Finde die Zukunft II

„Wir suchen die Ausstellung vom Zukunftsatelier zu Chatbots, die sollte hier im Foyer sein.“ – „Eine Sekunde. – Mammi, säg mol, weisch du wo die Uusstellig isch?“

Noch lassen Exposition und Zukunft auf sich warten. In der Zwischenzeit plaudern wir mit unseren analogen Gesprächspartnerinnen, die hilfsbereit und engagiert an den Solothurner Literaturtagen mitwirken: Nicole Jenni und ihre Tochter Lea.

Nicole, wie lange arbeitest du schon bei den Solothurner Literaturtagen?

Seit 4 Jahren.

Auf welche Veranstaltung freust du dich besonders?

Ich bekomme gar nicht so viel mit, weil ich immer mit der Kasse am rumspringen bin. Ich bin hier Ansprechperson und mein Telefon ist auf laut, darum ist das nicht so gut, wenn ich hier drinnen sitze. Aber die Eröffnung gestern war total cool und ich finde die vielen Leute, die sich für die Literaturtage interessieren, einfach sehr spannend. Auch wenn ich kaum Zeit habe, um an eine Lesung zu gehen, bleibt es interessant

Was für Begegnungen machst du bei deiner Arbeit?

So spontane Begegnungen wie jetzt mit euch. Das ist jetzt gerade ein gutes Beispiel dafür, wie wir behilflich sein, etwas abklären können und Fragen beantworten können, die auftauchen. Manchmal sind es auch Geschichten, die entstehen, wenn man mit jemandem ins Gespräch kommt. Das ist wirklich sehr schön.

Gibt es irgendetwas, das dir besonders gefällt an der Arbeitsatmosphäre der Solothurner Literaturtage?

Wir sind ein mega cooles Team. Die meisten sind jung – ich bin zwar die Älteste – und wir sind ein aufgestelltes, motiviertes Team. Das ist wirklich super.

Lea, wie lange bist du schon bei den Solothurner Literaturtagen dabei?

Seit 3 Jahren. Im ersten Jahr sind wir mit der Klasse hierhergekommen. Auch jetzt arbeitet eine ganze Gymnasiumklasse an den Literaturtagen, um Geld für die Maturareise zu verdienen. Später habe ich dann über meine Mutter wieder an den Literaturtagen arbeiten können.

Hast du denn Zeit, um Lesungen zu besuchen?

Wenn ich nicht im Lernstress bin, ja. Die letzten paar Jahre habe ich nicht so viel nebenbei gesehen, weil ich noch viel für die Schule zu tun hatte. Aber eigentlich finde ich es schön, wenn man neben der Arbeit Zeit findet, um Veranstaltungen zu besuchen und ich habe mir für dieses Jahr vorgenommen, dies zu machen.

Was für Veranstaltungen hast du dir denn vorgenommen?

Es gibt eine Veranstaltung über den Balkankrieg, dort möchte ich reinsitzen. In der Schule haben wir Tauben fliegen auf von Melinda Nadj Abonji gelesen, die an dem Podium dabei sein wird. Das Buch hat mir sehr gefallen und dadurch, dass wir es in der Schule analysiert haben, bekommt man einen anderen Einblick in ein Buch.

Herzlichen Dank an Nicole und Lea für die Bereitschaft, spontan Rede und Antwort zu stehen.

Interview: Shantala Hummler, Foto: Artiom Christen

Zwischen Lastwagen und Heiligen

Die Restbestände des gestrigen Apéros könnten immer noch Adam Schwarz‘ Stimme beeinflussen. So entschuldigte sich der Autor vor der Kurzlesung seines Debütromans Das Fleisch der Welt. Davon war aber nichts zu hören. Einzig vorbeifahrende Lastwagen unterbrachen die gespannte Stille im Publikum vor der Aussenbühne beim Landhausquai. Adam Schwarz leitete die heutige Serie von Kurzlesungen auf der Solothurner Aussenbühne ein, zu der sich trotz des begrenzten Platzes bereits zahlreiche Zuhörende versammelt hatten.

So wenig wie das Geschehen abseits der Bühne zu kontrollieren war, so fremdbestimmt scheinen auch die Figuren des Romans zu sein. Niklaus von Flüe, der heiliggesprochene Schutzpatron der Schweiz, zog sich von Gott berufen in die Einsiedelei zurück. Sein ältester Sohn Hans, der sich während der Abwesenheit des Vaters ans erdengebundene Bauernleben gewöhnt hatte, wird im Roman von der plötzlichen Rückkehr des Vaters überrascht. Dieser fordert seinen Sprössling dazu auf, ihn auf einer erneuten Pilgerreise zu begleiten. Widerwillig nimmt der Sohn den Vorschlag des Vaters an. Erzählt wird aus der Perspektive des Sohns, der sich in seinen Handlungen stark von seinem Vater beeinflusst zeigt. Genau so abhängig von einer übermächtigen Figur ist auch von Flüe selbst.

