Brahms auf der Couch

Emanuele Jannbelli

Ein Psychiater schreibt über einen Musiker, in unserem Fall Johannes Brahms. Wie wird das enden? Etwa auf der berühmten Couch? Nicht ganz… Die Medizin spielt im historischen Roman » Die Brahmskommode» zwar durchaus eine Rolle, aber nicht in dem Sinn, dass Brahms beim Psychiater und Autor Dr. Kaspar Wolfenberger in eine (fiktive) Sprechstunde gehen würde. 

Man fragt sich, wie ein Nichtmusiker auf die Idee kommen kann, ein solches Buch zu schreiben. Die Antwort ist schnell gefunden: Wolfensberger verbrachte im sogenannten Brahmshaus Alt-Nidelbad hoch über Rüschlikon, wo der berühmte Deutsche im Jahr 1774 einen glücklichen Sommer lang gewohnt und komponiert hatte, einen Teil der Jugendzeit. Der Fund einer alten, mit allerlei Gedenkstücken und Büchern vollgestopften Kommode, gab dann die Initialzündung. Am literarisch-musikalischen Abend vom Donnerstag, 28. Oktober im Salon Rehböckli an der Trittligase waren dies natürlich eines der Themen, das der Moderator Manfred Pabst mit seinem Gesprächspartner anriss. Umrahmt wurden das muntere Gespräch und die eingestreuten Ausschnitte aus dem Roman von brahmschen Klavierstücken, sensibel vorgetragen von Sharon Prushansky.

Ganz viele bekannte, sorgfältig recherchierte Fakten aus dem Leben von Brahms hat Wolfensberger in seine Story eingepackt; zu viele vielleicht, denn manchmal geht der Blick aufs Wesentliche etwas verloren und man erwischt sich bei der Frage, ob es 100 Seiten weniger nicht auch getan hätten. Schliesslich war ein historischer Roman angekündigt, nicht eine umfassende Biografie.

Das Wesentliche? Wolfensberger gab einen aufschlussreichen Hinweis: Brahms und seine Freunde Billroth, Hegar und Widmann in die Gegenwart hinüberzuziehen, sie in heutiger Sprache als ganz normale, lebendige Menschen erscheinen zu lassen, nicht als bärtige alte Männer der Gründerzeit, sei seine Absicht gewesen. Alt waren sie damals nach heutigen Massstäben ohnehin nicht, Brahms war zudem noch bartlos. Ist es Wolfensberger gelungen, den notorisch verschlossenen Hanseaten, der nach eigener Aussage nur durch seine Töne sprechen wollte, wenn nicht zu heilen, doch für Nicht-Musiker etwas zu öffnen? Spannende Frage! Nach diesem netten (behaglichen, hätte Brahms gesagt) Abend «en famille» zu urteilen: ja. Die Persönlichkeit des Autors und die klugen Fragen von Manfred Pabst taten ein Übriges. 

Als Buch hat Die Brahmskommode einen etwas schwereren Stand. Das Hin und Her zwischen persönlichen Erlebnissen um und mit dem Möbelstück in Zeiten von Corona und den historischen Gegebenheiten 150 Jahre früher gelingt nicht immer nahtlos, ständig läuft man Gefahr, den Faden zu verlieren. Und das Rätsel um seine eigene Herkunft ist nur dann wirklich spannend, wenn man das verschmitzte Gesichts Wolfensbergers vor sich hat. Nur mit dem Buch: naja… 

Mit Ernst recherchiert, mit Augenzwinkern vorgetragen – schade, dass dieser attraktive Antagonismus nur den Live-Abend prägte und nicht auch das literarische Werk, an dem ein Autor letztlich gemessen wird.

Übrigens: Die Frage, ob Wolfensberger den berühmten Komponisten gerne bei sich in einer Sprechstunde gehabt hätte, wurde tatsächlich gestellt.