Über Sprache, Quappen und Kinderbücher: Ein Nachmittag mit Elisa Shua Dusapin

Ich stehe vor dem Erkerzimmer im Karl und warte, dass ich zur Veranstaltung reingehen darf, da kommen Sandrine Charlot Zinsli und Ruth Gantert auch schon aus dem Raum und stellen sich als Moderatorin des Nachmittags und Übersetzerin vor. Die Autorin sei noch nicht da, sie komme direkt aus Paris und vielleicht sei der Zug verspätet. Kaum zwei Minuten später steht Elisa Shua Dusapin (das Shua spricht man Sua, wie sie uns erklärt) auch schon da. Der Raum füllt sich nur langsam und bleibt bis zum Schluss halbleer an diesem Sonntagnachmittag. Selbst schuld, wer sich so eine Autorin entgehen lässt – denn in Frankreich ist Dusapin bereits eine der ganz Grossen. Mit ihrem neuen Roman Le vieil incendie aktuell nominiert für den prix médecis, werden ihre Bücher mittlerweile in 38 Sprachen übersetzt. Sie reist den grössten Teil des Jahres, um ihre Bücher in verschiedensten Ländern vorzustellen, lebt aber eigentlich in Frankreich. Zum Schreiben komme sie nur, wenn sie sich die Zeit dazu bewusst nehme, sagt sie.

Kurz darauf bin ich froh um unsere kleine Gruppe. Die Atmosphäre im Raum ist ruhig und doch knisternd, vorgespannt. Denn sobald Elisa Shua Dusapin über Kinderbücher, und vor allem ihren Comic le Colibri spricht, dann leuchten ihre Augen – es ist ein Herzensprojekt, dass sie damit realisiert hat.

Ursprünglich wurde Duspain angefragt, um die Theateradaption zu schreiben – sie wollte aber nicht einfach eine Vorlage umsetzen, sondern etwas Eigenes schaffen. Neben dem Theater gibt es auch noch den Comic, ein Audiobuch und eine musikalische Umsetzung. Die Musik hat das Orchestre de la Suisse Romande komponiert. Musik und Theater waren schon vor der Literatur wichtige Teile in Dusapins Leben. Und auch die Kinderliteratur hat einen festen Platz in ihrem Schaffen – zwischen ihren Romanen schreibe sie immer ein Kinderbuch, das gebe ihr mehr Freiheit beim Schreiben.

In le Colibri geht es um einen Jungen, Céléstin, dessen älterer Bruder Himmelsforscher (explorateur du ciel) geworden ist. Céléstin lernt Lotte (das E muss man aussprechen, ansonsten ist es im Französischen ein schrecklicher Fisch, eine Quappe) kennen, die ihm einen Colibri gibt. Der Colibri, zu Beginn starr und unbeweglich, wird zur Metapher für Céléstins verstorbenen Bruder. So schreibt Dusapin am liebsten in florierenden Metaphern, sodass sie Leser:innen den Raum gibt, selbst zu interpretieren.

Die Sprache ist immer zentral in Dusapins Werken – sie selbst ist Tochter eines Franzosen und einer Südkoreanerin, wuchs unter anderem im Jura auf und studierte dann in Biel. Als Kind sei sie in der Familie oft diejenige gewesen, die übersetzt habe. So geht es in ihren Büchern immer darum, wie verschiedene Menschen miteinander kommunizieren, obwohl sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Passend dazu ist die Veranstaltung auf Französisch mit Übersetzung auf Deutsch, Moderatorin und Übersetzerin harmonieren miteinander – die eingeschobenen deutschen Passagen tun der Stimmung keinen Abbruch.

Dusapin wirkt sehr überlegt, manchmal nachdenklich, aber immer mit einem Funkeln in den Augen, mit einer Neugierde, neue Ideen zu finden und so lauscht das comité intime, wie Sandrine Zinsli unseren Kreis passend bezeichnet, die ganze Zeit gebannt auf Deutsch und auf Französisch den Geschichten von Elisa Shua Dusapin, denn die erzählt sie wunderbar.