Was verbirgt sich hinter Toni?

Als Alan Schweingruber zwischen hölzernen Deckenbalken und abstrakten Kunstwerken in der Galerie Reitz aus seinem neusten Roman vorliest, fühlt es sich an wie ein kalter Winterabend vor dem warmen Cheminée. «Die normale Geschichte des Toni Geiser» erzählt von einem etwas merkwürdig anmutenden Mann, der in einer Waldhütte lebt, und der Liebesgeschichte zweier junger Leute, die genau so schön wie kompliziert ist.

Schweingruber füttert uns mit Ausschnitten seiner Erzählung, die Einblick genug geben, um neugierig zu machen, die aber doch genug verborgen halten, um das Überraschungsspiel des Romans nicht zu ruinieren. Sara Wegmann, die wie Schweingruber beim Telegramme-Verlag ihre Bücher herausgibt, versichert, dass man die Brille, mit der man die Welt sehe, beim Lesen des Romans mehrmals hinterfragen werde.

Vom Journalisten zum Autor

Ursprünglich ist Schweingruber Experte darin, schnell und kurz zu schreiben. Als früherer Sportjournalist ist er sich gewohnt, im Rummel eines vollen Stadiums Bericht zu erstatten und Texte zu schreiben, die in 45 Minuten auf die Redaktion müssen. Das sei schön und gut gewesen, doch er habe Lust gehabt, etwas Langes zu schreiben, etwas, das dauert. Denn darin verstecke sich das Literarische. Trotzdem scheint diese Spontanität und Intuition auch in seinem jetzigen Schreiben durch. «Meine Figuren sind nicht am Reissbrett entworfen», sagt Schweingruber. Das Chaos brauche er ein bisschen, um kreativ zu sein.

Trotzdem geht dem Roman die Raffinesse nicht verloren. In den drei vorgelesenen Ausschnitten wird schnell ersichtlich, dass Schweingruber weiss, was er tut. Eine aufmerksame Zuhörerin bemerkt, dass bei einem vorgelesenen Ausschnitt in die Ich-Perspektive gewechselt wurde. Das sei schon Absicht, meint Schweingruber dazu. Das Schreiben in der Ich-Form habe einen anderen Drive und man sei näher an der Figur. Er wechsle dann aber auch wieder zurück. Dadurch entsteht ein Spiel der Nähe und Distanz zu den Figuren.

Was es mit dem Protagonisten des Romans Toni Geiser auf sich hat, verrät uns der Autor nicht. Schweingruber liest zwar den Beginn des Romans vor, bei dem sich Toni in einer einsamen Waldhütte aufhält und auf drei nervige Jugendliche stösst, wobei einer von einem Wildschwein angegriffen wird. Doch die nächste vorgelesene Passage handelt vom Schüler Richard und der Köchin Isabelle, die sich im Laufe der Geschichte unweigerlich ineinander verlieben werden. «Ich wollte, dass man am Anfang Toni kennenlernt und sich fragt, warum er so ist, wie er ist», sagt Schweingruber. Die Auflösung dazu folgt aber erst viel später. Der Grossteil des Romans handelt von der Liebesgeschichte zwischen Richard und Isabelle. Dabei kommen auch Themen wie Erwachsenwerden, Familie und Freundschaft zum Zug.

«Aber scheiss Tage können dazu führen, dass man Glück hat.»

Alan Schweingruber

Sehr präsent in «Die normale Geschichte des Toni Geiser» ist der Kontrast zwischen Stadt- und Landleben. Das hat auch etwas mit den persönlichen Erlebnissen des Autors zu tun. «Seit der Pandemie bin ich viel naturverbundener», so Schweingruber. Er gehe natürlich schon noch in die Stadt und unter die Menschen, aber früher hatte es nie genug sein können. «Ich wusste, dass mein nächster Roman irgendwo in der Abgeschiedenheit spielen würde.» Schlussendlich ist es zwar eine Waldhütte in der Nähe einer Stadt geworden, doch das ganze Buch spielt hauptsächlich an ruhigen Orten. Der Spannung tut dies keinen Abbruch, denn mit Schweingrubers detailgetreuem Erzählstil kann man sich sowohl die Figuren als auch die wechselnde Umgebung lebhaft vorstellen.

Als wir mit Liebeskummer, einer Kündigung und dem Wiedertreffen der Exfreundin konfrontiert worden sind, fühlt sich der Abend nicht mehr so wohlig warm wie am Cheminée an. Wir sind zwar in die Realität zurückgeholt worden, doch ohne eine Weisheit entlässt uns Schweingruber nicht auf den dunklen Heimweg. Schlechte Tage, wie es die Figuren in seinem Roman habe, gebe es immer. «Aber scheiss Tage können dazu führen, dass man Glück hat.» Wenn er den Zug verpasse, schaue er, was in der nächsten halben Stunde passiert. Denn hätte er den Zug nicht verpasst, hätte es diese 30 Minuten gar nicht gegeben. Vielleicht sollten wir in Zukunft alle mehr Schweingrubers Einstellung übernehmen und uns vom Leben wie auch von «Die normale Geschichte des Toni Geiser» überraschen lassen.

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