Nur Mehl, Salz und Wasser und Worte

Das sogar Theater erzählt mit «Soldat Kertész!» die grausam wunderliche Geschichte eines jungen Mannes, der vom Motorrad und aus der Sprache gefallen ist. Das Stück fordert aber kein Mitleid, sondern Verantwortung.

Zoltán steht, noch bevor das Publikum sich gesetzt hat und das Licht gedimmt wird, steif mit dem Gesicht vor der Wand. Im ausgebeulten Wollpullover wirkt er dürr, sein Blick fällt starr durch die Wand. Dann beginnt er zu erzählen, ohne eine Bewegung, dafür in überbetontem Bühnendeutsch, das jedes «O» weit aufmacht und mit jedem «F» die Luft zerschneidet. Zoltán erzählt, wie er vom Bäckermeister verprügelt wurde, nur weil er die frische Hefe bemängelte. Wie ihm davon ein derart starkes «Schläfenflattern» blieb, dass er «wie ein Mehlsack» vom Motorrad fiel, als sein Vater ihn abholte. Da sei er «blöd» geworden, und seither verstehe ihn niemand mehr so richtig.

Der Sturz hat Zoltán irgendwo neben die Sprache verrückt, von wo aus er sie neugierig betrachtet und in einzelne Buchstaben zerteilt. Dann steht der «König der Kreuzworträtsel» verloren irgendwo auf der Bühne mit hängenden Armen und versucht, die harten Worte der anderen zu V-E-R-S-T-E-H-E-N. Den Wunsch seiner Eltern, dass er, der «zwischen den Schenkeln eine Blume statt einen Schwanz» habe, ein Mann werde. Die widersinnigen Befehle seiner Vorgesetzten im Militär. Aber Zoltán hat alle Sprachspiele verlernt, bewegt sich auf der wörtlichsten aller Ebenen ganz nah an der Sprache der anderen, aber nie in ihr drin. 

Folgerichtig hören wir von Zoltáns Welt auch nur von Zoltán, treffsicher gespielt von Jonas Gygax. Die sprachliche Isolierung, bereits in der künstlichen Prononcierung materialisiert, findet auch körperlich statt. Gygax steht meist wie hingestellt irgendwo im Raum, ohne auf sein Umfeld zu reagieren. Mittig ein blosser Tisch, rechts noch ein portabler Backofen. Die fast leere Bühne teilt sich Gygax nur mit einem stummen Robert Baranowski, der in gutmütiger Ruhe vor sich hin backt. Die disparaten Bewegungen entfernen die zwei voneinander, sodass sie sich nur in kurzen Momenten finden. Diese häufen sich allerdings, sobald wir in Zoltáns Partner seinen dickleibigen, schüchternen Freund Jenő erkennen. Der versteht ihn zwar auch nicht wirklich, anerkennt aber seinen Appell an einen Dialog und nähert sich ihm im Stück auf nicht-sprachlicher Ebene an. So kulminiert das Freundschaftsglück im gemeinsamen Zöpfeln des Teigs. Schade nur, dass die Rolle nicht wirklich zu Baranowski passen will und viel zu eindimensional wirkt. 

Regisseurin Ursina Greuel hat die die Inszenierung aufs Nötigste reduziert, um dem Text selbst soviel Platz wie möglich zu machen. Diese Entscheidung ist nachvollziehbar, bedenkt man die Vorgeschichte des Stoffes. Bereits vor fünf Jahren, und damit vor seiner Zeit als Protagonist im Roman Schildkrötensoldat, war Zoltán am Theater Basel zu sehen. Da wurde der Monolog aber stark dramatisiert, will heissen szenisch auf mehrere Figuren verteilt, was die Fabel zu eindeutig werden liess. Der Autorin selbst schien Literatur dazumal «geradezu unvereinbar mit dem Theater zu sein». Unter ihrer Mitarbeit hat der Stoff nun aber eine minimalistische Form gefunden, in der ihre formal vielschichtige Prosa nun auch gesprochen funktioniert. 

Aber warum soll man einen Stoff, der so gut als Roman funktioniert, überhaupt für die Bühne adaptieren? Nicht für den dramatischen Konflikt, wie es das Theater Basel versucht hat. Aber im Modus des Erzählens erscheinen die metaphorischen und sprichwörtlichen Elemente der Sprache, die Zoltán nicht als solche erkennen kann, wie märchenhafte Vorkommnisse seiner Welt. In diesem Zerrbild tritt uns unscheinbares Übel, das in geronnener Sprache normalisiert wurde, wieder klar in Erscheinung. Damit nimmt das Stück das Publikum in die Verantwortung, die explizite Appellation («Hören Sie überhaupt noch zu?») an unsere Ohren auch aus dem Theater rauszutragen. Denn letztendlich geht es Abonji neben der Ethik poetischer Verfahren auch immer um die Ethik wirklicher Handlungen. Jenő stirbt auf einem Marsch, weil niemand auf seine Bitten anzuhalten hört. Auf eben diese Art wurde der Schweizer Rekrut Pierre-Alain Monnet in den Tod getrieben. Nicht zu hören, heisst zu töten. Das versteht Zoltán von der Welt. 

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