Stein und Stein

Wer viel liest, kennt die lästige Suche nach einer erträglichen Leseposition. Krampf in den Schenkeln, Nackenmuskulatur, die zieht, Beine überschlagen, dann doch nicht, Rückenschmerzen, müder Hals und so weiter. Diese Begleiterscheinungen werden meist als störend oder bestenfalls gar nicht empfunden. Die Installation Lektüre zur Lage modifiziert nun die kontingenten Umstände des Lesens und schliesst sie in die Lektüre ein. 

Im Kein Museum, einem ehemaligen Tabakgeschäft, strömt einem bereits Lavendelduft entgegen. Betritt man den mit schwarzen Tüchern separierten Raum, findet man sich an eine Spa-Hotel-Werbung erinnert. Man darf sich an weichen Kissen und Tüchern bedienen, und in ruhigem Licht legt man sich rücklings auf eine Fläche aus kirschgrossen Steinchen. Über einem laufen dann die Texte mehrer Autor*innen über eine schief in den Raum hängende Projektionsfläche. Man liegt und liest dann für eine Weile, bis die Schlaufe durch ist. Dieses Setting gibt sich nun unter zweierlei Gesichtspunkten zu lesen. 

Einerseits ist da die buchstäbliche Position (oder eben Lage), die man zu den Texten einnimmt. Es ist überraschend bequem und man ruft sich auch gleich die Heilkraft spartanisch harter Bettalternativen ins Gedächtnis. Ein durchaus behagliches Lesevergnügen. Dann aber wird die Lage zusehends unbequem, womit die Verantwortlichen Kevin Mutter und Adrian Baumberger auf gelungene Weise mit der vermeintlichen Gemütlichkeit brechen. Das lesende Subjekt kann sich nirgends über längere Zeit dem Müssiggang hingeben. Irritierend wirkt dabei die sanft-elektronische Massage-Mucke im Hintergrund, die zwar Stimmung verbreitet, aber vom Lesen eher ablenkt. 

Andererseits sind da die kurzen Erzählungen und formal freien Gedichte, die elf Autor*innen zum Denkbild Lage verfasst haben. Daraus resultierten eher kryptische aber auch erzählerische Gedichte, eine kurzgedachte Allegorie, skizzenartiges und kleine Erzählungen. Einige überzeugende Texte sind darunter (erwähnt sei Alexandra Zyssets Fake-Story über ein Dorf im Jura) und vor allem prosaisches funktioniert gut in der Installation. Ausgewählt hat das Magazin Stereofeder.

Natürlich ergibt sich der Wert der Installation aber aus der Verknüpfung der beiden Aspekte, denn sonst könnte man das ja alles besser zu Hause lesen oder sein eigenes Buch aufs Steinbett mitbringen. Der unreflektierte Gesamteindruck, der einem zuvorderst bleibt, ist positiv. Der Einbezug der Umstände in die Lektüre wirkt nicht aufgestülpt, sondern in seiner Absicht berechtigt. Aber gerade weil man sich selbst als lesendes Subjekt erlebt, wünscht man sich, diese Perspektive in den Texten aufgenommen zu finden. Ausserdem eignen sich die stark lyrischen Texte, die ein ständiges Zurückspringen der Lesenden verlangen, leider gar nicht für das Format. 

Schlussendlich lohnt sich der Besuch in der Mutschellenstrasse durchaus, um die im Ansatz aussagekräftige Installation zu sehen, auch wenn einiges in der Ausführung nicht ganz will. Es ist kein modernitätsgeiler Versuch, Literatur im Digital Age schmackhaft zu machen, sondern ein innovatives Experiment junger Kunstschaffender, das Lesen als Praxis in anderen Medien zu reflektieren. Und «artistry trumps mastery», wie Maggie Nelson so schön schreibt.