Fakt ist, nicht Fake

In den letzten Jahren hat der Kampfbegriff Fake News das öffentliche Bild der Medien geprägt. Feuilletons resümieren die Gegenwart als «Die Zeiten von Fake News» und mehrere grosse Zeitungshäuser beschäftigen mittlerweile Fact-Checker. 2017 hat sogar der Duden das politische Reizwort aufgenommen. Dass Fakes als Falschmeldungen entlarvt werden müssen, um das Vertrauen einer Gesellschaft in ihre Nachrichtenquellen zu sichern, steht natürlich nicht zur Debatte. Der Literaturwissenschafter Thomas Strässle vermisst aber eine Untersuchung, wie Fakes ihre Faktualität überhaupt erst behaupten und unter dem Deckmantel der Wahrheit «in der Welt bleiben» können. Dazu greift er in die Werkzeugkiste der Literaturwissenschaften, denn Fakes seien ja nichts anderes als Fiktionen, die wahr sein wollen. 

In seinem kürzlich erschienen Essay Fake und Fiktion arbeitet Strässle nun solche Plausibilisierungs- und Suggestionsmechanismen heraus. Dazu präsentiert er eine Reihe aberwitziger literarischer Beispiele, in denen stimmt, was unglaubwürdig erscheint und falsch ist, was sich doch eindeutig als Tatsache präsentiert. Eine Auswahl solcher ernsthaften Spielereien hat er am Sonntagabend in der Buchhandlung Barth (eine inmitten der Bahnhofhetzerei unerwartet gut ausgestattete Buchhandlung) vorgestellt. Da war eine Biografie Hildesheimers, zu der es keinen Menschen gab und wir hörten von erfundenen Dialektuntersuchungen, die sogar die Linguistik an der Nase herumführten, um nur zwei zu nennen. Aber was bringt einem jetzt die Auseinandersetzung mit Fakes? Georg Ossegg hat wissenschaftlich behauptet, das Märchen von Hänsel und Gretel bewiesen zu haben und das so überzeugend, dass ihm alle glaubten. Sein Buch erzählt damit vielleicht keine wahre Geschichte, hat aber trotzdem so einiges über uns zu sagen. Die Texte übertreiben und entlarven auf gewitzte Art die Mechanismen und Strategien ihrer ‹journalistischen› Pendants, die meist aus mieseren Absichten heraus produziert wurden und die wir dankend glauben.

Im Buch selbst betreibt Strässle noch mehr literaturwissenschaftliche Arbeit, ohne aber seine Erkenntnisse unnötig zu theoretisieren. Und wenn er auch zeitweise etwas viel Freude an etymologischer Spurensuche zeigt, begründet er seine Analysen doch überzeugend. Die Welt macht Texte wahr oder falsch, nicht textinhärente Muster. Die Analyse solcher Muster kann uns also nichts über Wahrheit und Fakten an sich erzählen, aber darüber, wie sie sich uns normalerweise präsentieren. Strässle ist sich diesem grundlegenden Unterschied durchaus bewusst, lässt ihn aber ab und an verschwimmen und scheint sich dann selbst einen relativistischen Wahrheitsbegriff unterzujubeln, für den er keine Belege aufbringen kann. So suggeriert bereits der Untertitel des Buches «Über die Erfindung von Wahrheit», was es nicht einlösen kann. Diese raren Misstritte verspielen den Wert der eigentlichen Analyse aber keineswegs und man muss den Essay dafür schätzen, was er kann. Strässle vermag aus einem reichen Fundus literarischer Raritäten eben jene zu picken, die Erzählmuster klar hervortreten lassen, die uns «in den Zeiten von Fake News» als Warnflaggen dienen können – und sollten.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.