KW23

Auflegen und schreiben

Laila Schneebeli traf Saskia Winkelmann in Solothurn - ein Gespräch über Winkelmanns Debütroman «Höhenangst», Wege zum und im Schreiben - und über das Schreiben als DJ.

Von Laila Schneebeli
8. Juni 2023

Saskia, du organisierst die Sofalesungen in Bern. Den Literaturbetrieb kennst du daher gut. Wie ist es, nun selbst diejenige zu sein, die liest und auf der Bühne steht?

Ich muss dazu sagen, dass ich ja durch die Arbeit als DJ manchmal auf der Bühne stehe und das schon etwas kenne, aber innerhalb des Literaturbetriebs ist das sehr neu und aufregend. Für mich als Veranstalterin ist es interessant, nun auch die andere Seite zu sehen und ich erhalte einen noch besseren Einblick darin, was die Bedürfnisse sind, beziehungsweise was ich mir als Autorin von einer Veranstaltung wünschen würde – und umgekehrt. Aber in erster Linie ist es aufregend und auch ein bisschen überwältigend, als Autorin hier zu sein.

Im April ist dein Debütroman «Höhenangst» erschienen. Wie bist du selbst zum Schreiben gekommen und wie ist dieser Roman entstanden?

Ich glaube, die Frage, wie ich zum Schreiben gekommen bin, hat viele Antworten und ich kann auch selbst nur vermuten, was alles dazu geführt hat, dass ich damit begonnen habe. Schreiben und erzählen, gesprochene und geschriebene Sprache waren einfach immer schon die Ausdrucksmittel meiner Wahl. Seit ich Geschichten erfinden kann, erfinde und erzähle ich Geschichten, seit ich sprechen kann, spreche ich wirklich sehr viel, seit ich schreiben kann, schreibe ich. Es war tatsächlich schon ein Kindheitstraum von mir, Schriftstellerin zu werden. Davon bin ich dann wieder abgekommen und habe das Schreiben länger aus den Augen verloren. Erst nach dem Gymnasium habe ich wieder ernsthaft damit angefangen. Ich habe mich dann für ein Studium im Literarischen Schreiben entschieden, was eine grosse Entscheidung war – auch deshalb, weil ich aus einer Familie komme, in der studieren, insbesondere Kunst studieren, etwas war, das davor niemand, zumindest keine Frau, getan hatte. Durch dieses Studium hat sich meine Schreibpraxis dann entwickelt. Und es gibt Texte, die eine längere Form verlangen. Vor etwa 8 Jahren begann dieser Text in meinen Notizen aufzutauchen, und vor allem die Stimme, die den Roman erzählt, hat irgendwie mehr Platz gefordert. Sie hat mich die letzten 6-7 Jahre, also bis zur Abgabe des Manuskripts, nicht mehr losgelassen und ich habe immer wieder daran geschrieben. Ich war 24, als ich angefangen habe mit dem Text, was vielleicht auch ein bisschen die Nähe zu der 18-jährigen Protagonistin erklärt, damals war ich diesem Alter ja noch viel näher.

Hat sich der Text denn sehr verändert über diese Zeitspanne?

Er hat sich immer wieder verändert, aber die Ausgangslage ist noch dieselbe. Ich habe einfach die Figuren besser kennengelernt. Es gab eine starke Veränderung in der Form, der Text war zuerst nicht an ein Du gerichtet, ausserdem hat sich das Gender von mindestens einer Figur komplett geändert, was auch noch einmal sehr viel ausgemacht hat. Es fühlte sich aber nicht so an, als hätte ich das entschieden, sondern als wäre das eine Gegebenheit der Figur gewesen, die ich davor falsch verstanden hatte und erst jetzt richtig entdeckte.

Zur Autorin

Zur Autorin

Saskia Winkelmann, geboren 1990 in Thun, hat Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und Contemporary Arts Practice an der Hochschule der Künste Bern studiert. Sie schreibt, veranstaltet, moderiert und ist unter dem Alias Kia Mann als DJ unterwegs. Ihre Texte sind in Literaturzeitschriften, Zeitungen, einem Zine, auf Bühnen und auf einem Plattencover erschienen. 2023 erschien ihr Debütroman «Höhenangst».