Das gegensätzliche Vater-Sohn-Gespann begibt sich auf eine Reise gegen Westen, bei der die unterschiedlichen Welten von transzendenter Hingebung und immanenter Erdgebundenheit aufeinanderprallen. So auch in dem Ausschnitt, den Adam Schwarz am Landhausquai liest: Hier werden Menschen mit Kohlköpfen und nicht etwa mit geistigen Entitäten verglichen. Ebenso wird das Wunder der Geburt durch die blutverschmierte Realität entmystifiziert. Und so werden auch wir als Zuhörende gleich zu Beginn der Literaturtage von womöglichen geistigen Höhenflügen direkt auf den Boden der dreckigen Realität zurückgeholt. Ein gelungen witziger und kurzer Einstieg für unsere literarische Pilgerfahrt nach Solothurn.

Simon Härtner, Fabienne Suter 

Finde die Zukunft I

Entschuldigung, wo ist hier schon wieder die Zukunft?

Der Brücken viele, zu wenige der Wege, schlendern wir der Zukunft entgegen. Unser erstes Ziel: die Ausstellung des Zukunftsateliers zu Chatbots.

So denken wir zumindest.

Irrwege, wo immer wir hingehen. Just im letzten Moment erblicken wir aus den Augenwinkeln die imposanten Gemäuer des Landhauses. Ermuntert betreten wir die grossräumige Eingangshalle, von Hinweisschildern keine Spur. Wir suchen weiter, die Treppen hoch, da umschmeichelt aromatischer Kaffeeduft unsere Nasen, während sich unser Blick an dem verlorenen Lichtkegel im schattigen Foyer festmacht.

Chatbot says: error 404 – future not found.

Die Zukunft glänzt durch Abwesenheit. Oder alles Programm? Die totale Digitalisierung.

Dann der Lichtblick: zwei goldene Engel.

Fortsetzung folgt…

Artiom Christen und Shantala Hummler 

Nach dem Recyclinghof zu IKEA

Jens Steiner eröffnet den Literaturtage-Freitag mit seiner Lesung aus Mein Leben als Hoffnungsträger. Trotz der frühen Stunde füllt sich der Landhaussaal schnell mit interessierten Zuhörenden. Sie werden mit einem lebendigen, humorvollen Autor belohnt. Steiner ist ein Meister darin, seinem Text Leben einzuhauchen. Vor allem die Vertonung von zwei Figuren, der beiden Portugiesen Arturo und João, sorgt für Erheiterung. Leise Lacher ziehen sich durch beide Vorlese-Passagen. Laut herauszulachen – das traut sich das zurückhaltende Schweizer Publikum zwar nicht. Doch Steiners Humor kommt beim Publikum gut an und sorgt – von den hinteren Reihen aus gesehen – für ein Panorama von sanft ruckelnden Rücken.

Von den lobenden Worten seines Gesprächspartners Lucas Gisi beschwingt, schafft Steiner eine einladende Atmosphäre. Er lässt sich auch durch ein knisterndes Mikrofon und einen an ihm herumfummelnden Techniker nicht beirren. Das Publikum dankt es ihm mit wohlwollender Aufmerksamkeit.

Steiners Protagonist Philipp arbeitet auf einem Recyclinghof. Von ihm ausgehend spricht Gisi mit Steiner über die Konsumgesellschaft, die sich in grotesker Weise im Recyclinghof widerspiegelt. Steiner schreibt in einem entschleunigenden Stil von der alternativen Lebensweise Philipps, der sich der Leistungsgesellschaft mit Trägheit zu entziehen versucht. Er beschreibt Philipp als „trägen Idealisten“, der Aktivismus zeigt, indem er sich Zeit lässt. Gesellschaftskritik wird mit Gesellschaftssatire verwoben, Konflikte werden mit hintergründigem Humor einfach stehengelassen.

Zur Ursprungsidee seines Romans befragt, gesteht Steiner, dass er darauf jeweils nur unbefriedigende Antworten finden kann. Es ist wie mit alten Freunden: um eine bestimmte Ebene der Vertrautheit zu erreichen, muss man vergessen, wann man sie kennengelernt hat. Ebenso müssen sich die Ursprünge seiner Ideen verwischen, damit er sich intensiv mit ihnen auseinandersetzen kann. Zum Beispiel, indem er ein Praktikum auf einem echten Recyclinghof absolviert. Dort beobachtete er die Fortsetzung der Konsumwelt. Man muss schliesslich zuerst „Platz schaffen, bevor man eine Woche später wieder zu IKEA fährt“, so Steiner.

