Mann ist vom Aussterben bedroht

„Heute bin ich weniger als die Hälfte“, sagt Steven Schneider zu Beginn seiner Lesung aus dem neuen Buch „Wir Superhelden“. Denn normalerweise kennt man Schneider im Duett und Kolumnenbattle mit seiner Frau Sybil Schreiber. Der neue Roman „Wir Superhelden“ entstand aber ohne weibliche Hilfe. Steht der Abend deshalb im Zeichen des Mannes? „Es ist ein Abend nur für Männer! Mit einer Ausnahme: Frauen!“, schreibt Schneider in der Programmvorschau.

Umso erstaunlicher, dass das Publikum, das sich zur Lesung in der Bibliothek in Volketswil einfindet, zu mindestens 70 Prozent aus Frauen besteht. Grösstenteils fortgeschrittenen Alters. Auch der Apéro bedient beide Stereotypen: Prosecco für die Frau, Bier für den Mann. Wasser und Wein stehen als Unisexvariante zur Verfügung. Eine Reihe hinter mir finden Diskussionen statt, ob Sekt oder Wein kalorienhaltiger sei.

Steven Schneider erklärt zuerst sein neues Buch, für das er mit zwölf Personen Gespräche zum Thema Mann-Sein in der heutigen Gesellschaft geführt hat. Darunter sind Autoren, Fachpersonen, Philosophen, Fussballer und ein Mönch. Er hat auch Fragebögen ausgewertet, in einer Samenbank mit Spermien und Eizellen experimentiert und viele autobiografische Teile einfliessen lassen. Das Endprodukt nennt er ein „Achbuch“, denn es sei sowohl ein Sachbuch, als auch ein Fachbuch, ein Machbuch (es enthält interaktive Teile) und zuletzt ein Lachbuch. Obwohl es tiefgründige Passagen enthalte, solle es mit einer grossen Prise Selbstironie durchaus zum Lachen animieren. Ironisch ist auch die Wahl des Titels: Niemand habe den Titel gut gefunden. Und genau deswegen habe Schneider gedacht: „Moll, der Titel hat etwas.“

Die eigentliche Lesung beginnt bei A wie Anfang. Oder Adam. Diesem ist es im Paradies mit Eva stinklangweilig. Die beiden haben nämlich keinen Gesprächsstoff, da alles schön und reibungslos ist. Was dann kommt, kennen wir alle: Das Paar sündigt und wird rausgeschmissen. Schneider sagt, die eigentliche Geschichte von Mann und Frau sei aber erst nach diesem Rauswurf passiert: „An die Stelle des Paradieses trat die Liebe.“

Adam wurde damals für die Reproduktion noch gebraucht. Heute ist der Mann dank moderner Technologien nicht mehr so wichtig – und wird immer impotenter. Die Frau ist nicht nur sozial und finanziell vom Mann unabhängig geworden, sondern kann sich zunehmend auch biologisch abkapseln. In der Tierwelt sei es gar nicht mehr so unüblich, dass die männliche Ausprägung einer Spezies nicht mehr existiert: So zum Beispiel die Blumentopfschlange. Es gebe Berechnungen, die belegen, dass dieses Schicksal auch dem männlichen Exemplar der Gattung Mensch blühen dürfte. Das Aussterbedatum liegt jedoch noch in weiter Ferne, trotzdem drängt es den Mann immer mehr in eine Existenzkrise.

Aussterben sei auch keine Lösung, findet Schneider. Deshalb versucht er in den darauffolgenden Kapiteln das Naturell seinesgleichen zu erforschen. Was macht einen Mann zu einem Mann? Wie wird man zu einem Helden? Das seien Fragen, die sich Männer im Alltag nicht einfach so stellen. Die teilweise doch ziemlich stereotypen Fragen werden dann von verschiedenen Fachpersonen doch relativ tiefgründig behandelt.

Es geht im Buch auch viel um die Liebe, bei der ein befragter Philosoph überzeugt ist, dass sie einen Mann zu einem besseren Menschen macht. Schneider erzählt auch von seiner eigenen Erfahrung mit der Liebe. Vom misslungenen Liebesbrief im Multiple-Choice-Verfahren, von der ersten Liebe, von Singlewanderungen und von Beziehungsunfähigkeit. Sein persönliches Liebesglück hat Schneider dann in Schreiber doch noch gefunden. Die Kolumnen des Paares sind vor allem bekannt dafür, dass sich die beiden darin auch zanken. Streit gehört zur Liebe wie die Körperlichkeit. Zum Thema Streit hat Schneider einen Fragebogen zusammengestellt, bei dem interessante Antworten herauskamen. So finden die Befragten beispielsweise einheitlich, dass die Partnerin während des Streits mehr redet. 

Das Buch schliesst dann aber wieder versöhnlich mit dem kitschigen Fazit ab: „Die Liebe ist die grösste aller Superkräfte.“ Alles in allem ist Schneiders Buch über Superhelden zwar modern, facettenreich und unterhaltsam, in der Kernaussage aber doch eher konservativ. Indem Schneider die Spezies Mann zu ergründen sucht, erhält er implizit einige stereotype Darstellungen von Mann und Frau. Zudem vermittelt das Buch ein sehr heteronormatives, genderbinäres Weltbild. Die vielen Lacher aus dem Publikum haben aber gezeigt, dass Schneiders humorvolle Abhandlung des Themas den Nerv der Zeit durchaus trifft.

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