«Höhenangst» ist vieles: eine Coming-of-age-Geschichte, die Erzählung einer ersten Liebe zwischen der Erzählerin und Jo, die Geschichte eines Verlusts. Jo ist offenbar bei einem gemeinsamen Drogentrip gestorben. Zu Beginn erfahren wir, dass Jo bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hat. Die Erzählerin hört schon seit sie ein Kind war eine Stimme im Kopf und glaubt im Verlauf des Buchs, selbst Jo zu sein. Ist «Höhenangst» auch die Geschichte einer Krankheit?

Ich glaube nicht, dass es per se die Geschichte einer Krankheit ist, aber die Frage nach psychischer Krankheit oder Gesundheit ist auf jeden Fall darin angelegt. Da gibt es ja Schattierungen und die Übergänge zwischen krank und gesund sind oft sehr fliessend. Das Buch versucht auch, Träume, Rausch, Fantasie und Realität nebeneinanderzustellen und stellt dabei die grosse Frage danach, was Realität ist.

Ist denn Jo real oder nur eine Einbildung der Erzählerin? Diese Figur repräsentiert ja vieles von dem, was sie selbst gern wäre.  Jo kümmert sich nicht darum, was die anderen denken und hält sich nicht an Regeln. Ich stelle mir vor, dass Jo eine versteckte Seite verkörpert, die nun ans Licht drängt.

Jo ist auf jeden Fall eine Art Spiegelung oder vielleicht besser gesagt ein Gegenstück zu der Erzählerin. Für mich ist viel weniger die Frage interessant, ob es Jo wirklich gibt oder nicht, weil ich in dieser Geschichte erzählen möchte, dass Dinge in einer Gleichzeitigkeit wahr sein können. Der Roman stellt die Frage danach, was real und was nicht real ist, aber ich kann das selbst in einer Eindeutigkeit gar nicht sagen, es ist mir auch nicht so wichtig. Die Frage ist wohl auch nicht, ob Jo existiert, sondern vielmehr in welcher Realität Jo existiert.

Im Roman sagt Jo einmal, normal seien die Strassen, die alle nehmen. Aber es gebe auch das Dickicht und da müsse man sich durchschlagen. Was bedeutet es für dich, sich durch das Dickicht zu schlagen?

Das ist natürlich ein eher plattes Bild, aber Jo spricht eben oft in grossen Phrasen und benützt Bilder, die ich vielleicht selbst gar nicht machen würde. Was Jo damit meint, sind die Wege, die noch Trampelpfade sind, noch keine grossen Autobahnen, auf denen alle fahren, weil es da geteert ist. Wege, die ein Mensch selbst finden und suchen muss und je mehr Menschen diese gehen, desto mehr werden sie zu vorgetretenen Pfade. Es ist also, und ich sage das jetzt auch ein bisschen platt, ein Bild dafür, den eigenen Weg zu finden. Eine Frage von mir, die im Roman erscheint, ist eben auch, warum etwas als normal und etwas anderes als nicht mehr normal bezeichnet wird. Für mich ist ganz klar, dass Normalität immer auch etwas Gemachtes ist, das jemandem oder einer Sache dient. Und wenn in einer Gesellschaft nicht transparent gemacht wird, dass auch Normalität nur ein Konstrukt ist, dann kann das für Menschen, die dieser nicht entsprechen, sehr gefährlich sein. Es kann im Extremfall zu Selbsthass führen oder zu dem Gefühl, nicht richtig zu sein. Und Jo ist im Roman die Figur, die sagt, dass es auch andere Wege gibt als den «normalen», wir müssen sie nur finden.

Das Cover zeigt bereits den Strudel an, in den deine Erzählerin gerät. Diese spiralförmige Bewegung erkenne ich auch in der Art und Weise, wie deine Sprache das Ereignis von Jos Tod umkreist. War dieser Tod von Anfang an dein Ausgangspunkt?