Olivia Meier, Foto: Selina Widmer

Et déjà des embouteillages!

Les équipes sont à l’oeuvre, et déjà se posent les premiers problèmes! Comment mener deux entretiens en même temps? Astuce: il fait beau, Valentin déménage avec Thomas Flahaut pour se mettre au frais, tandis qu’Agathe et Louise s’installent dans la salle de travail de la rédaction pour discuter avec la dessinatrice Albertine et l’auteur Germano Zullo.

«Kommt ihr Abwesenden alle». Das Furore von Christian Uetz

Bewundernswert ist die Vielstimmigkeit, die Christian Uetz in der Performance seiner Texte mit der einen Stimme zu generieren vermag. Andere tendieren da ja gelegentlich dazu, Intensität mit blosser Lautstärke zu verwechseln. In Uetz’ Organ aber finden sich Instrumente wie für ein Symphonieorchester: Vom matten Seufzer übers irritierte Fragen, bis fast ans Schreien hin führt er seine Texte. Er durchlebt diese Gedichte, statt sie bloss vorzutragen. Er ruft, springt, krümmt sich.

Die Texte von Christian Uetz zeichnen sich aus durch die eingehende Beschäftigung mit Erotik und Glauben, so deutet Beat Mazenauer in seiner Anmoderation. Das trifft die fast mystische Leidenschaft für die Sinnlichkeit der Sprache, die für jedes Wort ausschlaggebend ist, das ich von Uetz gelesen habe. Bedeutungen verdichtet er zu Erfahrungen, in Texten, von denen man nicht weiss, ob sie sehr schwer oder sehr leicht sind. Glossolalie, also Zungenrede, ist eine Gnadengabe, so oder ähnlich steht es ja auch schon in der Bibel.

Dabei ist die eindrückliche Darbietung nirgends etwas dem Textmaterial Äusserliches, sondern scheint konsequent aus der Sprache der Dichtung von Christian Uetz entwickelt. Das hat so viel Selbstverständlichkeit, dass man sich fragt, warum man sich überhaupt darüber wundert. Nach Auszügen aus seinem neuen Gedichtband Engel der Illusion durchquert Uetz als furioses Finale noch einmal ältere Texte, die verbunden sind durch die Bezugnahme auf Engel. Dass die Engel ihn schon so lange beschäftigen, habe er selbst erst spät erkannt, sagt er. Obwohl er all die Texte auswendig weiss.

Dass Denken und Dichten eine Affinität haben, dass man Sprache auch sinnlich erfahren kann, dass eine Performance auch etwas mit einem Publikum macht: Das sind zunächst einmal Gemeinplätze. Umso mehr freut man sich, dass Christian Uetz den Nachweis erbringt, dass mit ihnen auch etwas Wahres gemeint ist. «Spoken Word» sagt das Programmheft dazu. Erstaunlich.

Marco Neuhaus

Erste Arbeiten

Es wird lebendig in der Redaktion. Während zahlreiche BerichterstatterInnen bereits ausgeschwärmt sind, bitten Agathe Herold und Louise Moulin (rechts im Hintergrund) die Genfer Illustratorin Albertine und ihren Mitstreiter Germano Zullo zum Interview. (Das Resultat gibt es dann sehr bald hier zu lesen.)

Links vorne: Philipp Theisohn, Thomas Hunkeler und Daniele Frescaroli. Halbwegs bei der Arbeit.

Unser Team in Solothurn: Maya Olah

Maya Olah interessiert sich, wie man in der Literatur über historische Begebenheiten oder Politik schreiben kann, ohne dass es journalistisch wird. Wo verläuft die Grenze zwischen der Literatur und dem dokumentarischen Schreiben? Zurzeit vertont sie ihr erstes Hörspiel und verfolgt deswegen die auditiven Veranstaltungen. Sie hat 2016 den Schreibwettbewerb der Solothurner Literaturtage gewonnen und möchte die aktuellen Gewinnertexte hören. Maya studiert deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft und Ethnologie in Zürich.

Unser Team in Solothurn: Marco Neuhaus

Auf den Vortrag von Christian Uetz freut sich Marco Neuhaus besonders, ebenso auf den von Verena Stössinger, deren neues Buch «Die Gespenstersammlerin» er gerade liest. Sonst studiert er Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft und Philosophie in Zürich. Er mag handlungsarme Erzählprosa und war noch nie in Solothurn.