«Ich spreche eigentlich nicht gern über Bücher»

Geprellte, vom Leben gezeichnete Figuren und eine einzigartige, authentische Sprache. Das haben «Glück» und «Auf der Strecki», die beiden neuen Texte von Dragica Rajčić Holzner und Roland Reichen, gemeinsam. Beide sind ausserdem im Verlag «Der gesunde Menschenversand» in der «Edition Spoken Script» erschienen. Ihre besondere Sprache ist eine Mischung aus Dialekt und Hochsprache, ein «Zwitterwesen», das es so bei uns im Alltag gar nicht gibt. Doch wie kommen die beiden dazu?

«Ich spreche eigentlich nicht gern über Bücher», meint Rajčić gleich zu Beginn. Daher hat Moderator Stefan Humbel auch gleich schon ein «Fressäckli» mit Trumpf-Wörtern mit dabei. Die darin enthaltenen Schokoeier und Stichwörter werden dann aber letztendlich fast nicht gebraucht, denn trotz dieser Ankündigung fehlen, wie man bald merkt, weder Rajčić noch Reichen die Worte zu ihren Werken. Tatsächlich ist Rajčić‘ Aussage umso spannender, wenn man bedenkt, dass die Vorlage für ihren jetzigen Text ein Theaterstück war, das 2018 in Basel uraufgeführt wurde. Also ist «Glück» auf gewisse Weise bereits in der Vorstellung entstanden, einmal laut vorgelesen oder ausgesprochen zu werden. Wogegen sich Rajčić selber jedoch vehement sträubt: Die Stimme habe für sie eine grössere Wahrheit als das geschriebene Wort. Sie wolle das auseinanderhalten. Ja, bei einem Text, der von der Misshandlung und dem Missbrauch von Frauen handelt, ist das verständlich. Denn, wenn man diese Dinge laut ausspricht, könnten sie ja real sein. Indem man sie artikuliert, könnten sie tatsächlich wahr sein. Und das wäre verstörend, nicht?

Doch zurück zur Kunstsprache.

Als Nicht-Muttersprachlerin sehe sie in vielen Wörtern oft Bedeutungen, auf die Muttersprachler gar nicht mehr kommen würden, meint Rajčić. So wird bei ihr ein Blatt zum Beispiel nicht ausgefüllt, sondern «ausgefühlt». Reichen hingegen ist vom nahen Umfeld zu seinem Wortreichtum inspiriert. Er hört den Menschen zu und schöpft aus diesen Gesprächen für sein Schreiben. Jedoch sind sich beide einig: Diese einzigartige, ‚dialektal‘ gefärbte Sprache ist trotz ihres Bezugs zum Mündlichen, Alltäglichen nicht unbedingt authentischer als unser gebürtiges Hochdeutsch. Vielmehr ist diese Sprache authentisch gemacht und die Frage, die sich das Duo samt Moderator Stefan Humbel im Gespräch schliesslich stellt, lautet: Ist eine solche Kunstsprache besser geeignet für den Ausdruck von individuellem Schmerz und Leiden als eine puristische, deutsche Sprache? Und inwiefern läuft eine Kunstsprache weniger Gefahr, nivelliert zu werden als purer Schweizer Dialekt oder pures Hochdeutsch?

Vielleicht liegt ihr Reiz ja darin, dass sie uns irritiert beim Lesen. Und dass wir so auch genauer hinhören und hinschauen, worüber geschrieben wird.

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