Spannenderweise ist es tatsächlich so, dass diese erste Szene noch immer fast unverändert so dasteht, wie ich sie vor 8 Jahren das erste Mal geschrieben habe. Was mich von Anfang an interessiert hat, ist dieser Drang, etwas so erzählen zu wollen, wie es war. Und vielleicht hat sich die Motivation der Figur verändert oder ich habe herausgefunden, warum sie das unbedingt erzählen wollte, aber diese Ausgangssituation war schon immer da. Erst war es eine Verhörsituation, was sich für mich aber nicht stimmig anfühlte, und durch die Einführung des Du im Text ist dann eine Radikalität entstanden, die besser passte. Jo ist weg und die beiden versuchen ja, in einer Welt zu leben in der nur der Moment zählt. Jo sagt sogar einmal: Wenn jemand gestorben ist, heisst das, jemand hat nie gelebt. Wenn du nur im Moment lebst, bedeutet das im Endeffekt, dass Zukunft und Vergangenheit gar nicht existieren. Das heisst aber in der Konsequenz auch: Wenn eine Person weg ist, existiert sie auch nicht mehr. Das bedeutet den absoluten Verlust dieser Person. Und diese Idee, die Art und Weise, wie sich die beiden zu leben entschlossen haben, fällt dann auf die Erzählerin zurück und sie versucht nun, im Erzählen alles zurückzuholen. Darin liegt eine Dringlichkeit, darum umkreist auch alles dieses eine Ereignis.

Zu dieser Idee der beiden, nur im Moment zu leben und alles andere auszublenden, gehört auch die Entdeckung der Welt der Raves in einem düsteren, vernebelten Keller mit wummernden Bässen. Du bist selbst in dieser Szene unterwegs und legst elektronische Musik auf. Inwiefern hat dich das beim Schreiben dieses Buchs beeinflusst?

Alles, was ich mache und erlebe, beeinflusst mich natürlich in meinem Schreiben, das kann ich, glaube ich, gar nicht verhindern. Das Auflegen beeinflusst mich auf verschiedene Weise. Ich sehe in Clubs Zufluchtsorte, die man aufsucht, um der Gesellschaft für einige Stunden zu entkommen. Man ist normalerweise in der Nacht wach, man schläft unter Umständen nicht und man tut etwas – nämlich tanzen – das niemandem produktiv etwas nützt. Das hat in dem kapitalistischen System, in dem wir leben, fast schon etwas Widerständiges – ausser natürlich, wenn man nur kurz aussteigt, damit man danach umso besser weitermachen kann. Grundsätzlich erlebe ich dieses Bedürfnis, allem zu entfliehen, was sonst im Alltag da ist, im Club ganz stark. Und ich erlebe auch den Reiz und den Sog und die Faszination, die da entstehen können. Und auf der anderen Seite hat das Auflegen auch viel mit Schreiben zu tun: Es hat mit Rhythmus zu tun, mit Beobachten, man muss dabei den Raum ganz genau wahrnehmen und herausspüren, was es braucht. Ein DJ-Set braucht eine Dramaturgie, einen Rhythmus. Das braucht es auch beim Schreiben, es findet nur in einem anderen Tempo statt. Beides erfordert eigentlich sehr offene Sinne.

Dein Roman hat auf jeden Fall einen Sog, der einen hineinzieht, wie es auch bei einem DJ-Set der Fall sein kann. Du hast soeben den Club als Zufluchtsort erwähnt. Im Roman gibt es neben dem Keller noch einen anderen solchen, nämlich das Mittelmeerhaus des Botanischen Gartens. Was ist dein persönlicher Zufluchtsort?

Ich glaube, es kommt immer darauf an, was sonst in meinem Leben passiert. Ich bin ein Mensch, der zwei grosse gegensätzliche Sehnsüchte in sich trägt, die abwechslungsweise befriedigt werden müssen, nämlich diejenige nach Abgeschirmtsein und Alleinsein und die nach Gemeinschaft und Aufgehobensein in der Gemeinschaft. Das ist etwas, was mich immer wieder herausfordert, denn wenn ich zu lange in Gemeinschaft bin, muss ich mich wieder komplett zurückziehen und wenn ich zu lange allein bin, muss ich wieder unter Leute und in mich in den Trubel hineinstürzen. Ich muss deswegen sehr genau spüren können, was ich gerade brauche. Meine zwei Zufluchtsorte sind tatsächlich mein Zuhause, also mein abgeschirmter Raum, in dem ich selbst bestimmen kann, wie viele Reize hineinkommen kommen und auf der anderen Seite mein zum Glück sehr grosser und sehr toller Freund:innenkreis. Ohne diese beiden Zufluchtsorte könnte ich wahrscheinlich nicht mehr als psychisch gesund gelten.

 

 

 

 

 

Saskia Winkelmann: Höhenangst. 196 Seiten. Biel 2023: verlag die brotsuppe, ca. 29 Franken.

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