Figuren vor, utopischen Idealen nachzueifern, und lässt sie jedes einzelne Mal gnadenlos scheitern. In spöttelnder Manier stellt Kohli heuchlerische Doppelmoral im Managementsektor, abgeschmackte Floskeldrescherei in Akademikerkreisen und grotesken Narzissmus in der Kunstszene aus. Auf eine Sentenz verdichtet: Das Buch ist ein demonstrativer Versuch, der Gesellschaft den Stinkefinger zu zeigen.

Zur Autorin

Julia Kohli, geboren 1978 in Winterthur, lebt heute in Zürich. Nach einer Buchhandelslehre studierte sie Wissenschaftliche Illustration sowie Anglistik und Osteuropäische Geschichte in Zürich. Kohli arbeitet als freie Illustratorin, Autorin und Kulturjournalistin. Für ihren ersten Roman «Böse Delphine» wurde sie 2018 mit dem Studer/Ganz-Preis für das beste unveröffentlichte Prosadebüt ausgezeichnet.

Als Teilzeitangestellte in einer Flughafen-Buchhandlung beobachtet und beschreibt Halina das Treiben am Flughafen. Dass ausgerechnet der Flughafen als Schauplatz dieses Romans dient, ist wohl kein Zufall, vielmehr trägt er stark autofiktionale Züge. So trumpft der Roman mit viel Fachwissen rund um den Flughafenbetrieb auf, das sich in der Beschreibung von Räumlichkeiten und Arbeitsabläufen bemerkbar macht. Im Laufe der Lektüre kristallisiert sich jedoch heraus, dass die wahre Stärke des Textes in seiner Form beschlossen liegt. Die Schilderungen sind plastisch und präzise, ohne ausufernd zu werden. In aller Anschaulichkeit wird das Dauerlächeln der Duty-Free-Mitarbeiterin vor Augen geführt, riecht man die schwere Süsse, welche vom Pralinenshop ausströmt oder hört das Quietschen der holpernden Kofferräder. Den nötigen Biss verleihen dem Roman die spitzen Kommentare der Protagonistin. Besonders unterhaltsam sind Halinas Ausführungen, in denen alltägliche Begebenheiten in soziokulturelle Analyse münden. So macht sie aus Lampenschirmen ein Sinnbild für spiessiges Bürgertum und aus Ohrstöpseln ein Symbol ignoranter Sorglosigkeit der postmoderner Gegenwart.

Leider verfehlt jedoch der Erzählstoff seine Form, denn Kohli greift auf Szenen und Handlungen zurück, die als Gegenstand der Satire in ihrer überzogenen Repräsentation schlicht nicht funktionieren. Die Darstellung der Zürcher Langstrasse als ein von Gewalt geprägtes Elendsviertel ist zu realitätsfern, als dass sie glaubwürdig erscheinen könnte. Die Polemik gegen das idolisierte Künstlergenius wirkt genauso abgeschmackt und klischiert wie die Assoziation von Dosenravioli und armem Studierendendasein. Zudem werden die Charaktere auf stereotype Figuren unserer Zeit reduziert, wodurch sie platt und unauthentisch wirken. Das ist schade, denn einige Charaktere bieten durchaus narratives Potential, hätte die Autorin ihnen den nötigen Freiraum und die Möglichkeit zur Entfaltung eingeräumt. Zudem entgeht ihnen der reflexive Tiefgang, den es für eine kritische Bespiegelung der Gesellschaft bedürfte. Indem Böse Delphine durchwegs auf der Oberfläche verharrt, verfällt der Text seiner eigenen Logik – und hebelt sich damit gleich selbst mit aus.

Julia Kohli: Böse Delphine. 190 Seiten. Basel: Lenos Verlag 2019, ca. 28 Franken.

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